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            Ich nickte, und in meinem Magen bildete sich erneut ein dicker Knoten. Lainule wirkte größer, stärker, mächtiger, als ich zuerst gedacht hatte, und sie konnte mich zwischen den Fingerspitzen zerquetschen, dessen war ich mir sicher. Ich hatte keinen Zweifel, dass ich geopfert werden würde, falls mein Tod Myst niederringen konnte.

            »Wir alle bewahren ein Gleichgewicht, und wenn einer – wie Myst jetzt – es zu stören versucht, dann bekriegen wir ihn mit allen Mitteln. Der Sieg hat Vorrang vor allem anderen. Und ich werde alles nutzen, was mir zur Verfügung steht, um die Fürstin der Verwüstung, die in mein Reich eingedrungen ist und meine Leute niedermetzelt, zu bekämpfen. Ob du oder Grieve damit hineingezogen werdet oder nicht … Ich werde tun, was ich tun muss. Das habe ich schon immer getan.«

            Ich wollte protestieren, aber etwas in ihrem Tonfall – eine Endgültigkeit, die eine Art Déjà-vu in mir hervorrief – mahnte mich, doch lieber zu schweigen. Es gab keine Worte mehr. Sosehr ich Grieve auch liebte, ich durfte seine Sicherheit nicht über das Ziel stellen, den Indigo-Hof zu schlagen.

            »Werdet Ihr uns helfen, Peyton zu retten? Wir denken, dass es vielleicht ein guter Zeitpunkt wäre, um zuzuschlagen. Wenn das Gift so wirkt, wie Ihr es beschreibt, dann sind sie abgelenkt und werden nicht allzu sehr auf sie achten.« Ich blickte zu Boden. »Wenn Ihr es nicht tun könnt, dann will ich Euch vorwarnen, denn ich werde es auch im Alleingang versuchen. Das muss ich. Ich bin zuallererst meiner Familie und meinen Freunden verpflichtet. Nun, da sie Heather verwandelt haben, ist mein oberstes Ziel, meine Freunde zu retten, selbst wenn es mich das eigene Leben kostet.«

            Lainule legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich kann meine Leute nicht mit dir schicken, aber ich werde dir etwas geben … Nimm es und nutze es besonnen. Und verlier es nicht.« Sie hielt mir einen filigranen, lackierten Fächer aus Eichenholz hin. »Er hilft dir dabei, den Wind zu beherrschen. Du kannst ihn auch mitnehmen, wenn du dich in deine Eulengestalt verwandelst.«

            Ich blinzelte und nahm den Fächer. Seine Magie summte stark und leuchtend. Als ich ihn öffnete, ertönte ein leises Rauschen, und ich spürte, dass sich der Wind rührte.

            »Schwenke den Fächer einmal, und du rufst eine kräftige Bö herbei. Zweimal schwenken bringt dir einen starken Wind. Dreimal, und du kannst auf dem Strom laufen. Aber der Fächer hat Einschränkungen. Nur du kannst ihn benutzen und auch nur dann, wenn dein Elementar bei dir ist. Ulean hat mich in den vergangenen Jahren über alles, was dich betrifft, auf dem Laufenden gehalten, und sie ist unmittelbar mit dem Fächer verbunden.«

            »Ulean? Ihr habt sie als Spionin gegen mich eingesetzt?« In dem Gefühl, verraten worden zu sein, blickte ich auf. Ulean hatte niemals auch nur angedeutet, dass sie mit der Königin von Schilf und Aue in Verbindung stand.

            Lainule legte einen Finger an meine Lippen. »Still, Kind. Das Elementar hatte keine Wahl. Sie ist mit dir verbunden, gehörte aber ursprünglich zu mir. Ich habe sie dir gegeben, damit sie dich beschützt.«

            »Ihr? Ihr habt sie mir gegeben? Ich wusste, dass Ihr Grieve gesagt hattet, er solle das Ritual vollziehen, aber ich wusste nicht … dass Ulean zu Euch gehört hat.« Ich blickte zu der Königin auf und sah etwas in ihren Augen, das ich nicht recht deuten konnte. »Warum helft Ihr mir? Abgesehen davon, dass ich Halb-Fee bin. Warum habt Ihr meine Mutter ausgewählt, das Kind eines Cambyra zu gebären?«

            Lainule zeigte auf das Portal, das aus ihrem Reich hinausführte. »Du musst nun gehen«, sagte sie, ohne auf meine Frage einzugehen. »Benutze den Fächer, wenn du deine Freundin zurückholen willst. Töte so viele Angehörige des Indigo-Hofs, wie du kannst. Und wenn du kannst, rette Grieve, und vielleicht finden wir eine Möglichkeit, die Verbindung zwischen ihm und dem Indigo-Hof zu unterbrechen. Und … rette auch Chatter. Er war immer einer meiner Lieblingsuntertanen, auch wenn er als Nicht-Adliger geboren wurde.«

            Ich sank in einen Kniefall – zumindest so gut mir das mit Jeans und Lederjacke gelang. »Vielen Dank. Ich werde mein Bestes geben. Und wenn wir irgendetwas tun können, um Grieve vor sich selbst zu bewahren …«

            »Ich weiß. Du liebst ihn. Aber ihr seid immer schon auf entgegengesetzten Seiten gewesen, Kind, solange ihr zwei existiert. Vielleicht könnt ihr diesmal zusammenkommen.«

            »Dann weißt du …«

            »Du musst jetzt gehen. Wenn du länger in meinen Gefilden bleibst, verfliegen die Jahre draußen. Aber wenn du jetzt gehst, ist draußen nur ein Moment vergangen.«

            Als wir uns zum Gehen wandten, sagte sie plötzlich: »Kaylin. Der Hof der Träume ist nur einen Schritt von meinem Reich entfernt. Pass gut auf. Dein Dämon will erwachen.«

            Kaylin fuhr herum, aber Lainules Wachen stießen uns durchs Portal zurück, und wir standen wieder in der bitteren Kälte. Inzwischen fiel dichter Schnee, und ich sah auf die Uhr. Wir waren höchstens fünf Minuten fort gewesen.

            »Kommt. Holen wir Rhiannon von Anadey ab, dann gehen wir jagen. Wie es aussieht, sind wir nun Soldaten in einem Drei-Parteien-Krieg, obwohl ich mir wirklich nicht mehr sicher bin, auf welcher Seite wir stehen.«

            Kaylin schwieg nachdenklich, aber Leo schnaubte. »Ich denke, wir sind eine vierte Partei, Cicely. Siehst du nicht, dass wir inzwischen unsere eigene kleine Armee haben? Na los, wir sollten uns beeilen. Denn wenn der Indigo-Hof tatsächlich durch den Virus einen Schlag in die Magengrube erhalten hat, dann ist die Zeit genau jetzt reif, um uns einzuschleichen und zu sehen, was für einen Schaden wir ihnen zufügen können.«

            Und so machten wir uns auf den Weg zu Favonis. Zum Krieg. Zur Schlacht. Zur Rettung Peytons. Und hoffentlich … zum Überleben in Frieden.

            23. Kapitel

            Als wir ankamen, beendeten Anadey und Rhiannon gerade eine Reihe von Energiekontrollübungen. Wir warteten, bis sie fertig waren, erklärten, was geschehen war, und besprachen, was wir als Nächstes zu tun gedachten.

            »Ich bin so froh, dass Lainule am Leben ist, aber dass sie mit den Vampiren gemeinsame Sache macht, beunruhigt mich. Feenwesen und Vampire neigen dazu, sich zu misstrauen. Wenn sie sie um Hilfe bittet, muss sie die Lage als ziemlich verzweifelt einschätzen.«

            »Man hat ihr Volk niedergemetzelt, und sie hält direkt neben einem Parkplatz am See Hof«, sagte ich. »Das kann einen schon mal zur Verzweiflung treiben, würde ich sagen.«

            Anadey bedeutete uns zu warten. »Lasst mich mal sehen, ob ich etwas habe, was euch helfen kann. Ich würde mit euch gehen, aber ich bin älter und steifer als ihr, und das Letzte, was ihr gebrauchen könnt, ist jemand, der euch bei dieser Aktion bremst.«

            Ich nickte. Obwohl ich bezweifelte, dass sie uns wirklich nennenswert verlangsamen würde, war nun nicht der richtige Zeitpunkt, es darauf ankommen zu lassen. »Ich sage dir, was du tun könntest: Wenn wir erfolgreich sind, muss das Haus derart geschützt sein, dass nicht einmal eine Fliege durch den Schild kommt. Kannst du irgendetwas unternehmen, um unsere Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, während wir unterwegs sind? Denn was wir jetzt vorhaben, kommt einer Kriegserklärung gleich, und sie werden Rache wollen.«

            Vor allem dann, wenn es mir gelingt, ihnen Grieve und Chatter zu entführen, dachte ich.