Sie sind drüben fast unten angelangt. Schneller.
Verdammt, sie hatten diesen Felshang so locker genommen, als würden sie Hüpfkästchen spielen. Ich zog und schob mich weiter. Und dann war plötzlich Chatter an meiner Seite, und alles verschwamm, als wir den Berg hinaufrasten. Ich blinzelte, als ich mich oberhalb der Klamm wiederfand.
»Chatter, du bist doch zu erschöpft –«
»Lass mich das tun.« Und wieder war er weg, ein verwischter Schemen, der den Hang hinabraste. Ich nahm mir einen Moment Zeit, um mich umzusehen. Auf dieser Seite war niemand zu sehen, den Göttern sei Dank. Obwohl ich es wirklich gern gehabt hätte, wenn aus dem Nichts irgendein Held aufgetaucht wäre und uns gerettet hätte, aber das würde wohl nicht geschehen. Ich zog meinen Fächer hervor und wappnete mich für das, was kommen würde. In diesem Moment tauchte Chatter mit Rhiannon auf. Peyton zog sich über den Rand hinauf und trabte geschmeidig zu mir.
Kaylin versuchte, Leo schneller den Hang hinaufzuzerren. Chatter holte tief Luft und machte sich erneut an den Abstieg. Er sah zu Tode erschöpft aus.
»Nein! Beide schaffst du nicht!« Entsetzt starrte ich auf Myst und ihre Leute hinab. Sie hatten den Grund erreicht und überquerten nun den Bach. Hier lief etwas falsch – total falsch. Myst hätte nicht dabei sein dürfen. Gegen sie hatten wir keine Chance.
»Lauf«, sagte ich zu Rhiannon. »Du gehst zurück zum Haus!«
»Nein, ich bleibe bei dir.« Sie zog die Tasche mit den Molotow-Cocktails hervor. »Entweder wir gehen zusammen unter oder gar nicht.«
Ich holte tief Luft. »Dann lass uns einen Pakt schließen! Falls man uns erwischt und zu verwandeln versucht, tun wir alles, um das zu verhindern. Ich möchte mich lieber in Stücke reißen lassen, als für sie zu arbeiten!«
Sie nickte. »Ich weiß, dass Heather es getan hat, um Peyton zu retten, aber ich wünschte, es wäre nicht so gewesen.« Sie sprach leise, aber ich hörte, wie belegt ihre Stimme war.
Chatter tauchte mit Leo im Arm auf, als Kaylin sich über die Kante zog. Wir alle waren erledigt, aber Chatter wirkte, als würde er gleich ohnmächtig.
»Wie weit noch bis zum Haus?« Ich versuchte abzuschätzen, wo wir waren.
»Zehn Minuten Luftlinie, fünfzehn zu Fuß.« Er deutete auf ein Wäldchen aus Zedern und Tannen. »Dort drüben, durch die Bäume hindurch, dort verläuft der Pfad, der in die Klamm führt.«
In der nahenden Dämmerung konnte ich kaum etwas erkennen. Aber ich nickte. »Okay, geben wir alles, um ihnen das Leben schwerzumachen, und dann lasst uns rennen, was das Zeug hält! Wenn wir es bis zu unserem Grundstück schaffen, sollten wir wenigstens diese Nacht in Sicherheit sein. Es sei denn, Myst findet einen Weg, um die Barriere zu umgehen.«
Ich öffnete den Fächer und konzentrierte mich darauf. Ulean, was ist der größte Schaden, den ich damit anrichten kann?
Das willst du nicht wissen. Jedes Mal, wenn du die stärkeren Energien einsetzt, nimmt der Fächer ein Stück mehr von dir in Besitz.
Pech, aber wir brauchen ihn. Ich bin lieber von einem Fächer besessen als von Myst. Also, sag’s mir. Ich konzentrierte mich auf ihre Energie, um ihr klarzumachen, wie dringend es war.
So gesehen hast du natürlich recht. Also gut. Wirbelsturmstärke. Aber bereite dich darauf vor, davonzurennen. Ihr seid dann hier nicht mehr sicher, denn sobald die Energie freigesetzt ist, lässt sie sich nicht mehr beherrschen.
Ich holte tief Luft. »Ich werde einen Tornado entfesseln«, sagte ich. »Was immer ihr einsetzen könnt, tut es jetzt, und dann zurück. Das wird heikel.«
Ohne ein weiteres Wort entzündete Rhiannon die Flaschen mit einem Feuerzeug und warf sie in die Schlucht. Sie hielt ihre Handflächen vom Körper weg, und ein Strom aus Flammen schoss hervor, ließ die Benzinbomben explodieren und schickte eine Feuerwalze den Hang hinab. Sie sprang zurück, die anderen ebenfalls, und ich wedelte mit dem Fächer und flüsterte: »Wirbelsturm erwache.«
Ulean huschte an meine Seite, und ich spürte, wie sie mir beistand, wie sie die Luft um uns herum erwärmte, damit sie mit der kalten kollidierte. Ich richtete meinen Fokus auf die Luftströmung, die begann, sich gegen den Uhrzeigersinn zu drehen, eine Spirale zu bilden und stöhnend und ächzend Tempo aufzunehmen. Ein paar Sekunden später kündete ein Tosen davon, dass das Ungeheuer zum Leben erwacht war.
Mit dem Lärm eines Güterzugs, der an uns vorbeidonnerte, wirbelten Böen aus finsteren Wolken im Kreis und bildeten einen Trichter, der Rhiannons Feuer erfasste und den Hang hinunterzerrte, ein Teppich aus züngelnden Flammen auf ohrenbetäubender Irrfahrt. In meinen Gehörgängen ploppte es, als meine Ohren sich auf den Luftdruckwechsel einstellten.
»Cicely! Lauf!« Ich fuhr herum und rannte in halsbrecherischem Tempo auf die Bäume zu, den anderen nach, die bereits davongestoben waren. Ulean heulte neben mir und trieb mich vorwärts, und ich sprang über einen umgestürzten Baum, landete auf dem Pfad und steuerte das Haus an. Wir rannten, als seien die Höllenhunde hinter uns her, ohne uns umzusehen, ohne zu wissen, ob Myst und ihre Gefolgsleute uns auf den Fersen waren oder wir sie abgehängt hatten.
Und dann durchbrachen wir die Baumlinie, überquerten die Grenze und waren auf unserem Land, und ein sanfter Schimmer hing über dem gesamten Grundstück. Anadey stand auf der Veranda und sah angstvoll zu, wie wir vor ihr rutschend zum Stehen kamen. Wir waren zu Hause, und Peyton war bei uns.
Ich drehte mich, um Atem ringend, um und sah gerade noch, wie Myst und Heather mit einem halben Dutzend Wachleuten hinter sich an den Rand unseres Besitzes traten. Mit wild hämmerndem Herzen sah ich zu, wie sie suchend am Rand entlanggingen, aber nicht über die Grenze traten. Was immer Anadey sich ausgedacht hatte, es hielt.
Ich straffte die Schultern und wandte mich ihnen zu – der Fürstin der Verwüstung und ihrem Hof. Sie blickte mir gelassen entgegen. Ihre leuchtenden Augen funkelten wie Sterne, und ihre Haut hatte die Farbe des Himmels an einem klaren Abend, bevor die Dämmerung wirklich einsetzte. Ihr Kleid verschmolz in transparenten Schattierungen von Blau und Schwarz, Grau und Silber mit den Schatten. Wunderschön, dachte ich. Sie war so unglaublich schön und schrecklich.
Myst legte den Kopf erst leicht nach links, dann nach rechts und lachte leise.
»Cicely Waters. Glaubst du etwa, dass du gewonnen hast?«
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn wir gewonnen hätten, wärst du jetzt tot.«
»Gut. Unterschätze mich nicht, mein Kind. Hast du überhaupt eine Ahnung, wer du bist? Wer du warst?«
Der Uhu kreiste über unseren Köpfen und landete in der Eiche hinter mir. Ich räusperte mich und erwiderte Mysts Blick, obwohl es mich Mühe kostete, nicht zurückzufahren.