»Ich helfe dir, Peyton zu befreien. Irgendwas wird mir schon einfallen. Es muss eine Möglichkeit geben.« Er streifte sich seine Sachen wieder über.
»Aber wie? Wir müssen schnell handeln. Wenn sie versuchen, sie zu verwandeln, dann könnte sie die Tatsache, dass sie ein Halbblut ist, umbringen.«
Grieve zog die Stirn in Falten, als er nachdachte. »Ich denke mir eine Ablenkung aus, so dass ich – oder Chatter – sie rausschaffen kann. Es muss etwas geben, mit dem man Mysts Aufmerksamkeit so gründlich fesseln kann, dass ein großer Teil ihrer Wachen sich darauf konzentriert.«
»Mit Feuer. Wir fackeln den Wald ab! Das sollte genug ihrer Leute hervorlocken.« Ich zog mein Nachthemd und den Bademantel an. Ich wollte jetzt nur noch schlafen, wollte mich vom Sex, von der Blutspende, von allem erholen.
»Du kannst den Wald nicht niederbrennen! Du darfst noch nicht einmal an so etwas Schreckliches denken! Der Goldene Wald ist unsere Heimat, unser Zuhause.« Grieves Gesichtsausdruck erschütterte mich.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich werde tun, was immer notwendig ist – niemand anderem muss das gefallen. Im Übrigen liegt zu viel Schnee, als dass es einen Großbrand geben könnte. Es wird gerade reichen, ihre Aufmerksamkeit zu wecken.«
»Warte noch. Gib mir noch diese Nacht. Ich denke mir etwas aus. Tu nichts Überstürztes.« Er klang so flehend, dass ich nachgab.
»Na gut, aber wenn du bis morgen keinen Plan hast, dann nehme ich meine Streichhölzer und zünde ein paar Bäume an, hast du verstanden? Ich tue, was ich kann, um all die zu retten, die im Marburry-Grab vielleicht noch überlebt haben!«
Grieve nickte, dann küsste er mich wieder und verschwand durchs Fenster in die Nacht. Erschöpft verschloss ich es, errichtete wieder den Schutzzauber und kroch ins Bett. Der Wolf auf meinem Bauch grummelte satt und zufrieden, und doch … da war etwas, etwas Merkwürdiges …
Entschlossen, das leichte Unbehagen zu ignorieren, schaltete ich das Licht aus und schlief praktisch schon, noch bevor mein Kopf das Kissen berührte.
Am nächsten Morgen war Rhiannon bereits zu Anadey gegangen, als ich aufstand. Kaylin hatte offenbar beschlossen, vorübergehend bei uns einzuziehen, denn er war noch da und machte außerdem Frühstück. Leo war auf dem Sofa im Wohnzimmer eingepennt. Ich legte die Stirn in Falten. Unser Haushalt benötigte dringend eine gewisse Ordnung, wie mir schien.
»He, Kaylin, willst du hier bei uns wohnen, oder was? Wenn ja, dann sollten wir zusehen, dass du ein Zimmer kriegst. Und wieso ist Leo gestern Nacht nicht nach oben gegangen? Er und Rhiannon teilen sich doch ihr Schlafzimmer.«
Kaylin wendete die Pfannkuchen, dann reichte er mir einen großen Milchkaffee mit Zimt auf dem Schaum. »Ja, ich denke, ich sollte ein Weilchen bei euch bleiben. Ich habe eine Unterkunft, aber ihr braucht mich hier. Was Leo betrifft: Er hat ständig geglaubt, draußen etwas zu hören. Wir sind ungefähr einmal stündlich vor der Tür gewesen, um nachzusehen, aber da war nie etwas. Wahrscheinlich konnte er einfach nicht schlafen.«
»Tja, nun. Grieve ist gestern bei mir im Zimmer gewesen. Er hat versprochen, sich etwas auszudenken, wie wir Peyton lebend zurückholen können.« Ich nippte an dem Becher und war dankbar über das Koffein, das schon jetzt durch meinen Kreislauf tobte. Ich hatte mal gehört, dass es eine Dreiviertelstunde dauerte, bis der Stoff wirkte. Konnte nicht stimmen. »Mann, hast du den Kaffee stark gemacht.«
»Dafür wirst du auch schnell wach. Wie geht’s deinem Hals heute Morgen?«
Ich betastete den Bereich, in den Lannan seine Zähne geschlagen hatte. Die Wundränder fühlten sich heiß und entzündet an. »Kannst du mal nachsehen? Mir ist flau im Magen, seit ich gestern aus Lannans Büro gekommen bin, und das hat nicht nur mit dem zu tun, was dort passiert ist.«
Als Kaylin behutsam mein Haar zur Seite strich, um die Wunde zu untersuchen, zuckte ich zusammen. Das elende Gefühl in meinem Bauch verstärkte sich. Und in diesem Moment erhob sich mein Wolf und wimmerte. Ein brennender Schmerz raste durch meinen Körper, so trocken, dass ich mich wie ein Kienspan fühlte, an den man ein Streichholz hielt. Mein Wolf war krank. Grieve war krank.
»Hilf mir, Kaylin. Mir geht’s nicht gut.« Ich wollte aufstehen, doch meine Knie gaben nach, und Kaylin fing mich auf. Durch den Nebel, der mein Bewusstsein einzuhüllen begann, hörte ich, wie er Leo anbrüllte, er solle gefälligst aufwachen, und dann spürte ich, wie er mich die Treppe hinauftrug. Ich stöhnte, als er oben mit mir gegen das Geländer stieß. Der Klang hastiger Schritte hinter uns durchdrang den Dunst.
»Was ist los? Was hat sie?« Leos Stimme hallte durch die Schwärze. Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Augen geschlossen waren, und versuchte, sie wieder zu öffnen.
»Ich weiß nicht. Sie sagte, ihr sei heiß und sie fühle sich nicht gut. Guck dir die Wunde am Hals an. Verdammt, was wird das?«
Leo sog scharf die Luft ein, und ich schaffte es, meine Augen einen winzigen Spalt zu öffnen. »Wasser. Ich verdurste.«
Kaylin strich mir mit der Hand über die Stirn. »Sie hat Fieber, aber nicht sehr. Hol ihr Wasser. Mach schon.«
Meine Lider fielen wieder zu, Leos Gesicht verschwand, und ich schickte meine Gedanken aus und suchte Trost bei der einen, die mich am besten kannte.
Ulean, bist du da? Hilf mir bitte.
Ich bin hier, Mädchen. Es wird wieder gut. Nicht du bist krank.
Was soll das heißen? Mir ist sterbenselend.
Ich weiß, Mädchen, ich weiß, aber vertrau mir, dir wird nichts geschehen. Steh es durch, die Welle geht vorüber, und ich gebe alles, um dich so weit herauszuholen, dass Leo dir helfen kann.
Was für eine Welle? Wovon sprichst du? Und warum tut mir der Bauch so weh, wenn ich nicht krank bin?
Weil, meine Liebe … weil Grieve krank ist. Sehr krank sogar. Du musst dich durchkämpfen, musst dich aus der Verbindung zu ihm befreien, damit du ihm helfen kannst.
Und dann waren Leos Hände hinter mir, und er hob mich an, damit ich trinken konnte. Das Wasser war kalt, Eis auf Feuer, und ich stieß einen einzelnen Schrei aus, als mein Magen sich wieder verkrampfte.
Nein! Bitte nicht! Lass mich raus … sofort!
Der Sog des Windschattens ließ ein klein wenig nach. Ich sah eine Chance, aus der Verbindung auszubrechen, und machte einen Satz auf die Lücke zu. Es gab ein reißendes Geräusch und ein entsetzliches Winseln, als würde mein Wolf zerfleischt, und dann – ganz plötzlich – landete ich sicher in mir selbst und wusste, dass die Verbindung getrennt war. Meine Bauchdecke tat noch weh von den Krämpfen, aber der Schmerz ging bereits zurück. Der Nebel verzog sich.
Mit Kaylins und Leos Hilfe setzte ich mich langsam auf. Ich zitterte. »Was zum Geier war das denn? Irgendwas ist Grieve passiert – ich weiß es!« Ich versuchte, aufzustehen und zur Tür zu stürzen, aber sie hielten mich fest und drückten mich aufs Bett zurück.
»Ich muss dich untersuchen, Cicely.« Leo hielt eine kleine Tasche hoch. »Ich habe meine Heilerausrüstung mitgebracht, als ich das Wasser geholt habe. Du solltest nicht aufstehen, bevor wir nicht wissen, was eben geschehen ist.«