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            Können sie uns sehen?

            Der Uhu antwortete. Ja, Geister und Eulen sind eng miteinander verbunden. Wir sind Kreaturen der Dunklen Magie. Wir kommen im Schatten der Bean Sidhe und bringen Kunde von den Toten. Geister und Gespenster sind Teil unserer Kultur.

            Wer seid ihr? Und was ist das hier? Wie mache ich das?

            Du bist, wie dein Liebhaber, zu einem Teil Cambyra-Fee. Du bist nur zur Hälfte magiegeboren, die andere Hälfte stammt von den dämonischen Feen ab. Dein Vater war einer von den Uwilasidhe, dem Eulenvolk.

            Zur Hälfte Fee. Ich war zur Hälfte Fee? Mein Verstand versuchte, diesen Gedanken zu verarbeiten, aber ein anderer störte meine Konzentration empfindlich. Du kanntest meinen Vater? Wie war er denn? Wie hieß er? Lebt er noch?

            Ja, ich kannte deinen Vater, und deine Mutter auch. Und ja, er lebt noch. Er heißt Wrath.

            Kann ich ihn treffen – geht das?

            Der Uhu schwieg, während wir noch einen weiteren Kreis um das Haus zogen, doch dann landete er leichtfüßig wieder in der Eiche. Er stieß einen durchdringenden Schrei aus, den ich beantwortete.

            Nicht jetzt, nicht hier. Aber er weiß von dir, Mädchen. Er weiß von dir.

            Und dann schwang er sich wieder empor und tauchte hinab, und wieder jagten wir durch die Nacht, und an seiner Seite lernte ich, wie man die Schwingen benutzte und flog.

            Früh am Morgen landete der Uhu auf der Dachrinne über meinem Fenster. Zu Tode erschöpft landete ich neben ihm. Wir waren die ganze Nacht geflogen, hierhin und dorthin, doch niemals über oder in Mysts Wald hinein.

            Es wird Zeit, dass du deine andere Gestalt wieder annimmst.

            Ich blinzelte. Meine andere Gestalt. In der vergangenen Nacht hatte es Momente gegeben, in denen ich vergessen hatte, dass noch eine andere Gestalt existierte.

            Wie mache ich das denn? Ich kann mir die Kette nicht abnehmen.

            Konzentrier dich einfach darauf, loszulassen. Aber mach es erst drinnen, sonst fällst du vom Dach. Uleans Stimme war klar und unterschied sich deutlich von der des Uhus.

            Während ich noch überlegte, wie ich hineinkommen sollte, um mich zurückzuverwandeln, erschien Kaylin in meinem Zimmer und drückte behutsam das Fenster auf. Er streckte den Arm heraus, und ich hüpfte darauf, dann holte er mich rein und setzte mich auf dem Boden ab.

            Ungeschickt watschelte ich umher; die Krallen waren eindeutig nicht für Holzböden geschaffen.

            Lass die Gestalt einfach los …

            Uleans Stimme drang durch den Windschatten, und ich war froh, dass sie mich trotz der veränderten äußeren Form verstehen konnte.

            Lass die Gestalt einfach los …

            Ich beruhigte meinen Gedanken und versenkte mich tief in mein Inneres. Bewusst stellte ich mir vor, wie sich die Eulengestalt auflöste und ich als Mensch daraus hervorg… Ping! Splitterfasernackt, die Kette noch um den Hals, ging ich polternd zu Boden.

            Eins musste man Kaylin wirklich lassen: Anstatt mich anzuglotzen, zog er sofort die Decke vom Fußende meines Bettes und legte sie über mich. Langsam richtete ich mich auf und rieb mir den Schädel, der höllisch schmerzte. Der Anhänger pochte leicht an meiner Brust.

            »Bevor wir auch nur anfangen, darüber zu reden, geh bitte zuerst runter und mach mir einen Tee.« Ich ließ die Decke fallen und schlüpfte in den dicken Frotteebademantel, den Rhiannon mir geliehen hatte. Dieses Mal sah Kaylin hin.

            »He, du Spaßvogel. Pack deine Augen wieder in den Kopf.« Verärgert sah ich ihn an, und er lachte leise.

            »Tut mir leid, aber du bedeckst dich ja nicht gerade züchtig.«

            »Ich war eben gerade noch eine Eule und bin ein paar Stunden draußen im Garten rumgeflogen. Meinst du wirklich, dass Züchtigkeit das ist, was mir als Erstes in den Sinn kommt? Ich meine, komm schon, das war ja wohl …« Meine Stimme wurde weicher, und der Sarkasmus verschwand daraus. »Es war das Irrste, was mir je passiert ist.«

            Er gab nach. »Sorry, ich bin zwar alt, aber im Vergleich zu anderen meiner Art noch jung. Und du hast eine starke Anziehungskraft, Cicely, die sich nicht einfach so ignorieren lässt. Was ist da draußen passiert?«

            »Erst der Tee.«

            Während ich zitternd ins Bett schlüpfte, weil ich mich plötzlich vollkommen durchgefroren fühlte, lief Kaylin die Treppe hinunter und kehrte zehn Minuten später mit einem Tablett mit Tee, zwei Tassen, ein paar Toastscheiben und Marmelade zurück.

            Während wir tranken und aßen, erzählte ich ihm alles. Erzählte ihm von meinem Gefühl, eine Verbindung zu Eulen zu haben, von den Tätowierungen, die ich mir hatte machen lassen, obwohl ich nicht gewusst hatte, warum ich es unbedingt wollte, von der Eulenfeder, die ich eines Morgens auf meinem Kopfkissen gefunden und behalten hatte, ohne mich jemals zu fragen, wo sie hergekommen war und warum sie dort gelegen hatte.

            »Der Uhu im Wald hat gesagt, dass ich – wie Grieve – von den Cambyra-Feen abstamme. Kann das sein?« Ich blickte auf meine Hände und sah sie plötzlich anders als zuvor. Dass ich eine Magiegeborene war, hatte ich immer gewusst, aber nun zu erfahren, dass ich auch einen guten Teil Fee in mir hatte, hieß doch, dass ich mich bisher niemals wirklich gekannt hatte. Nicht ganz zumindest.

            »Ob das sein kann? Natürlich. Ob es stimmt? Tja, sieht so aus. Wie willst du sonst erklären, was passiert ist? Okay, wahrscheinlich könnte es auch eine höchst komplizierte Falle sein, aber irgendwie kann ich es mir nicht vorstellen.« Er vergewisserte sich, dass ich es bequem hatte, sicherte mein Fenster und überprüfte, ob die Schutzzauber stark genug waren, dann verließ er mein Zimmer und ging nach unten.

            Ich starrte hinaus in die zunehmende Dämmerung und versuchte, alles zu durchdenken, was ich erlebt hatte, aber die Schönheit der Erfahrung strömte immer wieder mit aller Macht auf mich ein und verdrängte Vernunft und jeden klaren Gedanken. Bald darauf döste ich ein, und in meinem Traum schwang ich mich erneut mit dem Uhu in den klaren Nachthimmel hinauf.

            20. Kapitel

            Am nächsten Morgen war ich so steif, dass ich kaum aus dem Bett steigen konnte. Meine Schultermuskulatur pochte in einem wummernden Schmerz, den ich noch nie gespürt hatte. Ich dachte an die Nacht zurück und überlegte, ob es die Verwandlung gewesen war – ob meine Flügel jungfräulich gewesen waren und die Übung gebraucht hatten, um Kraft aufzubauen.

            Rhiannon wartete unten, Leo und Kaylin waren ebenfalls da. Alle blickten zu mir auf, und ich begriff, dass Kaylin geplaudert hatte. Na ja, okay, dann blieb mir wenigstens erspart, alles noch einmal zu erzählen.

            »Und wie war eure Nacht?«, fragte ich, und rutschte auf meinen Stuhl, als Leo mir einen Teller mit Eiern und Speck hinstellte. Ich blickte auf, nur um festzustellen, dass mich alle drei schweigend anstarrten. »Was ist denn? Ja, okay, ich habe mich gestern in eine Eule verwandelt, bin ein bisschen rumgeflattert und habe jetzt teuflischen Hunger und einen höllischen Muskelkater. Was soll ich sonst noch sagen?«