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Zum ersten Mal brach eine Stimme die Stille. Es war kaum mehr als ein Zeichen, doch es forderte Humas gesamte Aufmerksamkeit.

»Tapferer Ritter. So sicher mit deinen kleinen Spielzeugen.«

Die Gestalt bewegte sich etwas zur Seite. Humas Augen folgten ihr gehorsam. Der Schatten schien seinen Fang zu begutachten. »Ob du wohl der Richtige bist?«

Eine ledrige Hand streckte sich aus, um Huma ans Kinn zu fassen. Sein Kopf wurde nach rechts und links gedreht, wobei die Augen des Ritters nie die des anderen losließen. »Jaaa. Drakos wird zufrieden sein – sogar der Kriegsherr wird zufrieden sein. Das kann kein Zufall sein. Er hat seine Hand im Spiel gehabt, um seinen eigenen Hals zu retten.« Die Augen und die Hand glitten hinunter zu Humas Schwert. »Das brauchst du nicht mehr.«

Ein Leuchten weit hinter der Schattengestalt zog Humas Blick plötzlich von ihr ab. Der andere, völlig mit seinem Fang beschäftigt, übersah das seltsame Licht. Irgend jemand kommentierte den Vorgang jedoch. Da war ein kehliges Knurren, und der Verwesungsgestank wurde stärker.

Der Blick des Wesens kehrte schnell zum Gesicht des Gefangenen zurück.

Zwei Augenpaare trafen sich. Huma war nicht mehr bezaubert.

Der Ritter reagierte instinktiv. Mit ganzer Kraft, von Schreck und Furcht angespornt, trieb er sein Schwert nach vorn. Der Körper der dunklen Figur zeigte kaum Widerstand. Wilde Klauen zerkratzten Huma das Gesicht, doch das kümmerte ihn nicht. Er versuchte nur, seine Waffe so tief wie möglich zu treiben. Plötzlich stieß er auf Widerstand, auch wenn der schattenhafte Gegner nicht fiel. Das Kratzen jedoch hörte auf. Die Figur erschauerte noch zweimal. Dann war sie still.

Von der Anstrengung erschöpft fiel Huma auf die Knie.

Wesen der Finsternis trotteten einen Augenblick zu ihm herüber, zögerten dann aber, als fühlten sie etwas Unerwartetes. Huma hob den Kopf und erhaschte einen Blick auf etwas Blasses, entfernt Wolfsartiges. Dann war es fort.

Huma wußte nicht, wie lange er hier verweilt hatte. Ganz allmählich bemerkte er die leisen Schritte von jemandem, der in seine Richtung ging. Sie kamen aus den Tiefen des Waldes. Huma erhob sich, wenn auch etwas schwankend. Er erkannte, daß er sich noch nicht völlig erholt hatte.

»Hier, laß mich dir helfen.« Die Stimme war stark, und die Hände, die Huma hielten, kraftvoll. Während der Ritter tief Luft holte, betrachtete der Neuankömmling die Überreste seines Angreifers, lachte und sagte: »Gut gemacht. Du hast ihn an den Baumstamm genagelt. Ein beeindruckendes Zeichen deiner Stärke und wohlverdient, was den da angeht.«

»Wer –?«

»Spar dir deinen Atem fürs Laufen. Du bist tiefer in den Wald geraten, als du glaubst.«

Beim Gehen wagte Huma es, einen argwöhnischen Blick auf den anderen zu werfen. Er war groß, dieser Fremde, und trug extravagante, gut gearbeitete Kleider. Elegante, goldene Locken verliehen ihm das Aussehen eines majestätischen Löwen. Die Miene des Fremden war schwerer zu erkennen, doch Huma schien er gut auszusehen, fast schön zu sein. Jemand, der an den Königshöfen zu Hause war, vielleicht mit reichen, jungen Mädchen flirtete. Es lag etwas Vertrautes in diesem Gesicht. Etwas, das er seit Jahren nicht gesehen hatte…

»Magus!« Huma blökte den Namen vor Schreck laut heraus.

Sie blieben stehen. Der andere ließ ihn los. Sie starrten einander an, und der Ritter bemerkte, daß der andere von innen zu leuchten schien.

»Huma. Schön, dich zu sehen, selbst unter diesen Umständen. Ich hatte mich gefragt, wie lange ich dich im Dunkeln lassen sollte – wenn du mir den Ausdruck verzeihst.«

»Du lebst!« Huma war nie ganz sicher gewesen, was nach jener Prüfung im Turm geschehen war. »Du lebst!« wiederholte er verwundert.

Magus’ Gesicht war jetzt selbst in der Finsternis zu sehen. Sein Mund verzog sich zu einem reumütigen Lächeln. »Ja. Tut mir leid.«

Das Lächeln auf Humas Gesicht fiel in sich zusammen. »Tut dir leid? Warum sollte es dir leid tun?«

»Glaubst du, ich bin rein zufällig hier, Huma? Ich hoffe nicht. Meinetwegen bist du in Gefahr geraten.«

»Das verstehe ich nicht.« Der Gedanke an die Gefahr ließ Huma nach seinem Schwert greifen. Als seine Hand nur Luft vorfand, erinnerte er sich, was aus seiner Waffe geworden war. Er drehte sich um. »Mein Schwert! Ich muß umkehren – «

»Nein!« Die Stimme des Zauberers war befehlend. »Wir sollten keinen Moment länger als nötig allein hier draußen bleiben. Kehr zurück, wenn du tapfere Männer im Rücken hast. Die Schreckenswölfe könnten geflohen sein, aber ich kann mich auch täuschen. Weiß Gott, es wäre nicht das erste Mal.«

Magus drängte ihn weiter in Richtung Lager, und Huma erkannte, daß das als einziges Sinn machte. Er wollte jedoch ein paar Antworten.

»Was war das da hinten? Was hast du vorhin gemeint?«

Ein Teil der Pracht seines alten Freundes schien sich in Luft aufzulösen. Magus war plötzlich ein älterer Mann als Huma, obwohl beide im selben Alter waren. Der Zauberer sah dem Ritter nicht in die Augen. »Ich glaube, du solltest lieber eine von den Roten Roben im Lager fragen. Die dürften dir die offizielle Version geben.«

»Steckst du in Schwierigkeiten?«

»Schwierigkeiten, aus denen ich dich auf jeden Fall heraushalten will. Es war dumm von mir, auch nur in Erwägung zu ziehen, zu dir zu kommen.«

Der Schein heruntergebrannter Feuer war der erste Hinweis auf die Nähe des Lagers. Huma hörte den Lärm hastender Männer. Jemand hatte das Fehlen der beiden Ritter bemerkt – einer davon kein geringerer als der Hauptmann der Wache.

Magus hörte das Gerenne ebenfalls. Er blieb abrupt stehen. »Was du auch über mich hörst, Huma, ich habe mich nicht verändert.« Der Magier faßte seinem besten Freund an die Schultern.

»Glaub mir! Wenn die Prüfung irgend etwas bewirkt hat, dann hat sie das bewirkt!«

Der Glanz, der den Zauberkundigen umgeben hatte, verblaßte plötzlich, und Huma bemerkte die Angst auf dem Gesicht seines Freundes. Nicht nur Angst um sich selbst, sondern auch um ihn.

»Horch.« Jetzt bedeckten die Schatten das Gesicht des Zauberers und verliehen ihm einen unirdischen Ausdruck. »Diese Wesen werden dich nicht länger belästigen. Ich bin es, den ihre Herren suchen. Sie haben sie mir nachgeschickt, als sie erfuhren, daß ich weg war.«

Fröstelnd stellte Huma fest: »Du fliehst vor den Kreaturen der Drachenkönigin.«

Ein trockener Zweig knackte. Beide Männer erstarrten. Huma sah sich im Wald um, konnte jedoch nichts erkennen. Magus beugte sich vor und flüsterte: »Ich muß gehen. Du kennst mich, Huma. Du weißt, wozu ich fähig bin. Glaube daran. Wenn die Dinge eine Wendung zum Guten oder zum Bösen nehmen, werde ich mich mit dir in Verbindung setzen.«

Große, dunkle Umrisse erschienen zwischen den Bäumen. Magus funkelte sie an und eilte davon. Huma machte den Mund auf, um zu sprechen, merkte dann jedoch, daß das gefährlich und dumm wäre. Er betete, daß Magus recht damit gehabt hatte, Humas Schwert an dem Baum zu lassen, wo es jene Mißgeburt an den Stamm genagelt hatte.

Unter Aufbietung seines gesamten Mutes nahm Huma seinen Weg zum Lager wieder auf und betete beim Gehen, daß er als erstes einem Ritter und nicht einem Wesen aus dem Alptraum eines Zauberers begegnen würde.

Glücklicherweise traf er die Suchenden nur Minuten von der Stelle entfernt, wo der Posten verschwunden war. Huma fühlte sich schuldig, den unglückseligen Posten vergessen zu haben, einen, der noch unerfahrener war als er. Es gab jedoch nichts, was Huma für den Mann tun konnte, und er wußte, daß er sich eher um das sorgen sollte, was noch außerhalb des Lagers lauern konnte, und was das bedeuten konnte. Wenn der Feind so weit hinter die Linien vorgedrungen war…

Rennard nahm seine Meldung ab, offenbar nicht allzu überrascht, daß ausgerechnet Huma in Schwierigkeiten geraten war. Die Nachricht von dem Angreifer, der nur ein Magier gewesen sein konnte, machte ihm zu schaffen, auch wenn seine Miene keine Regung zeigte. Mit einem Suchtrupp kehrten Huma und Rennard zu dem Platz zurück, an den Huma geführt worden war. Die leblose Gestalt des Postens zeigte keine Kampfspuren, ganz als wäre der arme Mann einfach tot umgefallen. Rennard spuckte aus und verfluchte in einem nie dagewesenen Gefühlsausbruch alle Magier dieser Welt. Huma schrumpfte zusammen. Er hatte nichts von Magus erwähnt, auch wenn es dem Kodex und dem Maßstab zuwiderlief. Wie ehrenhaft war ein Ritter, der log?