»Oh, du willst es wissen? Na schön, ich sag’s dir. Lannan Altos, Professor am Konservatorium. Und ja, er hat mein Blut getrunken, er hat mich gezwungen, darum zu betteln, und als seine Zähne sich in meinen Hals schlugen, hat er mir einen so gigantischen Orgasmus verschafft, dass ich fast ohnmächtig geworden wäre. Er hat sich prächtig amüsiert, und obwohl ich versucht habe, ihn innerlich abzuwehren, bin ich wieder und wieder gekommen.«
»Hör zu, ich will das nicht wissen –«
»O doch, du hast mich gefragt! Einmal im Monat muss ich ihm ein Tässchen Blut – oder wie viel er gerade will – überlassen. Vielleicht sollte ich ihnen einfach direkt mein Leben überschreiben, dann habe ich es hinter mir. Du solltest doch wissen, wie es ist, für einen unnachgiebigen Despoten zu arbeiten.«
Ich erwartete, dass er durch die Tür verschwinden oder aus dem Fenster hüpfen und nie wiederkommen würde, aber Grieve ließ sich nur aufs Bett sinken.
»Ich hätte nie gedacht, dass du so weit gehen würdest, um sie zurückzubekommen.«
»Ach, und was genau hast du gedacht? Dass wir ruhig zusehen, ohne uns zu wehren, wie deine neue Familie sie in Stücke reißt, sie ausbluten lässt? Rhiannon und ich sind Cousinen. Heather ist meine Tante – oder war es. Jetzt ist sie eine wandelnde Tote, und weißt du was? Es macht uns fix und fertig. Rate mal, was passiert ist, als Heather als Botin herkam. Rhiannon hat versucht, sie bei lebendigem Leib zu grillen!«
Als er erschreckt aufblickte, kam ich näher.
»O ja, du hast richtig gehört. Sie hat versucht, Heather zu verbrennen. Ihre Mutter ist nun eine Vampirin, Sklavin einer grausamen Königin. Heathers Zauberkunst ist zur Waffe eures Hofs geworden. Also hat Rhiannon versucht, sie zu töten!«
Grieve ließ seinen Kopf in die Hände sinken, und seine Schultern begannen zu beben, und das schockierte mich derart, dass ich ihn nur stumm ansehen konnte. Er weinte, und es waren keine Krokodilstränen. Ich kniete mich neben ihn, hob sein Kinn mit einem Finger an und sah ihm direkt in die Augen.
»Ich bin heute gekommen, um dir das von Heather zu sagen. Ich hatte solche Angst, dass du mich rauswirfst … dass du mich niemals wiedersehen wolltest.«
Tränen strömten ihm über das Gesicht und flossen jetzt in Bächen seine Wangen herab. Er war so fremd, und mir doch so vertraut. Ich kannte ihn, kannte ihn durch und durch. Ich überlegte, wann und wie ich ihm sagen sollte, was ich über meine Abstammung herausgefunden hatte, als plötzlich eine Erinnerung aufblitzte …
Wir saßen zusammen auf der Kuppe eines Hügels, und er hielt meine Hand. Nur war er nicht Grieve und ich nicht Cicely, und doch waren wir dort, zusammen, und blickten auf die blutigen Leichen, die uns umgaben.
»Geliebte, wir sind verloren, das weißt du, nicht wahr?«
Und ich – auch wenn es nicht ich war – nickte. »Sie werden jeden Moment hier eintreffen. Und dieses Mal lassen sie uns nicht mehr gehen. Was sollen wir tun?«
Er hielt eine Flasche hoch. »Wir können hiermit in die Zukunft reisen. Wenn wir dies gemeinsam trinken, dann werden wir uns in einer anderen Zeit wiedersehen. Und wenn uns die Götter gnädig sind, werden wir nicht wieder durch unsere Familien, unsere Kulturen auseinandergerissen.«
Er strich mir mein langes Haar zurück und schüttelte den Kopf. »Ich liebe dich mehr als das Leben selbst«, flüsterte er. »Sie werden uns töten, das weißt du. Sie werden uns foltern und in Stücke reißen.«
Ich nickte. Sie wollten unsere Köpfe, und es gab keinen Ausweg mehr für uns. Ich nahm die Flasche und erkannte die Flüssigkeit darin. Daran würden wir sterben, ja, aber sie würde uns die Möglichkeit lassen, in einer Zukunft wieder zurückzukehren, uns wiederzufinden, zu beenden, was wir in diesem Leben begonnen hatten.
»Fest steht jedenfalls, dass wir ein ziemliches Gemetzel hinterlassen. Deine Familie kann meinen Schatten nicht ertragen«, sagte ich.
»Und deine mein Licht nicht. Süße Cherish. Bitte, sie dürfen uns nicht trennen. Wer weiß, ob wir einander im Land der Silbernen Wasserfälle wiederfinden? Das hier bindet uns an das Rad, und wir werden gemeinsam zurückkehren.«
Ich ließ den Verschluss der Flasche aufspringen. »Vergiss mich nicht, Shy. Erinnere dich an mich und suche mich. Wenn ich in diese Welt zurückkehren soll, dann musst du mir versprechen, dass du nach mir suchst.«
Er legte die Hand über meine, als ich die Flasche an die Lippen setzte. »Ich verspreche es, Cherish, bei meinem Blut, bei meinem Herzen. Ich werde dich noch mit meinem letzten Atemzug suchen.«
Ich neigte die Flasche, trank die Hälfte des Gifts und reichte sie ihm weiter. Er trank den Rest, und wir schmiegten uns aneinander, hielten uns fest und lauschten den fernen Rufen derer, die uns jagten. Sie würden uns finden, ja, aber sie konnten uns nicht mehr fangen. Wir waren in die Zukunft entkommen.
Und wir würden uns wiedersehen.
Bebend setzte ich mich zurück und starrte ihn an. »Wir waren … früher schon zusammen. Irgendwie habe ich mir das schon gedacht.«
»Cicely …« Grieve zog mich in seine Arme, und seine Tränen flossen nun ungehindert. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich auf dich gewartet habe. Und nun, da du dich erinnert hast, können wir wirklich zusammen sein. Ich liebe dich. Ich liebe dich seit vielen Leben. Jetzt sind wir wieder zusammen, und ich werde dich nicht wieder gehen lassen.«
Zusammen, ja, aber erneut auf verschiedenen Seiten. Im Dienst erbitterter Feinde, gnadenlosen Völkern verpflichtet, die das Blut der anderen vergießen wollten. Doch alles wurde davongespült, als er meine Lippen fand und mich innig küsste. Grieve ließ seinen Mund über meine Kehle wandern, leckte die Wunden, die Lannan mir zugefügt hatte, und hinterließ seinen eigenen Geruch, seine Duftmarke, um mich für sich zu beanspruchen. Ich zog an seinem Hemd, und im Handumdrehen war er genauso nackt wie ich.
Ich begehrte ihn, brauchte ihn, wollte mich von der Erinnerung an Lannans Berührung reinigen. Ich strich mit der Zunge über seinen Bauch, seinen Oberschenkel, über seine wachsende Erektion, die groß und hungrig war. Grieve stöhnte und zog mich zu sich hoch. Er dirigierte mich auf seinen Schoß, und ich kniete mich rittlings über ihn. Er schob einen Arm um meine Taille, den anderen unter meinen Hintern und hielt mich im Gleichgewicht, und als wir uns rhythmisch wiegten, versank ich in den Spiegeln seiner Augen. Und mit der dunklen Welle, auf der wir ritten, vergaß ich die Vampire, die Kriege, die Demütigungen und wusste wieder, was wahre Liebe war.
22. Kapitel
Nachher nahm Grieve mich in die Arme, und das Wirbeln der Sterne in seinen schwarzen Augen ließ mich schwindeln. »Ich weiß, dass du vergangene Nacht geflogen bist, und ich weiß, dass du herausgefunden hast, wer du wirklich bist. Ich konnte es dir nicht sagen. Du musstest es selbst erfahren.«
Ich fühlte mich fast ein wenig fiebrig, als ich meinen Kopf an seine Schulter legte. »Selbst wenn du es mir gesagt hättest, ich hätte dir nicht geglaubt. Was sollen wir jetzt tun, Grieve? Myst hat dich in der Hand, und ich arbeite für ihre Feinde. Jetzt hat sie auch noch Heather – eine mächtige Hexe –, und wer weiß, wie viele andere Magiegeborene sie verwandelt hat?« Lainules Warnung lastete mir schwer auf der Seele, und sosehr ich es ihm sagen wollte, sosehr ich ihn beruhigen wollte, dass sie noch lebte, ich hielt meinen Mund.