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            Während ich auf den Wagen zuging, holte ich mein Telefon hervor und wählte. Rhiannon ging dran. »Frag mich bitte nicht, wie es war, nicht jetzt, okay? Bitte tu mir einen Gefallen. Geh in mein Zimmer und sag laut: ›Ulean, Cicely braucht dich jetzt am Dovetail Lake.‹ Kannst du das machen?«

            »Ja, sicher, aber was ist denn los?«

            »Ich weiß nicht, aber jemand will mich dort treffen, und ich schwöre, ich kenne die Stimme. Sie kam über den Windschatten, und sie klingt wie eine, die … die ich als Kind gehört habe.«

            »Soll ich auch lieber kommen?«

            »Nein«, sagte ich nach kurzer Überlegung. »Bleib mit Kaylin dort und passt auf das Haus auf. Es wird nicht lange dauern, und Leo ist ja bei mir.« Während ich die Verbindung unterbrach und in den Wagen stieg, kam mir der Gedanke, dass mein Leben in verdammt kurzer Zeit verdammt kompliziert geworden war. Mein altes Leben war ein Alptraum gewesen, aber ich konnte nicht behaupten, dass dies hier wesentlich besser war. Nur hast du jetzt Grieve und deine Cousine wieder, meldete sich mein Bewusstsein zu Wort.

            Ich lächelte. Das ist wahr, erwiderte ich in Gedanken. Ich habe Grieve und meine Cousine, und beide sind es wert, dass man um sie kämpft.

            Leo hatte nach dieser Fahrt nichts mehr zu tun, also willigte er nach einem kurzen Streit ein, mich am See vorbeizufahren. Dort angekommen, stieg ich aus und warnte ihn, auf jeden Fall im Auto zu bleiben. »Du musst abhauen können, wenn es sich um eine Falle handelt. Wenn alle Stricke reißen, versuche ich, mich wieder in eine Eule zu verwandeln und so zu fliehen.«

            »Das gefällt mir überhaupt nicht«, murrte er, aber ich zog die Trumpfkarte und gab das arme kleine Ding, das gerade vom Vampir gebissen worden war und daher das Recht hatte, seinen Willen durchzuboxen. Schließlich gab er nach und blieb im Auto sitzen.

            Dovetail Lake war ein kleiner See oder ein großer Teich, je nachdem, wie man es sehen wollte, der etwas abseits einer einsamen Straße lag. Umgeben von Erlen und Kiefern, Zedern und Trauerweiden, war er ein Tummelplatz für Wochenendkrieger, die einen ruhigen Platz zum Angeln suchten. Zum Baden war er nicht geeignet, weil er sehr tief war und der Grund bereits kurz nach dem Ufer steil abfiel. Als ich das letzte Mal zu Hause gewesen war, waren zwei Jungen ertrunken, die hier zu schnorcheln versucht hatten.

            Leise ging ich über den Parkplatz, tastete mich den Weg zum Anleger hinunter und blieb abwartend an mit Eis überzogenem Schilf und Gräsern stehen, die gerupft und verwittert aussahen. Das Wasser war unruhig und finster und schäumte um die Ansammlung, wann immer der Wind die Oberfläche kräuselte. Ich lehnte mich gegen das Geländer – vorsichtig, da es nicht besonders stabil wirkte – und glaubte plötzlich, etwas im Busch zu hören.

            Als ich mich umdrehte, löste sich eine Gestalt aus dem Dickicht, das sich am Ufer duckte. Die Gestalt leuchtete, war wunderschön und von silbernem Feuer umhüllt. Mir stockte der Atem, und ich trat langsam wieder vom Anleger zurück ans gefrorene Ufer und ging auf sie zu.

            »Lainule.« Ich betrachtete die Feenkönigin, die in dem zerschlissenen Ornat des Sommers vor mir stand. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht sprach von Traurigkeit und Verlust, von Schmerz und dem Überdruss, den der Krieg manchmal mit sich brachte. Etwas in mir weckte eine Erinnerung, und ich kniete mich vor sie, als mir bewusst wurde, dass ich zu ihrem Volk gehörte, wenn ich eine Cambyra-Fee war. Als sie mich sanft am Kopf berührte, sah ich zu ihr auf.

            »Erhebe dich, Cicely. Ich bin dankbar, dich zu sehen, und froh, dass du meinem Ruf gefolgt bist, wieder nach Hause zu kommen.« Ihre Stimme tanzte über den Worten, leicht und musikalisch und jede Silbe anders.

            »Lady. Ihr wart also diejenige, die mich zurückgerufen hat?«

            »Ja, und meine Wächter. Die Eule hat dich nach Hause gerufen, Grieve hat dich nach Hause gerufen, und auch ich habe dich nach Hause gerufen. Wir brauchen dich, Cicely.«

            »Aber was kann ich denn ausrichten?« Hilflos sah ich sie an. »Ich kann Myst nicht bekämpfen – sie reißt mich in Stücke.«

            »Nein, du kannst sie nicht direkt bekämpfen, aber es gibt Möglichkeiten, sie zu schwächen, sie niederzuringen. Sie hat die Höfe besudelt, den Dunklen und den Lichten. Sie hat den Hof von Schilf und Aue vernichtet, und sie ist ein Verbrechen gegen die innerste Seele, gegen jede Moral, die die Essenz unseres Volks ausmacht. Das auch deines ist, wie du nun weißt. Es ist an der Zeit, sie aus ihrem Versteck zu scheuchen, einen Krieg zu beginnen, sie aufzuhalten.«

            Lainule streichelte mein Kinn und lächelte, und ihr Lächeln war ungezähmt und beängstigend, aber es rief mich zu ihr. Ich begab mich in ihre Arme, und sie murmelte sanfte Worte in mein Ohr, strich mir übers Haar, küsste mich auf die Stirn.

            »Ich wollte dich nicht gehen lassen, als du noch so jung warst, aber es war nötig. Du musstest erst fern von New Forest, fern von deinem Volk erwachsen werden, bevor du wieder zurückkehren konntest. Du musstest dich mit beiden Seiten deines Erbes anfreunden und lernen, wie du auf eigenen Füßen stehst. Deine Mutter ist geopfert worden, also hoffen wir auf dich.«

            Da blickte ich zu ihr auf – sie war groß, so groß und strahlend –, und ihr Lächeln blendete mich. »Meine Mutter …«

            »Krystal wurde von mir und deinem Vater als deine Mutter ausgewählt.«

            »Und Rhiannon? Ist sie wie ich?«

            »Das muss sie selbst herausfinden, aber der Weg, den sie einzuschlagen hat, verläuft ein wenig anders. Das Feuer in ihr ist stark.«

            »Kann ich meinen Vater kennenlernen?« Ich hatte mich immer gefragt, wer er war und warum er gegangen war, nachdem er meine Mutter geschwängert hatte.

            »Bald.« Sie schob mich behutsam von sich und musterte mich von Kopf bis Fuß. »Entzückend. Du bist hübsch geworden, Kind.«

            »Was kann ich denn tun? Wie soll ich dabei helfen, Myst zu bekämpfen? Wie kann ich Peyton befreien, bevor sie sie töten?« Aufmerksam betrachtete ich ihr Gesicht und betete, dass es ihr genug bedeutete, um mir zu helfen.

            »Peyton? Was geschehen wird, wird geschehen. Peytons Schicksal liegt nicht in meinen Händen, sondern in deinen. Aber jetzt geh nach Hause und warte. Grieve wird zu dir kommen, und du darfst ihm nichts von dieser Begegnung erzählen. Aber ihr zwei gehört zusammen. Er ist nicht der Feind – nicht im allgemeinen Plan der Dinge.« Lainule wandte sich zum Gehen, blieb dann aber stehen und sah über ihre Schulter.

            »Willkommen zu Hause, Cicely … sowohl in New Forest als auch in deiner wiedergefundenen Familie. Du magst für die Vampire arbeiten, aber tief im Herzen des Geschehens bist du mein, zumindest dieses Mal. Und du wirst vor allem und letztendlich mir gehorchen, andernfalls habe ich keine Bedenken, dich in dieser Schachpartie zwischen Myst und mir als Bauernopfer einzusetzen.«

            Und damit verwischten ihre Umrisse, ihr Licht erlosch, und sie ward nicht mehr gesehen.

            »Ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll. Erst haben wir einen Krieg zwischen Vampiren und Vampirfeen, und nun noch einen weiteren – diesmal zwischen Lainule und Myst. Und aus irgendeinem Grund stecke ich im Auge des Sturms fest. Der Indigo-Hof ist jetzt gleich doppelt mein Feind, und ich habe noch nicht einmal eine Ahnung, weswegen – außer, um die Vampirfeen daran zu hindern, alles kaputt zu machen, was sie anfassen.«