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            »Anadey, ich wollte dich um einen Gefallen bitten.« Rhiannon beugte sich über den Tisch. »Ich brauche Hilfe. Ich brauche deine Hilfe. Das Feuer, das ich so viele Jahre in mir eingesperrt habe, ist frei. Und jetzt habe ich Schwierigkeiten, es zu kontrollieren.«

            Anadey blinzelte. »Marta hat mir von dir erzählt – von dem Unfall mit dem Auto. Ich habe mich schon gefragt, wie lange es wohl dauern wird, bis du dich dieser Energie wieder öffnen wirst. Eine solche Kraft kann man einfach nicht unterdrücken. Mutter dachte, du hättest es geschafft, sie ganz zu tilgen, aber ich wusste es besser. Das ist auch eins der Themen, bei denen wir unterschiedlicher Meinung waren.«

            Sie stand auf und winkte uns, ihr in die Küche zu folgen, wo sie ihre Tasse ausspülte und uns Minzkekse anbot. »Das sind Peytons Lieblingskekse. Ich habe wohl irgendwie gedacht, sie würden wie eine Art Rückholzauber funktionieren, wenn ich ein Blech davon mache.«

            Ich nahm einen, während ich innerlich mit mir debattierte, ob ich die eine Frage stellen sollte, die mir die ganze Zeit schon durch den Kopf ging. Schließlich fand ich, dass sie nicht schaden konnte. »Du und Marta seid nicht allzu gut miteinander ausgekommen, oder?«

            Anadey stieß ein humorloses Lachen aus. »Wir waren einfach nie einer Meinung, weswegen sie mir auch niemals Zutritt zu ihrer heißgeliebten Gesellschaft gewährte. Die Dreizehn-Monde-Gesellschaft – zumindest diese Abteilung hier – war schon tot, bevor sie überhaupt begann, und nun ist sie nur noch ein Schatten dessen, was sie hätte werden können, wenn die Mitglieder nicht derart arrogante Arschlöcher gewesen wären.« Sie warf Rhiannon einen Blick zu. »Deine Mutter hat nie wirklich dazugehört.«

            »Wie meinst du das?«

            »Heather hat Martas Geduld schwer strapaziert; sie wollte neue Wege einschlagen. Marta hat in der Gesellschaft ein strenges Regiment geführt, weil sie befürchtete, dass Heather irgendwann übernehmen würde, ohne dafür bereit zu sein. Ich weiß, dass sie hoffte, Cicely würde rechtzeitig nach Hause kommen und ihren Platz einnehmen, aber sie hatte keine Ahnung, was aus dir geworden ist, meine Liebe.«

            Es tat weh, auf meine Schwächen hingewiesen zu werden. »Ich hatte niemanden, der mir beibringen konnte, wie ich meine Magie richtig anwenden kann«, brachte ich gepresst hervor.

            Anadey schüttelte den Kopf. »O Himmel, du glaubst doch nicht, ich wollte dich kritisieren? Ganz bestimmt nicht! Du hast keine Vorstellung davon, wie weit du im Alleingang und nur durch Erfahrungen gekommen bist. Du bist viel stärker, als du glaubst. Sagen wir eher, du hattest niemanden, der dir beibringen konnte, wie man die Magie richtig anwendet.«

            Während ich noch über ihre Worte nachdachte, räumte Rhiannon schweigend die Keksteller vom Tisch und spülte sie ab. Dann trocknete sie ihre Hände und wandte sich wieder Anadey zu.

            »Denkst du denn, dass du mir helfen könntest? Und wirst du mir helfen?«

            Anadey seufzte tief und nickte. »Ja. Aber du musst in gewisse Bedingungen einwilligen. Du musst dich auf mich einlassen. Du musst auf mich hören. Ich will dir nicht die üblichen Praktiken beibringen, sondern den Weg weisen, der für dich der beste ist. Jede Hexe ist anders, jeder Zauberer muss herausfinden, wie er persönlich mit den Kräften, die ihm zur Verfügung stehen, umgeht. Wie immer du dich selbst nennst, du bist eine Magiegeborene, und du bist eine Tochter des Feuers. Wirst du auf mich hören, auch wenn du dich fürchtest?«

            Rhiannon blickte auf, und der ängstliche Ausdruck in ihren Augen schwand. »Ja, das werde ich.«

            »Dann fangen wir gleich morgen an zu arbeiten. Sonntag. Also komm zum Sonnenaufgang und rechne damit, den ganzen Tag zu bleiben. Wir verpassen dir einen Schnellkurs. Und noch etwas, ihr zwei: Falls es irgendetwas gibt, mit dem ich euch dabei helfen kann, meine Tochter nach Hause zu bringen, dann sagt es mir. Denn aus irgendeinem Grund, Cicely, bin ich mir ziemlich sicher, dass du in dieser Geschichte den Mittelpunkt bildest und Peytons und Heathers Sicherheit von dir abhängt.«

            Die Verantwortung, die sie mir auflud, wog schwer. Als wir die Wohnung verließen, drehte ich mich um und sah Anadey durchs Fenster winken. Wenigstens würde Rhiannon endlich Hilfe bekommen und lernen, wie man die Kräfte benutzte, anstatt sich von ihnen benutzen zu lassen.

            Als wir nach Hause kamen, hatten Leo und Kaylin alles gegeben, um das Grundstück zu sichern. Es fühlte sich besser an – stärker –, als hätten wir einen Puffer zwischen Haus und Wald. Ich beschloss, mich heute der Geschichte der Vampirnation zu widmen, während Rhiannon sich noch einmal den Aufstieg des Indigo-Hofs vornehmen würde.

            Wir mussten uns so gründlich wie möglich mit beiden blutigen Welten vertraut machen. Allerdings muteten die Texte über lange Strecken biblisch an: seitenweise nur Namen, wer wen gezeugt hatte und wer von wem abstammte, dazwischen kurze Begegnungen mit Leuten, die vor Jahrhunderten gelebt hatten.

            Der Nachmittag verstrich, und als der Abend kam, machten sich Kaylin und Leo zum nächsten Fried-Chicken-Imbiss auf und brachten eine Auswahl verschiedener Gerichte mit. Als sie durch die Tür kamen, sah ich auf.

            »Ihr habt euch doch vergewissert, dass es dort zu keiner Kreuzkontamination mit Fisch kommen konnte, oder?«

            Es war Rhiannon, die antwortete. »Mach dir keine Gedanken. In dem Laden gibt es keine Spur von Schuppe oder Flosse. Nur Hähnchen.« Sie stellte die Kartons auf den Tisch und holte uns Teller und Servietten dazu. »Was machst du?«

            »Lesen, bis mir die Augen quer im Kopf stehen. Und ich glaube, ich habe endlich etwas gefunden, das wesentlich für uns sein könnte.« Ich griff nach einem Hähnchenschenkel, während ich mit der anderen Hand das Buch aufhielt.

  Die Najeeling-Prophezeiung (siehe auch Kap. 7: Untersuchung des Buchs der Untoten) spricht von einem Mitglied des Indigo-Hofs, das sich Seite an Seite mit seiner verräterischen Liebe zur Macht erhebt. Gemeinsam lösen sie die Ereignisse aus, die zum Krieg zwischen Vampirnation und Indigo-Hof führen werden. Der Ausgang dieses Kriegs ist nicht bekannt. Der Forscher, der das Buch der Untoten übersetzte, starb bei einem seltsamen Unfall, bevor er seine Arbeit beenden konnte, und das Buch selbst verschwand danach.    »Ich glaube, dass hier über Grieve und mich gesprochen wird.« Ich tappte auf das Buch, während ich gleichzeitig in mein Fleisch biss. Das Wort »verräterisch« machte mich nervös.

            »Wie kommst du denn darauf?«

            »Mist. Ich wusste doch, dass ich etwas vergessen hatte.« Denn jetzt fiel mir auf, dass ich ihnen noch immer nichts von meiner Begegnung mit Crawl erzählt hatte. Schnell beschrieb ich ihnen, was bei dem Blutorakel geschehen war. »Ich wollte es euch schon eher sagen, aber erst kam Grieve, und dann sind wir schon zum Marburry-Grab marschiert.«

            »Und du hast es nicht für nötig gehalten, uns das sofort zu erzählen? O Mann, Cicely, du kannst uns so was doch nicht einfach vorenthalten! Wir stecken schließlich alle in dieser Sache mit drin.« Leo wirkte gekränkt; offenbar mochte er das Gefühl, ausgeschlossen zu werden, ganz und gar nicht. Vielleicht war er aber auch angefressen, weil die Vampire bisher sein Territorium gewesen waren.

            »Von vorenthalten kann keine Rede sein. Und jetzt habe ich es euch ja gesagt. Im Augenblick passiert so viel, dass es nicht leicht ist, immer alles im Kopf zu behalten. Aber – ja, Crawl schien zu meinen, dass ich ›diejenige welche‹ bin, und ich habe das Gefühl, dass das hier zu dem passt, wovon er gesprochen hat.« Ich zuckte mit den Achseln. »Ob es uns gefällt oder nicht, die Vampire halten mich anscheinend für besonders förderungswürdig. Mir wär’s sehr viel lieber, wenn sie mich nicht kennen würden, aber dies hier ist doch der Grund, warum sie wollen, dass ich für sie den Indigo-Hof ausspioniere: Sie hoffen, dass ich dadurch diesen verdammten Krieg auslöse, und sie sind sich sicher, dass sie ihn gewinnen werden.«