Seine Gedankengänge wurden von Rennard unterbrochen. Wie Huma trug auch der ältere Ritter einen Schild, dessen Gravuren ihn als Mitglied des Ordens der Krone auswiesen. Rennard jedoch hatte viele Jahre praktischer Erfahrung und war deshalb verdientermaßen Hauptmann. Sein Visier verdeckte alles bis auf die stechenden, eisblauen Augen und ließ das Gesicht darunter nur erahnen. Selbst im Orden der Krone hatte Rennard wenige Freunde.
Rennard erwiderte Humas Blick und musterte dann die ganze Abteilung. »Gaynor. Huma. Trilane…« Er bellte insgesamt acht Namen. »Ausscheren zur Patrouille.«
Die Worte verrieten keinerlei Gefühl. Rennard war ein erstklassiger Stratege. Im Kampf konnte man sich keinen besseren Anführer wünschen. Nichtsdestotrotz ließ seine Gegenwart Huma immer frösteln.
»Fürst Oswal wünscht eine Durchsuchung der abgestorbenen Wälder im Süden. Möglicherweise Goblins, vielleicht Oger. Wir müssen vor Sonnenuntergang wieder bei der Truppe sein.« Rennard blickte kurz zum ewig bewölkten Himmel hoch. Ständig sah es nach Regen aus, doch nie ging er nieder. »Vor Einbruch der Dunkelheit. Wir wollen die Nacht nicht in den Wäldern verbringen. Nicht, wenn die Westgrenze so nah ist. Verstanden?« Als die Ritter nickten, wendete er sein Pferd, ein großes, fahles Tier, und gab das Zeichen, ihm zu folgen.
Innerhalb von Minuten waren sie weit von Seridan entfernt. Die Pferde konnten jetzt leichter laufen, da der Untergrund hart war. Das war wenig überraschend – das Feuer, das einen Großteil des Waldes vernichtet hatte, auf den sie zu hielten, hatte die umliegenden Felder ausgedörrt. Hier würde noch jahrelang keine Nahrung wachsen.
Manchmal schien alles so sinnlos, dachte Huma. Wo war Paladin? Huma wunderte sich, warum der Gott zuließ, was hier geschah, und er betrachtete die aschgrauen Baumstümpfe, an denen die Patrouille vorbeiritt. Es konnte nicht schlimmer aussehen, wenn sich Krynn in den Klauen von Takhisis befand.
Er preßte den Mund fest zusammen. Daß er es wagte, sich nach derartigen Gedanken noch Ritter zu nennen!
Als sie die erste Gruppe knorriger, verkrüppelter Bäume erreichten, klappten die Ritter ihr Visier herunter. Von weitem hätte man sie für Dämonen halten können, denn die Hörner oder Flügel, mit denen die Ritterhelme verziert waren, traten nun deutlich hervor. Je reicher geschmückt, desto höher der Rang, ausgenommen bei Rennard. Bei ihm lief nur ein Kamm von der Stirn an den ganzen Rücken hinunter.
Die Wälder waren ein weiteres, mitleiderregendes Opfer in dem scheinbar endlosen Krieg, der den Kontinent Ansalon heimgesucht hatte. Huma fragte sich, wie dieses Land ausgesehen hatte, bevor die Kreaturen der Drachenkönigin es verwüstet hatten. Die toten Bäume verliehen dem Wald ein bösartiges Aussehen. Die Patrouille war ungewöhnlich auf der Hut. Die Augen flogen hin und her, während jeder Ritter hinter den geschwärzten Stämmen einen Gegner suchte.
Huma umklammerte das Heft seines Schwerts. Einen kurzen Augenblick lang schien er eine Bewegung wahrzunehmen. Ein Wolf? In diesem leblosen Land? Doch er bemerkte keine weitere Bewegung. Die Nerven. Es gab kein Leben in diesen Wäldern. Es gab nichts als Leid.
Rennard hob die Hand zum Anhalten. Selbst er schien nicht sprechen zu wollen, als ob bei jedem Ton ein unerwünschter Gegner losbrechen könnte.
»Aufmarschieren. Ihr vier zu meiner Rechten«, sagte er und zeigte auf Huma und drei andere. »Die anderen zu meiner Linken.« Er zog sein Schwert.
Die anderen folgten seinem Beispiel und nahmen ihre Position ein. Zwischen Huma und dem Anführer der Patrouille war nur ein Mann. Rennard gab das Signal zum Vorrücken. Die Ritter schlugen eine langsame, aber gleichmäßige Gangart ein.
Der Wald erstreckte sich über einen Hügel, einen der wenigen in dieser Gegend. Wenn irgendwo in der Nähe Goblins oder Oger lauerten, dann mußten sie dahinter sein. Rennard zeigte auf den Ritter links von Huma und schickte ihn vor. Der Rest der Patrouille blieb zurück und wartete. Der Späher saß ab und stieg den Hang hoch. Die anderen sahen besorgt zu, als er über die Hügelkuppe schaute und, so leise und rasch er konnte, zu den Rittern und den Pferden zurückhuschte. Huma, der die Zügel seines Pferdes gehalten hatte, gab sie ihm zurück.
»Nun?« fragte Rennard leise.
»Goblins. Die gräßlichen Biester sind beim Essen. Vermutlich eine Räuberbande. Müssen mindestens zwanzig sein, aber höchstens ein paar Dutzend, glaube ich.«
Rennard nickte zufrieden. »Nichts, womit wir nicht fertig werden.« Huma dankte Paladin, daß das Visier sein eigenes, besorgtes Gesicht verdeckte. Rennard zeigte auf den Kundschafter, Huma und die beiden Ritter rechts von Huma. »Reitet rechts herum. Wir nehmen die linke Seite. Wenn ihr eine Eule hört, reitet ihr los. Huma, du übernimmst das Kommando für eure Gruppe.«
Einige der übrigen Ritter rutschten unruhig hin und her, doch keiner wagte einen Einwand. Huma warf einen Blick auf die Visiere seiner drei Kameraden und konnte mühelos ihre Gedanken lesen. Fast hätte er gebeten, ihn durch jemand anderen zu ersetzen, doch Rennard führte seine Gruppe bereits fort.
Also beschloß Huma, den Mund zu halten, und wendete sein Pferd. Unabhängig von ihren privaten Gefühlen waren die drei schließlich Ritter von Solamnia. Sie hatten einen Befehl erhalten, und sie würden gehorchen. Zu seiner Erleichterung folgten sie ihm ohne Murren.
Der Ritt war nicht weit, ging jedoch langsam und vorsichtig vonstatten. Die Goblins waren in jeder Hinsicht ihres Lebens nachlässig, einschließlich der militärischen Belange, doch sie konnten einen ehrgeizigen Anführer haben, der daran gedacht hatte, Wachen aufzustellen. An sich waren Goblins für die Pläne des Kriegsherrn der Drachenkönigin von geringem strategischen Wert – außer als Räuber. Dieses Wissen und das Wissen, daß die meisten Goblins wenig zum Kämpfen ausgebildet waren, konnte Huma allerdings nicht beruhigen.
Huma sah keine Wachen. Er wagte es, vom Pferd zu steigen, um das Goblinlager von einer kleinen Anhöhe aus zu beobachten. Daß die Kreaturen häßlich waren, war untertrieben. Ihre Haut hatte eine kränklich grüne Tönung, aus ihrem Mund ragten überall Zähne heraus, und ihre Augen erinnerten den Ritter an Froschaugen. Goblins waren untersetzt und mißgestaltet, aber sie waren auch sehr stark. Viele trugen Äxte, ein paar sogar primitive Bogen. Ihre Rüstungen schienen aus dem zusammengestückelt zu sein, was sie auf dem Schlachtfeld ergattert hatten.
Während Huma sie noch beobachtete, kam ein Goblin zum offensichtlichen Anführer der Gruppe gerannt, der doppelt so groß und häßlich war wie jeder seiner Untergebenen. Der kleinere Goblin flüsterte dem Anführer etwas zu, woraufhin dieser aufmerkte und Kommandos bellte.
Huma wußte, was geschehen war. Vielleicht war der Hinzugekommene ein Wachtposten gewesen, oder er hatte sich aus einem anderen Grund vom Lager entfernt. Wie auch immer, die Goblins hatten offenbar erkannt, daß Rennard sich mit seinen Leuten näherte, und jetzt bereiteten sie sich auf den Kampf vor. Innerhalb von Sekunden hatten die normalerweise unorganisierten Goblins eine Angriffsstellung aufgebaut, die – zusammen mit dem Überraschungselement – bedeutete, daß Rennard und seine Gefährten fast sicher besiegt werden würden. Es war zu spät, um jemanden mit einer Warnung loszuschicken.
»Fertigmachen!« flüsterte Huma, als er wieder auf sein Pferd stieg. Mit dem Schwert in der Hand drehte er sich zu den anderen um. »Wir greifen sofort an!«
»Jetzt?« fragte einer der anderen. Die drei sahen einander an, dann wieder Huma.
Huma hatte keine Zeit für Erklärungen. Schwert und Schild kampfbereit, gab er seinem Pferd die Sporen. Es jagte los, und mit hoch erhobener Klinge brüllte Huma den Schlachtruf.