»Mach ich.« Anadey untersuchte den Fächer, den Lainule mir gegeben hatte. Sie schauderte, als sie ihn berührte. »Das ist intensive, alte Magie, Cicely. So etwas gibt man nicht leichtfertig aus den Händen. Pass gut darauf auf und verlier ihn nicht.«
Sie hat recht. Die Königin von Schilf und Aue hat dich großzügig beschenkt. Unterschätz nicht, was das bedeutet. Ulean blies mir durchs Haar, und ich hörte das leise Klingeln in ihrer Stimme, das mir stets verriet, dass sie mehr wusste, als sie sagte.
Was weißt du über diese ganze Sache? Ich hatte keine Ahnung, dass du zu Lainule gehört hast, bevor Grieve uns zwei miteinander verschworen hat.
Das musste die Königin dir sagen – mir stand es nicht zu. Aber ich komme heute mit dir und bringe dir bei, wie man den Fächer am besten einsetzt.
Anadey wühlte in ihren Utensilien und nahm verschiedene Gegenstände heraus. Einen – eine kleine Flasche mit einer roten Flüssigkeit – reichte sie Rhiannon. »Du kannst nun das Feuer wieder zurückholen, also solltest du auch schon in der Lage sein, das hier zu nutzen. Der Trank verstärkt dein Feuer. Aber ich habe nur eine Dosis, also greifst du besser nur im äußersten Notfall darauf zurück.«
Leo und Kaylin bot sie kleine Schraubgläser an, in denen sich ebenfalls eine Flüssigkeit befand. »Eisenwasser. Die Halbblüter unter den Feen werden davon kaum beeinträchtigt, aber ich kann euch garantieren, dass es sich problemlos durch die Vollblüter frisst – also auch durch Angehörige des Indigo-Hofs.«
Seufzend wandte sie sich zu mir um. »Du bist vom Eulenvolk und kannst dir mit dem Fächer den Wind einspannen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich dir darüber hinaus geben soll. Außer einer einzigen Sache, die meiner Mutter gehört hat. Ich habe sie bei ihren persönlichen Dingen gefunden.«
Sie hielt mir einen silbernen Halsreif hin. Er bestand aus gedrehten Strängen, deren Enden vorn in Form von zwei Blumen zusammenkamen. »Das sind Belladonna-Blüten, die tödliche Tollkirsche. Passt irgendwie zu dir. Marta hat den Reif nie getragen, aber ihn behalten, weil sie meinte, dass er irgendwann die richtige Person finden würde.«
Ich nahm ihn und spürte die Magie in meinen Fingern, wenn es sich hierbei auch um die subtile, unterschwellige Magie handelte, die durch die Erdstrahlen der Ley-Linien und hoher Berge floss. Plötzlich begann das Tattoo auf meiner linken Brust zu prickeln, und ich sah auf das Schmuckstück herab. Tollkirsche … ein Nachtschattengewächs wie in der Tätowierung. Auch hier musste es eine Verbindung geben, wenn ich sie auch noch nicht knüpfen konnte.
Ich schaute wieder auf und begegnete Anadeys Blick. Sie schenkte mir ein müdes Lächeln, und ich glaubte daraus zu lesen, dass sie genau wusste, was uns bevorstand, und versuchte, uns so viel Hoffnung wie möglich zu machen.
»Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um Peyton nach Hause zu bringen. Sprich trotzdem ein paar Gebete für uns. Wir können sie gebrauchen.«
»Mach ich. Und ich fange mit meinem Schutzzauber an, sobald ihr geht.« Sie winkte uns, ihr in das Gästezimmer zu folgen. Darin stand ein Webstuhl. »Ich webe meine Magie in Fäden und Garn. Ich werde etwas für euer Grundstück machen: ein langes Tau, das am Grundstückrand tief in die Erde gelegt wird. Ich weiß nicht, wie lange ich dafür brauchen werde, aber ich fange sofort an.«
Sie setzte sich an den Webstuhl, und als wir anderen schweigend das Zimmer verließen, sagte sie, ohne noch einmal aufzublicken: »Bringt meine Kleine nach Hause. Bitte. Ihr seid die einzige Hoffnung, die ihr geblieben ist.«
»Zieht euch schwarzweiß an. Wir müssen durch Schnee und dunkle Bäume.« Ich war dabei, herauszusuchen, was wir mitnehmen konnten und mussten. Uns stand ein mindestens zweistündiger Marsch durch den Wald bevor, wenn wir die Zeit, die wir beim letzten Mal zum Grabhügel gebraucht hatten, zugrunde legten. Wir sammelten uns im Wohnzimmer und rüsteten uns für unsere Rettungsaktion aus. Ich trug die dickste Jeans, die ich besaß, einen schwarzen Rollkragenpullover und schlüpfte in meine Doc Martens, dann befestigte ich am rechten Arm die Handgelenkscheide, in die mein Springmesser kam.
Als ich mir den Halsreif umlegte, spürte ich ein tiefes Summen, das sich von der Tätowierung auf meiner Brust ausbreitete und durch meinen ganzen Körper strömte. Was immer der Reif konnte, es schien mit meinem Feenerbe in Verbindung zu stehen.
Der Athame kam wie immer in meine Stiefelscheide, und ich schnallte mir einen Oberschenkelgurt um, in den ich weitere Messer steckte, beide zweischneidig und zum Werfen austariert. Mit Messern umzugehen hatte ich während meiner Zeit auf der Straße gelernt. Onkel Brody hatte immer gesagt, eine gute Klinge sei besser als ein guter Ehemann – auf sie wäre jedenfalls Verlass.
Die anderen hatten sich ebenfalls umgezogen und trugen nun Jeans und Leder, sogar Rhiannon. Sie, Kaylin und ich hatten unsere Haare so geflochten, dass man sie schwer packen konnte. Rhia hatte ihre Schminkutensilien heruntergebracht, und mittels weißem Eyeliner und Wimperntusche versahen wir unsere Gesichter mit Tarnflecken.
Kaylin hielt zwei Dolche hoch, die er wie der Meister, der er war, herumwirbelte, um sie anschließend in die beiden Scheiden zu schieben, die an seinem Gürtel hingen. Ihnen fügte er noch polierte schwarze Nunchakus und mehrere kleine Shurikens hinzu.
Entschlossen, nicht zurückzustehen, präsentierte Leo uns einen kurzen Schlagstock, den er elegant um die Hand tanzen ließ und mich dadurch an einen attraktiveren modernen Bruder Tuck erinnerte. Auch Rhiannon wollte nicht waffenlos bleiben, aber als ich sah, was sie am Körper tragen wollte, wich ich unwillkürlich zurück: Sie hatte Molotow-Cocktails gebastelt und steckte sie nun in eine grüne Einkaufstasche.
Ach, wie wird die Stube glänzen, von der hellen Lichter Zahl!
Wenigstens nutzt sie endlich ihre Kräfte, flüsterte mir Ulean ins Ohr.
Ja, eindeutig.
»Also. Gehen wir alles noch mal durch. Unsere Ziele nach Priorität sortiert: Reinkommen und lebend wieder rauskommen. Peyton retten. Grieve und Chatter rausholen. Falls möglich, Myst töten. Letzteres ist vielleicht ein wenig hoch gegriffen, aber ich dachte, ich erwähne es einfach mal.« Mein Wolf hatte den ganzen Tag noch nichts gesagt, und ich befürchtete, dass Grieve zu krank war, als dass ich ihn finden konnte, aber eine ruhige Stimme in mir sagte, dass er vermutlich nur schlief, da er Probleme mit dem Tageslicht hatte.
»Sind wir so weit?«, fragte ich die anderen und sah sie abwartend an.
»Soweit wir es je sein können.« Rhiannon nickte grimmig. »Und falls ihr Heather sehen solltet …« Ihre Stimme verebbte, dann räusperte sie sich. »Falls ihr Heather sehen solltet, pfählt sie, wenn ihr es schafft.« Sie hielt vier Holzpflöcke hoch, dann gab sie jedem von uns einen.
Ich fing ihren Blick auf. »Bist du sicher?«
Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Ich bin sicher.«
»Okay, dann geht’s jetzt los.«
Und damit traten wir durch die Tür und hinaus in den Schneesturm, der schließlich doch eingesetzt hatte.
Zwei Stunden Weg bedeuteten, dass wir das Marburry-Grab gegen drei Uhr nachmittags erreichten; es war also noch lange genug hell, um uns die Pest, die Lainule ausgelöst hatte, zunutze zu machen. Während wir schweigend durch den Garten auf die Klamm zugingen, schnappte der Wind nach unseren Fersen, und der Schnee vollführte vor unseren Nasen einen frenetischen Tanz. Der Marsch zum Hügel würde dieses Mal beschwerlicher sein, denn der Sturm hatte noch lange nicht seine volle Wucht entwickelt.