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»Huma, nicht!« Kaz redete jetzt laut. Daß kein Posten angerannt kam, beunruhigte Huma. War der Herr des Untiers so mächtig, daß er ein ganzes Lager einlullen konnte?

Huma schüttelte die Hand des Minotaurus ab und ging noch näher an den Schreckenswolf heran. Der Schwanz der Mißgeburt wedelte nachlässig hin und her. Sie öffnete die Kiefer, so daß Huma die gelben, verrotteten Zähne ausmachen konnte, die immer noch scharf genug waren, um ihm das Fleisch vom Arm zu reißen. Der Schreckenswolf leckte sich das Maul und verzog es zu Humas Schrecken zu einem wissenden Grinsen.

Als der Ritter sich bis auf zehn Fuß herangewagt hatte, öffnete die Kreatur wieder das Maul. Was herauskam, entsetzte Huma so sehr, daß er sich um ein Haar umgedreht hätte und davongerannt wäre.

»Huuuuuumaaaaa…«

Hinter ihm fluchte Kaz. Huma nahm einen festen Stand ein. Er hatte sein Schwert in der Hand, doch er wußte nicht, inwiefern ihm das gegen ein solches untotes Ding helfen würde.

»Huma.« Jetzt kam sein Name deutlicher und war von einem dunklen Gelächter gefolgt.

»Wer bist du? Was willst du?«

Der Schreckenswolf schien ihn zu betrachten, bevor er wieder redete. Als er dann sprach, war seine Belustigung mehr als deutlich. »Du hast uns eine gute Jagd geboten, Ritter von Solamnia. Hast uns auch einen treuen Diener gekostet. Wir halten dich für eine ebenso große Gefahr wie deinen verräterischen Freund Magus.«

»Magus.« Huma zeigte dem scheußlichen Wesen keine Regung. Hatten sie Magus gefangen?

»Wir wissen, wo er jetzt ist. Er wird erfahren, was es heißt, Galan Drakos zu verraten.«

Galan Drakos. Anführer der Abtrünnigen, Diener der Dunklen Königin. Huma kannte den Namen und wußte um das Böse dahinter.

Der Schreckenswolf setzte sich in verächtlicher Haltung hin. Huma fragte sich kurz, ob er irgendwelche eigenen Gedanken hatte oder ob er nur die Marionette einer beherrschenden Kraft war.

»Krynus war nach eurer kurzen Begegnung sehr angetan von dir. Er war nahe daran, deinen Freund zu erwischen, als du aufgetaucht bist. Dein guter Freund Magus hat dich als Köder benutzt, junger Ritter. War dir das klar?«

Schwere Schritte neben Huma verrieten ihm, daß Kaz näher herangetreten war. Der Schreckenswolf drehte dem Minotaurus kurz seine leeren Augen zu, dann nahm er seinen Faden wieder auf, ohne ihn weiter zu beachten.

»Es war Krynus’ Wunsch, dich persönlich aus dem Lager zu locken und in seine Zitadelle zu bringen, damit er dort mit dir kämpfen kann.«

Humas Kehle wurde trocken. »Ich habe Glück gehabt.«

»Glück ist eine Kunst. Wenn du noch länger leben würdest, könntest du das lernen.«

Ritter und Minotaurus fuhren zusammen. Beide erwarteten, daß der Wald plötzlich die geisterhaften Gestalten zahlloser Schreckenswölfe ausspuckte. Nichts geschah, und das einzelne Wesen verspottete sie wieder mit seinem fast menschlichen Lächeln.

»Von mir hast du nichts zu befürchten. Nein, wenn überhaupt, dann solltest du dich vor dir selber fürchten, Ritter der Krone. Im Moment bist du selbst dein schlimmster Feind.«

Mit neuerlichem Lachen sprang der Schreckenswolf auf die Beine. Kaz holte aus, doch die Kreatur wirbelte nur herum und jagte in die Wälder. Beide wußten, daß eine Verfolgung sinnlos war.

»Was sollte das alles?« wunderte sich der Minotaurus.

»Er kam offenbar, um mich zu verspotten.« Huma schob sein Schwert in die Scheide. »Aber warum sollte Krynus sich überhaupt mit jemandem wie mir abgeben?«

»Vielleicht ist er mehr an diesem Freund von dir interessiert. Und vielleicht ist er diesem Freund gar nicht so nah auf den Fersen, und das ist nur eine Finte. Wer ist dieser Magus?«

Huma erzählte kurz, was in der Nacht geschehen war. Das Gesicht des Minotaurus verdüsterte sich, als er erkannte, daß all das passiert war, während er geschlafen hatte. Als Huma fertig war, begannen sich ein paar der anderen Ritter zu regen.

»Was soll ich machen?«

Kaz wiegte den Kopf. »Ich weiß, was ich machen würde, aber deine Wege sind nicht die meinen, Ritter von Solamnia. Ich schlage vor, du versuchst es mit dieser wandelnden Leiche. Er scheint dein Gönner zu sein.«

Kaz hatte recht, beschloß Huma. Vielleicht konnte Rennard ihm die Worte von Galan Drakos erklären.

Plötzlich erhob sich ein starker Wind, und eine Anzahl riesiger Gestalten schien aus dem Himmel selbst zu entstehen. Im ganzen Lager schauten Ritter zu einem Anblick auf, der sie nur anspornen konnte. Majestätische, geflügelte Wesen kreisten mehrmals um das Lager. Gold, Silber, Bronze, Kupfer – die Drachen waren prachtvoll in ihrem Glanz. Auch ein paar Messingdrachen waren darunter, doch die zogen normalerweise die Wüstenhitze vor.

Huma schätzte die Zahl der Tiere auf dreißig bis vierzig – eine ziemlich gewaltige Streitmacht, besonders wenn sie organisiert war. Das war der einzige Vorteil, den sie über ihre dunklen Vettern hatten: Die Drachen von Takhisis neigten dazu, sich untereinander zu bekämpfen, manchmal sogar mitten in der Schlacht. Die Drachen des Lichts waren geschickt darin, aus solchen Zwischenfällen ihren Vorteil zu ziehen.

Durch die Ankunft der Drachen vergaß Huma kurzfristig seine Sorgen. Die Gegenwart von Drachen erfüllte ihn mit einer fast jungenhaften Begeisterung. Er lief zu ihrem Landeplatz, ohne auf Kaz’ Rufe zu achten, der keine Lust hatte, schon wieder etwas mit Drachen zu tun zu haben.

Huma war nicht der einzige, der losrannte. Selbst die Veteranen kamen angelaufen, denn die Drachen brachten oft Nachrichten von großer Bedeutung.

Als Huma den Landeplatz erreichte, sah er, daß die drei Befehlshaber der Armee bereits mit einem enormen, goldenen Drachen redeten. Trotz seiner Ausmaße sprach der Drache in ruhigem, fast gelehrsamem Ton. Die Neuigkeiten mußten jedoch besorgniserregend sein, denn Huma bemerkte den Schatten über Fürst Oswals Gesicht.

Huma sah Rennard. Der Ritter wirkte noch blasser als sonst und schien überrascht, als Huma ihn ansprach.

»Was gibt es Neues, Rennard?«

»Die östlichen Truppen sind auf dem Rückweg.«

Rennards tonlose Stimme ließ Huma das Ausmaß der Bemerkung des ausgemergelten Ritters übersehen. Als die Erkenntnis über ihn hereinbrach, konnte Huma nur mit offenem Mund dastehen, bis er irgendwann genug Luft geholt hatte, um dieselben Worte von sich zu geben, die er gerade gehört hatte. Er wiederholte sie noch einmal, dann schüttelte er den Kopf.

»Das ist nicht möglich! Eine solche Niederlage hat die Ritterschaft noch nie erlebt!«

»Jetzt schon.«

Sie waren gezwungen zu warten, während die Kommandanten und der goldene Drache ihre Diskussion fortsetzten. Kaz stellte sich neben Huma; der Ausdruck auf dem Gesicht des Minotaurus zeigte, daß er die Nachricht gehört hatte. Der junge Ritter fragte sich, wie der Hüne aus dem Osten sich dabei fühlte. Schließlich konnte der Minotaurus nicht mehr zum Feind zurückkehren, nachdem er seinen Vorgesetzten getötet hatte.

Als ob er seine Gedanken lesen konnte, sah Kaz zu Boden. »Ich habe mein Handeln nicht bereut, Huma. Es war meine Entscheidung, den Oger zu töten, und ich würde es wieder tun. Außerdem gibt es jetzt bei meinem Volk kein wirkliches Zuhause mehr für mich. Für die wäre ich ein Feigling und Schwächling, der mit Hilflosen Mitleid hat.«

Inzwischen waren die meisten anderen Drachen gelandet. Huma bemerkte einen Silberdrachen, der ihm – soweit das möglich war – vertraut schien. Er wollte diesen Gedanken gerade als lächerlich abtun, als der Drache in seine Richtung sah und nickte. Es war dasselbe Wesen, das sie in Sicherheit gebracht hatte, derselbe Drache, der sich dem tödlichen, schwarzen Ungeheuer mit dem Kriegsherrn Krynus auf dem Rücken persönlich gestellt hatte.

Ein Horn erklang aus der Richtung der Front, eine einzelne, kummervolle Klage, die langsam erstarb, als hätte der Bläser alle Hoffnung aufgegeben. Das konnte gut möglich sein.

Wieder breitete sich die Finsternis über den Himmel aus. In wenigen Minuten würde sie die ersten Reihen der Ritter verschlingen. Nur die Götter wußten, was darunter geschehen würde.