Bennett und Arak Falkenauge fluchten laut, während Fürst Oswal jetzt wirklich wie ein alter Mann aussah. Seine Schultern sackten zusammen, und er war gezwungen, sich von dem Drachen abzuwenden. Das Riesentier sagte nichts, doch sein Mitleid war offensichtlich.
»Mein Fürst!« schrie Bennett jetzt. Sehr schnell kam Wind auf. Ein paar von den Drachen schlugen nervös mit den Flügeln, vielleicht weil sie die teuflischen Kräfte fühlten, die angerufen wurden, um diese neue Bedrohung heraufzubeschwören.
Als er die Stimme seines Neffen hörte, schien Fürst Oswal sich zu fangen. Ohne weitere Zeit zu verlieren, befahl er den Männern, sich auf die Schlacht vorzubereiten und sich in der nächsten Mulde zu formieren. Das Lager würde der Gnade des Windes ausgeliefert sein. Jetzt war nicht die Zeit für Ordnung. Jetzt ging es um Leben oder Tod.
Rennard klappte sein Visier herunter und schrie: »Unser Sieg über die andere Finsternis war eine Finte. Ich wette, daß die Magier noch mehr zu kämpfen haben, wenn sie das hier zurückdrängen wollen, und ich wette, sie verlieren.«
Weil der Wind ihm den Atem nahm, folgte Huma dem Beispiel des anderen Ritters und senkte sein Visier. Er schnappte nach Luft. Kaz neben ihm war gezwungen, alles ohne Schutz auszuhalten. Huma wußte, daß die Minotauren die rauhste See durchsegeln konnten, aber dennoch hatte Kaz die Hände vor dem Gesicht und war auf die Knie gefallen.
Und immer noch wurde der Wind stärker.
Nicht festgemachte Ausrüstungsteile wehten davon. Die Pferde schnaubten wild, als ein Zelt von seinen Pflöcken gerissen wurde und zwischen ihnen herumflatterte. Huma rannte hinüber und zerrte es von den Tieren weg, konnte es aber nicht festhalten. Es wurde in die Wälder getrieben.
Das ganze Gebiet wurde für alles mögliche zur tödlichen Falle. Der Wind fachte die Lagerfeuer so an, daß sie hoch und ungebändigt aufloderten. Einige Zelte gingen in Flammen auf.
Kaz war gezwungen, seine Augen zu bedecken, damit der von der Erde aufgewirbelte Staub ihn nicht blendete. »Sargas vergib mir! Das ist der König aller Orkane, nur an Land!«
Die Worte des Minotaurus schienen es wirklich richtig zu treffen. Kein Tornado oder Sturm, den Huma je erlebt hatte, hatte solche Zerstörungskraft besessen. Die Bäume neigten sich gefährlich nah dem Boden zu. Ein bißchen mehr Druck, und sie würden aus der Erde gerissen und himmelwärts geschleudert werden. Und die höllische Finsternis schien nicht nachzulassen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Huma kämpfte darum, das Gleichgewicht zu halten. Wie viel schrecklicher mußte es draußen an der Front sein? Nur der eine Hornstoß hatte sie gewarnt. Krynus hatte gut geplant. Galan Drakos hatte gut geplant.
Plötzlich herrschte Ruhe. Der Wind erstarb von einer Sekunde zur nächsten, und die aufgewirbelten Teile regneten vom Himmel. Kaz stand auf, und Huma öffnete sein Visier, um bessere Sicht zu haben.
»Die Zauberkundigen! Sie haben es geschafft!« Da waren sie, weit zu seiner Linken.
Es waren insgesamt zwölf, sechs von den Roten Roben, sechs von den Weißen. Selbst von seinem Platz aus konnte Huma sehen, wie angespannt sie waren. Das war nicht der gleiche Sturm wie neulich. Der war nur eine blasse Illusion gewesen, ein Test vielleicht oder sogar nur ein Trick. Was es auch war, die Zauberer hatten es nun mit einer Macht zu tun, die viel, viel stärker war, als sie erwartet hatten.
Eine der Roten Roben fiel erschöpft zu Boden.
Eine Brise kam auf.
Ein Reiter verdeckte Huma die Sicht. Huma sah zu Bennett auf, der sich und die Situation trotz des Durcheinanders voll unter Kontrolle hatte. In diesem Moment hätte er mit seinem edlen, raubvogelartigen Gesicht und der hinreißend gearbeiteten Rüstung ein Gefährte von Vinas Solamnus selbst sein können.
Bennett überschaute das Gebiet und richtete seinen Blick dann auf den jungen Ritter. »Zu den Pferden. Wenn wir sie nicht losbinden, kommen sie um, wenn die Zauberkundigen versagen.«
Während er noch sprach, wankte ein weiterer von den Roten Roben, um dann zu straucheln. Die Brise verstärkte sich zu Wind.
»Wir ziehen uns zurück!« Der Wind zwang Bennett zum Schreien. »Aber keine wilde Flucht! Wenn wir es dazu kommen lassen, steht nichts mehr zwischen den Gefolgsleuten der Königin und Burg Vingaard! Nichts!«
Die verbliebenen zehn Magier konnten ihre gemeinsame Anstrengung nicht mehr aufrechterhalten. Mehrere brachen zusammen, und die paar, die noch standen, reichten nicht aus. Mit was für einer Macht hatten sie es zu tun?
Der plötzliche, unbändige Sturm warf Huma und Kaz beinahe um. Bennett gelang es gerade noch so eben, sein Pferd unter Kontrolle zu halten. Das Streitroß war Blut und Stahl gewöhnt, aber nicht einen Wind, der so stark war, daß er dem Tier fast den Reiter vom Rücken riß. Instinktiv wollte es davongaloppieren, um Schutz zu suchen.
Bennett brüllte etwas Unverständliches und jagte dann los. Huma erinnerte sich an seine vorherigen Befehle. Halb kriechend näherte er sich den wiehernden Pferden. Kaz folgte ihm. Nachdem er sein Gleichgewicht wiedererlangt hatte, konnte er sich dank seiner Masse jetzt leichter bewegen als der Ritter.
Es erwies sich als schwierig, die Pferde zu befreien. Sie hatten sich in Panik hineingesteigert und sahen jedes sich bewegende Objekt als Bedrohung an. Die vordersten schlugen nach Huma aus, andere schnappten nach seinem Arm. Trotz der Gefahr mußte Huma näher heran, um sie loszumachen.
Als er näher kam, regneten eisenbewehrte Hufe auf ihn herab, und nur weil eine schwere Gestalt sich über ihn stellte, entging er der Verkrüppelung. Ein Huf traf seinen rechten Arm. Er streifte ihn nur, doch es reichte aus, um ihn zu betäuben.
Huma richtete sich mühsam auf und band die Zügel los. Er hatte gehofft, ein paar der Tiere beruhigen zu können und sich vielleicht auf einem in Sicherheit zu bringen, doch dazu waren sie zu verstört. Ein paar Schritte ließ er sich praktisch mitschleifen, bis er seinen gesunden Menschenverstand wieder beisammen hatte und losließ.
»Kaz!« Huma konnte den Minotaurus nicht sehen. Dann erinnerte er sich plötzlich, wie der den Angriff des vor Angst irren Streitrosses abgeschirmt hatte. Huma drehte sich um und sah die bewegungslose Gestalt. Kaz hatte die Tritte mit seinem eigenen Körper abgehalten. Der Ritter erinnerte sich an den Eid des Minotaurus und stieß einen ganz unritterlichen Fluch aus. Er wollte nicht am Tod des Minotaurus schuld sein.
»Kaz!« Er kniete sich neben seinen Retter und drehte ihn herum. Zu seiner Erleichterung öffnete der Minotaurus die Augen.
»Bist du unverletzt?« fragte die stierköpfige Kreatur.
»Das sollte ich dich fragen!« Huma lachte beinahe. Wenn Kaz noch um ihn besorgt sein konnte, dann würde er auch am Leben bleiben. Er half dem riesigen Stiermenschen auf die Beine.
»Kannst du gehen?«
Der Minotaurus beugte sich nach vorn. »Laß mir etwas Zeit. Ich fürchte, das Pferd hat alle Luft aus meinen Lungen getreten.«
Während Kaz sich sammelte, sah Huma sich um. Das Lager war verlassen. Nur ein paar Ritter kämpften im Süden noch um ihre Ausrüstung, und Huma meinte, im Osten Reiter zu sehen. Das Zelt, wo die Kleriker der Mishakal die Verwundeten versorgt hatten, war nicht mehr da. Huma konnte keine Körper sehen; wenigstens hatten die Zauberer ihnen genug Zeit zur Flucht verschafft. Er konnte nur hoffen, daß auch Gwyneth in Sicherheit war.
Und wo waren eigentlich die Drachen?
Seit Ausbruch des Sturms hatte Huma sie nicht mehr gesehen. Die immense Wand eisiger Finsternis war jetzt fast am Lager. Man konnte kaum mehr sehen als in einer mondlosen Nacht. Huma wollte nicht wissen, was in dieser Dunkelheit lauerte, doch er zwang sich hinzusehen. Als er das tat, entdeckte er endlich die Drachen des Lichts.
Er erkannte, daß sie sich zu einer ihrer Schlachtstellungen formiert hatten, eine Art Doppel-V.
Gegen die heranstürmende Gewalt wirkten sie geradezu armselig winzig.
Jetzt gesellte sich strömender Regen zu dem Wind. Kaz schnaubte wütend und brabbelte etwas über den Gestank nasser Menschen. Es ging ihm jetzt gut genug, um sich langsam, aber stetig zu bewegen. Das Unwetter erschwerte ihr Vorwärtskommen. Lieber langsam und stetig, als daß einer von beiden das Gleichgewicht verlor.