Der Raum war wie eine Schlafkammer ausgestattet. Weiches Licht erhellte das Innere, und in einem Winkel befand sich ein Bett, das aus dem Fels geschlagen worden und dick mit Moos und Decken gepolstert war. Eine Kommode zur Linken sah aus wie aus dem viktorianischen Zeitalter gepflückt, ein Diwan und ein Tischchen daneben aus der Art-déco-Zeit. Doch eigentlich interessierte mich nur die Gestalt auf dem Bett, denn es war Grieve, und er lag so reglos dort, als sei er tot.
Sobald ich eintrat, begann er sich herumzuwälzen und hin und her zu werfen. Mein Wolf winselte; nun, da wir uns so nahe waren, dass wir uns berühren konnten, würde es schwierig werden, die Unterbrechung unserer Verbindung aufrechtzuerhalten. Ich hastete durch den Raum auf ihn zu, doch plötzlich fuhr er hoch, und seine Miene war furchterregend.
»Bleib zurück. Ich kann mich kaum beherrschen, nicht einmal in Chatters Gegenwart.« Seine Augen funkelten und riefen mich, obwohl seine Worte mich zurückstießen.
»Grieve, was ist los mit dir? Was geschieht hier?«
Ich wagte ihm nicht zu sagen, dass ich hierfür verantwortlich war, denn wer wusste schon, was er in seinem Zustand unternehmen würde? Das schlechte Gewissen in mir kämpfte mit dem Gefühl des Triumphs – der Gedanke, dass wir vielleicht durch diese Pest einen Vorteil über den Indigo-Hof erlangten, tanzte in meinem Herzen wie Tinkerbell auf Captain Hooks Grab.
»Ich weiß nicht, aber es hat einige niedergestreckt.« Er mühte sich, sich aufzusetzen. »Du solltest den Zeitpunkt nutzen, um Peyton zu retten, denn ein besserer wird nicht kommen. Heute wirst du sie relativ leicht hinausschaffen können.«
Ich biss mir auf die Lippe. »Du kannst mir nicht helfen, oder? Du bist zu krank.«
Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit einer Hand über die Augen. »Es geht schon. Aber die echten Vampirfeen – die am Hof geboren sind – werden damit nicht so leicht fertig. Einige gleiten in den Wahnsinn ab, andere ganz und gar in ihre grausame Natur. Ich fürchte, diese Krankheit, was immer es ist, wird sie nur noch schlimmer machen, wenn sie sich einmal angepasst haben.«
Seine Worte waren wie ein Kübel Eiswasser, den man mir über den Kopf geschüttet hatte. »Angepasst? Heißt das, niemand stirbt davon?«
»Nicht dass ich wüsste. Aber das Tageslicht hat dadurch eine Wirkung wie Gift. Doch anders als bei echten Vampiren sterben wir nicht davon. Es macht uns nur kampfunfähig und scheint das innere Biest hervorzubringen.«
Ich ließ mich auf den nächstbesten Stuhl fallen und schloss die Augen. Was hatten Lainule und Lannan getan? Selbst wenn sie tagsüber nun nicht mehr effektiv kämpfen konnten, waren sie noch immer höllisch gefährlich, und leider würden sie auch nicht einfach – puff! – in Rauch und Asche aufgehen, wenn die Sonne sie küsste. Der Plan war nach hinten losgegangen, und das auf schreckliche Art und Weise. Alles war noch sehr viel schwieriger geworden.
»Was ist los? Cicely?« Grieve stemmte sich auf seine Ellbogen hoch. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Ich nickte matt. »Ja, alles okay. Aber wir müssen Peyton und Chatter hier rausbringen.« Denn mit scheußlicher Klarheit begriff ich, dass wir Grieve nicht mit uns nehmen konnten. Selbst meine Liebe machte mich nicht vollkommen blind für die Tatsache, dass er gefährlicher und der totalen Verwandlung näher war denn je. Wenigstens konnte er hier, inmitten seiner verrückten Artgenossen, überleben, aber Chatter konnte das nicht.
Grieve starrte mich einen Moment lang an und versuchte in meiner Miene zu lesen. »Du wolltest ursprünglich, dass auch ich mit euch gehe.« Er verzog das Gesicht, umklammerte den Rand des Bettes und stieß ein Stöhnen aus. Unwillkürlich ging ich auf ihn zu, aber er hielt abwehrend die Hand hoch.
»Nein«, sagte er. Sein Atem kam stoßweise. »Wir können nachts zusammen sein, aber solange ich nicht weiß, womit wir es zu tun haben, wage ich es nicht, dich am Tag anzurühren. Du betörst mich zu sehr, und vielleicht will ich so unbedingt von dir trinken, dass ich dir etwas antue.«
»Grieve, ich liebe dich. Ich liebe dich«, war alles, was ich hervorbrachte, während ich ihn über den Abgrund hinweg anblickte, der sich plötzlich zwischen uns aufgetan hatte – eine breite Kluft, die den anderen unerreichbar zu machen drohte.
Plötzlich huschte ein finsteres Lächeln über sein Gesicht. »Ich könnte dich verwandeln. Du kannst ja eine von uns werden, nun, da du weißt, dass auch du zu den Feen gehörst. Wir wären zusammen und könnten des Nachts auf die Jagd gehen. Die Macht, die es mit sich bringt, würde dir gefallen. Und du wärst wieder bei deiner Tante.«
Entsetzt wandte ich mich Chatter zu, der den Kopf schüttelte, um mir zu bedeuten, dass ich nichts sagen sollte. »Grieve. Grieve? Wo ist Peyton?«, fragte er und trat einen Schritt auf meinen gefallenen Geliebten zu.
»Peyton? Die magiegeborene Werfrau? Wo soll sie schon sein, du Volltrottel? Im Kerker natürlich!« Grieves Lächeln wurde immer schwärzer, finsterer, und er streckte die Hand aus. »Bring mir meine Geliebte. Ich brauche sie. Ich muss trinken …«
»Nein – nein! Grieve, komm wieder zu dir! Grieve, kannst du mich hören?« Ich sprang auf. »Lass dich nicht davon runterziehen. Es frisst dich auf. Verstehst du mich? Du bist mit irgendetwas infiziert, und du leidest. Kämpfe dagegen an. Bitte, kämpfe dagegen!«
Grieve schnaubte, doch dann huschte ein Ausdruck der Klarheit über sein Gesicht. »Cicely, geh! Bitte. Ich will nicht, dass du mich so siehst. Ich will nicht, dass du hörst, was für scheußliche Dinge ich sage.« Wieder versuchte er, sich hinzusetzen. »Hör mir zu. Ich liebe dich, Cicely Waters. Du bist die Liebe meines Lebens. Und das warst du schon immer. Was immer geschieht – vergiss das nie! Chatter, hilf ihr, Peyton herauszuholen, solange es noch geht. Ich schätze, dass der Kerker im Augenblick nicht besonders schwer bewacht ist. Myst ist wahrscheinlich in heller Aufregung – und selbst krank. Und Chatter – komm nicht mehr her. Zu gefährlich.«
Er schrie auf, warf sich zur Seite, zog die Knie an die Brust. Mein Wolf heulte, als ein scharfer Schmerz durch meinen Bauch fuhr, und ich sank mit einem Aufschrei auf die Knie. Chatter packte mich, warf mich über seine Schulter, schleppte mich aus der Kammer und durch den Gang, obwohl ich ihm mit den Fäusten auf den Rücken trommelte.
»Nein! Ich muss Grieve helfen! Lass mich runter!«
»Du kannst ihm nicht helfen.« Er setzte mich ab, als wir weit genug entfernt waren, so dass ich nicht einfach so zurückrennen konnte. »Du kannst nichts für ihn tun. Er muss das allein durchstehen. Jetzt komm. Ich helfe euch mit Peyton. Grieve hat recht – im Augenblick ist sie wahrscheinlich nicht besonders stark bewacht.«
Er setzte sich wieder in Bewegung, und ich folgte ihm stumm. Ich konnte nicht denken. Mein Wolf flehte mich an, zurückzukehren, Grieve nachzugeben, ihn tun zu lassen, was er tun wollte, auf dass wir immer zusammen sein konnten. Aber der Ring um meinen Hals begann zu vibrieren, leise zu summen, mich zu beruhigen, und von meiner Feenmädchen-Tätowierung breitete sich Wärme in meiner Brust aus, überspülte den Wolf mit einem Mondlichtschimmer und linderte den Schmerz. Nun klärte sich auch mein Kopf wieder, und es gelang mir, den Gedanken von eben abzuschütteln.
Als wir schließlich wieder die vordere Kammer betraten, sahen alle auf.