»Du schmeckst so gut. Ich will dich – ganz und gar und immer wieder.«
Er bleckte die Zähne, nadelspitz und strahlend weiß, aber ich hatte keine Angst mehr. Ob es noch der Schock der knappen Flucht war oder einfach das Gefühl, dass unsere Verbindung unvermeidlich war, ich musste darauf vertrauen, dass er auf unserer Seite war – sosehr er es eben sein konnte.
Plötzlich war mir kalt, und ich schauderte. »Ich … o Grieve. Ich weiß nicht, in was ich mich da reinreite, aber ich liebe dich.«
Bevor er darauf etwas sagen konnte, zog ich meinen Pulli herunter, wandte mich um und schoss aus der Küche zurück ins Wohnzimmer. Rhiannon saß neben Chatter auf dem Sofa, und sie blickten beide auf, Chatter mit besorgter Miene und Rhiannon fragend.
»Sind Leo und Kaylin schon –« Ich konnte den Satz nicht beenden, denn ich hörte ein Geräusch von der Tür und erstarrte. Doch einen Moment später stürmten Kaylin und Leo herein und warfen die Tür hinter sich zu. Kaylin wirkte zu Tode erschöpft.
»Wir haben sie abgehängt, glaube ich. Aber sie wissen trotzdem, wo wir wohnen. Wir müssen das ganze Haus und das Grundstück sichern. Es gibt keine andere Möglichkeit, sie fernzuhalten.«
»Und am besten fangen wir sofort mit dem Grundstück an. Ich glaube, wir haben in dem Stapel da drüben ein Buch über Schutzzauber.« Ich ging den Stapel durch, bis ich das Zauberbuch, das sich mit Reinigungszeremonien und Schutzzaubern beschäftigte, gefunden hatte.
»Ich hatte etwas gesehen, als ich es durchgeblättert habe … Ah, hier ist es. Einen Spruch, um ein ganzes Anwesen zu sichern. Wir brauchen eine Menge Quarzkristalle – sie müssen nicht groß sein, aber an einem Ende spitz. Dann brauchen wir Knoblauch … o Mist, richtig viel Knoblauch, Schwefel und Blut. Unser Blut.«
In diesem Moment kam Grieve zu uns und legte mir den Arm um die Taille. Ich lehnte mich gegen ihn, und er drückte mir die Lippen auf den Scheitel.
»Cicely, ist dir bewusst, dass du am Hals blutest?«, fragte Leo. Ich blickte in den Spiegel mit dem bronzenen Rahmen, der an der Wand hing. Blut tropfte stetig von meinem Hals auf mein T-Shirt und färbte es rot.
Kaylin starrte mich hart an, sagte aber nichts. Leo sah ausgesprochen angefressen aus. Beide musterten Grieve von Kopf bis Fuß, verkniffen sich aber jeden weiteren Kommentar.
Mir war nicht wohl in meiner Haut. »Ich geh mich mal eben waschen«, sagte ich zögernd.
»Ich komme mit«, sagte Grieve.
Ich wusste, dass es nicht gutgehen würde, wenn er mein Zimmer betrat, also schüttelte ich den Kopf und legte ihm die Hand auf die Brust. »Bitte bleib hier. Wir müssen das Haus sichern, bevor deine neue Familie uns eine Jagdgesellschaft hinterherschickt.«
»Sie werden das Haus eher nachts angreifen, wenn ihr alle schlaft«, wandte Grieve ein. »Während du dich umziehst, überlegen Chatter und ich, wie wir mit dieser Sache hier umgehen, wenn wir zurück im Marburry-Grab sind. Mit etwas Glück haben die Schattenjäger gar nicht bemerkt, dass wir euch bei der Flucht geholfen haben.«
Ich wandte mich an Kaylin. »Sag Leo und Rhiannon, was wir gesehen haben. Und wen wir gesehen haben.« Und bevor noch jemand etwas sagen konnte, hastete ich die Treppe hinauf.
Als ich meinen Hals abgewaschen, mir das T-Shirt aus- und ein frisches Top angezogen hatte, fühlte ich mich wieder halbwegs normal. Traumwandeln mit Kaylin und Grieves anschließende Leidenschaftsattacke hatten mich ein wenig aus der Bahn geworfen. Ich war nicht sicher, wie es weitergehen würde, ich wusste nur, dass ich Grieve nicht einfach vergessen konnte, zumindest jetzt noch nicht.
Während ich die Treppe hinunterging, hörte ich einen schrillen Schrei. Rhiannon! Ich sprang die letzten fünf Stufen hinab, landete in der Hocke und stürmte ins Wohnzimmer.
»Was ist los? Was ist passiert?« In Erwartung, etwas Grausiges zu erblicken, sah ich mich schnell um, doch ich entdeckte nichts. Nur Leo, der Rhiannon fest an seine Brust gedrückt hielt. Doch der Geruch nach Rauch ließ meine Alarmsirenen losschrillen.
»Dort.« Leo nickte zu einem der Stühle.
Das Sitzpolster war durchweicht, auf dem Boden daneben lag ein umgedrehter Topf. Eine Brandspur zog sich quer über den Sitz. Kaylin schüttelte kurz den Kopf und deutete in Rhiannons Richtung. Oje. Sie hatte den Stuhl in Brand gesetzt.
»Rhiannon? Hast du das gemacht?« Ich setzte mich neben sie auf die Couch und nahm ihre Hand.
»Ja.« Sie nickte. »Ich habe mit Leo wegen Chatter gestritten und … und da fing der Stuhl Feuer. Ich habe euch doch gesagt, dass ich es nicht mehr kontrollieren kann, wenn es einmal wieder freigelassen wurde.«
Jetzt erst bemerkte ich, dass Grieve und Chatter nirgendwo zu sehen waren. »Wo sind die beiden anderen überhaupt?«
»Auf der Veranda und reden.« Sie schniefte. »Du hast recht. Ich muss lernen, das Feuer zu beherrschen. Jetzt, da es frei ist, kann ich es nicht wieder zurückstopfen. Sobald ich wütend werde, wallt es auf.« Sie blickte auf ihre Hand und drehte sie in meiner, so dass die Innenfläche zu sehen war.
»Ich kann töten, Cicely. Wenn ich nicht lerne, wie ich damit umzugehen habe, kann ich töten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Ich habe es bereits getan, ich kann es wieder tun. Marta hat damals gesagt, man sollte mir meine Kräfte ausbrennen, bevor ich wieder Mist baue. Und vielleicht hat sie recht gehabt.«
»So was darfst du nicht einmal denken!« Ich ließ ihre Hand fallen, packte sie an den Schultern und schüttelte sie leicht. »Du wirst lernen, wie man damit umgeht, und du wirst die Flammen, die in dir brennen, beherrschen.«
Sie betrachtete prüfend mein Gesicht. »Glaubst du das wirklich?«
»Ja. Ja, das glaube ich.« Ich warf Leo einen Blick zu, und seine frustrierte Miene bestätigte mir, was ich mir schon gedacht hatte. »Wir bitten Chatter, dir zu helfen. Er hat es dir beigebracht, als du ein Kind warst, er wird es auch jetzt können.«
»Nein! Ich –«, setzte Leo an, aber ich unterbrach ihn mit nur einem Blick.
»Vergiss es! Du kannst ihr nicht helfen, und weder Kaylin noch ich arbeiten mit Feuer, also können wir es auch nicht tun. Chatter ist im Augenblick unsere beste Chance.«
Und sie braucht Hilfe, ob du nun eifersüchtig bist oder nicht, dachte ich gallig.
»Ach, und was war mit der Idee, Anadey zu fragen?« Leo hatte die Lippen zu einer dünnen weißen Linie zusammengepresst, und in den Augenwinkeln spannte sich ein Netz aus Fältchen. O ja, es hatte ihn mächtig erwischt, und er hatte durchaus mitbekommen, dass Chatter etwas für meine Cousine übrighatte.
Ich warf Rhiannon einen Blick zu. »Es liegt an dir – entweder wir fragen Chatter oder gehen heute Abend zu Anadey und bitten sie um Hilfe. Was immer dir lieber ist, wird gemacht, aber wir müssen etwas unternehmen, und zwar bald.«
Rhiannon sah verunsichert zu Leo, dann zur Eingangstür. Nach einem Augenblick flüsterte sie: »Ich denke, wir sollten zuerst Anadey fragen. Wenn sie nichts für mich tun kann, dann vielleicht Chatter.«