»Im Moment sieht es so aus. Bennett behauptet, das sei ein Zeichen für unseren Sieg. Er wiederholt immer wieder, daß der große Ansturm von Krynus zusammengebrochen ist. Seit deinem Kampf mit ihm ist Krynus nicht mehr gesehen worden. Bennett hat sich sogar dazu verstiegen, dich auf seine Weise zu rühmen.«
»Mich zu rühmen?«
»Ich zitiere: Teilweise dank des erstaunlichen Glücks von dem da ist der Kriegsherr Krynus vielleicht tot oder zumindest außer Gefecht gesetzt.«
Huma drehte sich zur Seite. Bennett hatte recht. Er hatte Glück gehabt. Ein wahrer Ritter hätte die Gelegenheit besser genutzt und sich von der Vernichtung des Kriegsherrn überzeugt.
»Ich weiß, was du denkst, Huma. Laß es. Du bist ebenso ein Ritter wie dieser Bennett und seine Schoßhündchen. Mehr als das. Du hast nicht den Blick für die Tatsachen verloren.« Rennard verfiel in ein unangenehmes Schweigen, als Huma sich wieder zu ihm umdrehte.
»Wann werden sie mich aufstehen lassen?«
»Wenn du soweit bist, nicht eher. Es warten mehr als genug Leute auf dich, wenn du gesund bist.«
»Fürst Oswal – läßt er mir etwas ausrichten?« Huma zitterte etwas beklommen. Der ältere Ritter war wie der Vater, den Huma nie gekannt hatte.
Rennard stand auf und setzte den Helm wieder auf. Er nickte. »Der Oberste Kommandant wünscht dir die denkbar beste und schnellste Genesung. Er sagt, er hat noch immer allergrößtes Vertrauen in deine Fähigkeiten.«
So drückte der Oberste Kommandant aus, wie stolz er auf Huma war. Das war seltener Balsam für das Selbstvertrauen des jungen Ritters.
»Schlaf gut, Huma. Ich werde dich besuchen, wenn ich wieder Zeit habe.«
Rennard ging und überließ Huma seinen Gedanken. Und der fragte sich, ob er wirklich jemals ein solcher Ritter sein würde wie Bennett, Fürst Oswal oder Rennard. Er dachte an den Kriegsherrn Krynus und überlegte, ob diese finstere Gestalt sich wohl persönlich an einer so unwichtigen Person wie Huma rächen wollte.
Von außen stieß etwas leise an die Zeltwand. Kein Pferd, eher ein Hund. Ein leichter Gestank drang ihm in die Nase. Er hörte etwas an der Wand kratzen, als wollte es ihre Dicke testen. Das Licht des grauen Tages gestattete Huma nur einen vagen Blick auf das Etwas.
Ein Kleriker der Mishakal betrat das Zelt, um den Zustand der Verwundeten zu kontrollieren. Der Abdruck der Gestalt auf der anderen Seite der Zeltwand huschte davon, trotz der abrupten Bewegung fast lautlos. Der Gestank verzog sich schnell.
»Kleriker?«
Allein die Gegenwart des alten Klerikers tat Huma gut. Der Mann war klein und etwas rundlich. Er konnte nicht mehr als zwei Dutzend Haare auf dem ganzen Kopf haben.
»Ich bin Broderin. Kann ich dir helfen?«
Huma dachte sorgfältig nach, bevor er sprach. »Sind – gibt es Wölfe in der Nähe des Lagers? Wölfe oder große Hunde?«
Broderin zuckte zusammen, als würde er ein großes Untier erwarten, das durch die Zeltplanen hereinsprang. Dann faßte er sich wieder. »Wölfe? Hunde? Vielleicht gibt es ein paar Hunde, aber nicht hier in der Nähe. Was Wölfe angeht…« Der Kleriker lachte nervös. »Ein Wolf zwischen Paladins Rittern? Das glaube ich nicht. Es gibt keine Wölfe außer denen auf der anderen Seite des Feldes, mein Sohn. Bedauerlicherweise sind die meisten von ihnen intelligent. Warum fragst du?«
»Ich dachte, ich hätte einen gesehen.«
Das schien den alten Mann wieder in Schrecken zu versetzen. Obwohl seine Stimme eher gelassen klang, schossen seine Augen hin und her, als ob er überall Wölfe sähe. »Du mußt dich getäuscht haben, mein Sohn, oder vielleicht leidest du auf Grund deiner Wunden an Wahnvorstellungen. Ja, das muß es sein.«
»Bist du sicher?« Es hatte sehr echt ausgesehen.
»Ich werde jemanden nachsehen lassen. Vielleicht ein streunender Hund, der irgendwo weggelaufen ist. So was ist immer möglich.« Der Kleriker drehte sich zu einem anderen Verwundeten um, womit der ihm bedeutete, daß das Gespräch zu Ende war, was ihn anbelangte. Huma beobachtete ihn noch einen Moment und schloß dann die Augen.
Sein Schlaf war erholsam und ohne Unterbrechungen, bis auf einen kurzen Traum, in dem ihn ein blasses Wesen durch einen endlosen Wald hetzte. Sein Jäger war immer gerade eben außer Sichtweite, dennoch fast hinter ihm.
Wie bei den meisten Träumen und Alpträumen konnte er sich beim Aufwachen nicht mehr daran erinnern.
6
Huma trat aus dem Zelt, um sich zum ersten Mal das Lager anzusehen. Ihre genaue Position kannte er nicht, doch er bemerkte, daß der Kommandostab wieder weitergezogen war, und zwar offenbar näher an die Grenze. So nah bei Ergod war das Land gleichmäßiger mit Bäumen bewachsen – mit gesunden Bäumen. Aus unerfindlichen Gründen hatten die Oger die Gegend vor den Bergen nicht allzu sehr verwüstet. Das konnte kaum an der Schönheit des Landes liegen; soweit man wußte, waren die Oger an Schönheit nicht besonders interessiert. In manchen Gegenden gab es richtigen Wald – große, uralte Bäume, die sich vielleicht an friedlichere Zeiten erinnerten, vielleicht sogar einst die ersten Elfen gesehen hatten.
Huma schätzte, daß zwei- bis dreihundert Ritter in dem Gebiet lagerten. Die hier stationierten Männer waren aus der Leibwache Fürst Oswals, verwundeten Rittern in verschiedenen Stadien der Genesung, ein paar Ansässigen, die der Ritterschaft mit ihrer Ortskenntnis zur Seite standen, und sogar ein paar Zauberern, welche die Kleriker verstärkten, zusammengewürfelt. Die Zauberer und Kleriker hielten sich so weit wie möglich voneinander entfernt. Zauberer fürchteten die meisten Kleriker als religiöse Eiferer, während die Kleriker zwar toleranter waren, aber dennoch der Unabhängigkeit der Zauberkundigen mißtrauten, die sich mehr auf Macht als auf den rechten Glauben konzentrierten.
Niemand traute den Zauberern richtig. Deshalb durften sie auch keine Waffen tragen. So waren sie zumindest in einer Hinsicht verwundbar.
»Wie geht es dir heute?«
Humas Gesicht leuchtete kurz auf, dann setzte er rasch eine Miene ernster Tapferkeit auf. Gwyneth kam mit einem Eimer in der Hand auf ihn zu. Trotz bester Vorsätze mußte Huma lächeln.
»Ich habe dieses Zelt mehr als satt und bin überglücklich, die Welt zu sehen, selbst wenn es nur das Lager ist.«
Sie lachte fröhlich, um dann plötzlich ernst zu werden. »Wirst du bald abreisen?«
Er nickte gefaßt. Rennard war mehrfach da gewesen, um ihn zu besuchen. Huma wußte, daß er Fürst Oswal über sein Befinden Bericht erstattete. Wenn Huma mit einer gewissen Selbstachtung vor den Obersten Kommandanten treten wollte, mußte er so schnell wie möglich genesen.
Der Wind wurde kräftiger und blies Gwyneth ein paar lange, dicke Locken ins Gesicht. Sie strich das Haar zurück und schien etwas sagen zu wollen, als eine wohlbekannte Gestalt auftauchte, die von zwei Rittern des Schwertes eskortiert wurde.
»Huma!«
Kaz kam angelaufen und versuchte, seinen einzigen, wahren Freund unter den Menschen mit einer Umarmung zu begrüßen, die Huma mit drei oder vier gebrochenen Rippen ins Zelt zurückgeschickt hätte. Es gelang Huma, dem Minotaurus auszuweichen, weshalb er nur eine Prellung von Kaz freudigem Schulterklopfen davontrug. Es war vier Tage her, daß Huma Kaz gesehen hatte. Da Fürst Oswals Vertrauen zu dem Minotaurus wuchs, wurde dessen Rat immer wichtiger. Die Ritterschaft kämpfte schon seit Jahren gegen die Oger, wußte jedoch sehr wenig über sie. Kaz aber, der unter dem Joch seiner Vettern aufgewachsen war, wußte nur zu gut Bescheid.
»Gwyneth«, sagte Huma, dem die Frau einfiel, doch er drehte sich zu spät um. Sie war verschwunden.
Der Minotaurus war aufmerksamer, als seine Erscheinung vermuten ließ. »Komme ich ungelegen? Entschuldige bitte, wenn ich gestört habe.«
Huma winkte ab. »Ich sollte mich bei dir entschuldigen. Schön, dich zu sehen, Kaz.«
»Ich hatte keine Ahnung, daß deine Leute so viele Fragen stellen können – wieder und wieder! Sie haben alles aus mir herausgequetscht und wollen immer noch mehr.«
»Sie sind mit ihrem Latein am Ende, Kaz. Wir wollen endlich – « Huma brach ab, als eine große Gestalt in roten Roben und roter Kapuze ohne jeden Gruß an ihnen vorbeilief. Das Gesicht war hager und knochig, und der Mann erinnerte Huma an einen schrecklichen Ausbilder, den er in seiner Knappenzeit gehabt hatte.