Sargas. Es dauerte einige Sekunden, bis Huma den Namen verstanden hatte. Sargas – Sargonnas, Gefährte von Takhisis, der Drachenkönigin. Eine Macht für sich. Die Minotauren verehrten ihn. Natürlich war es nur ein Reflex von Kaz gewesen, doch einer, der sie zu einer Zeit, wo Götter und Göttinnen mit großem Interesse Anteil nahmen, einen tödlichen Preis kosten konnte.
Sargas würde keine Gnade für einen Minotaurus kennen, der zu den von Paladin ernannten sterblichen Wächtern übergelaufen war. Sargas war ein Gott der Rache und der Hinterhältigkeit. Kaz hatte keine Wahl, als sich zu beruhigen und sich dem Urteil der Menschen zu unterwerfen – zumindest in dieser Hinsicht.
»Nun«, sagte Magus und zog seinen Umhang zurecht, »können wir dann weitergehen? Auch ich werde irgendwann müde, und ich habe keine Lust, dann in Reichweite der Häscher der Königin zu sein.«
Es schienen Tage zu vergehen, während sie dem Zauberer durch die Finsternis folgten. Huma begann sich zu fragen, ob die Dunkelheit ganz Ergod bedeckte und ob sie sich jetzt auch über Solamnia erstreckte. Er fühlte sich schuldig, weil er nicht bei der Neuformierung der Truppen half, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, daß er hier, wo der Kriegsherr ihn am wenigsten vermutete, womöglich mehr ausrichten konnte.
Schließlich bemerkte das Trio, daß die Dunkelheit nachließ, als würde sie entweder schwächer oder als hätten sie endlich ihre Grenzen erreicht.
»Das Kraftfeld, das diese Scheußlichkeit erzeugt und aufrechterhält, muß gigantisch sein«, erklärte Magus. »Die Abtrünnigen um Galan Drakos sind begabt, aber selbst sie haben ihre Grenzen. Trotzdem hat es wohl seinen Zweck erfüllt. Das Gleichgewicht der Kräfte ist gebrochen.« Magus wirkte nicht sonderlich besorgt.
Dunkle, geisterhafte Gestalten formten sich und grabschten nach ihnen. Die dämonischen Wesen verschmolzen mit turmhohen Bäumen und dichtem Gebüsch.
»Magus, was ist im Osten geschehen?«
Der Zauberkundige verlangsamte seine Schritte, doch seine Augen waren weiter auf den Weg vor ihm geheftet. »Ist im Osten etwas geschehen?«
»Die Drachen sind gekommen.« Was war aus ihnen geworden, fragte sich Huma. Waren sie alle untergegangen, einschließlich des Silbernen, für den Huma solche Sympathien empfand? »Sie haben berichtet, daß die Ostfront zusammengebrochen ist.«
Magus hielt an, drehte sich um und musterte das Gesicht seines Freundes. »Tatsächlich?« Der Zauberer sah nachdenklich aus.
Kaz verschränkte seine riesigen Arme. »Du weißt eine Menge, Zauberer. Mehr jedenfalls, als du uns verrätst.«
Das zynische Lächeln kehrte zurück. »Ich werde mein Bestes tun, euch aufzuklären, wenn wir unser Ziel erreicht haben.«
»Und wie lange wird das dauern? Ich könnte schwören, daß wir schon tagelang laufen.«
Der prächtige Mann schüttelte sein goldenes Haar. »Geduld! Das hier könnte der gefährlichste Teil unserer Reise sein.«
Als Magus weiterging, knurrte Kaz: »Noch mehr verdammte Rätsel!«
Der düstere Wald war bald in dämmriges Licht gehüllt, und dann war urplötzlich Tag. Bewölkt, wie stets in Ansalon – seit Ankunft der Königin, doch immerhin Tag. Die drei blieben stehen, um das Licht in sich aufzunehmen. Selbst Magus wirkte erleichtert.
»Wir dürften jetzt einigermaßen in Sicherheit sein. Ich habe die kürzeste Route gewählt, die unter diesen Umständen möglich war, aber wir haben immer noch eine ganze Tagesreise vor uns. Ich will nicht, daß Drakos oder auch nur die Schwarzen Roben erfahren, wo mein Hain liegt.«
Kaz schüttelte nur den Kopf und sah Huma an, der zur Antwort auch nur den Kopf schütteln konnte. Auch er wußte nichts über diesen Hain, von dem Magus redete.
Doch Kaz hatte noch ein anderes Problem.
»Ich bin am Verhungern«, beschwerte sich der Minotaurus.
Kaum hatte er gesprochen, als auch Huma den Schmerz in seinem Magen fühlte.
Magus seufzte. Er stieß seinen Stab auf den Boden, und ein Beutel erschien. Er war aus einfachem Leder, fast so groß wie die Satteltasche eines Ritters, und fest verschnürt. »Es ist nicht viel, aber wir werden uns unter diesen Umständen damit begnügen müssen.«
Nicht viel, wie der Magier sich ausdrückte, war mehr als genug für drei Leute – darunter ein Minotaurus – mit gesundem Appetit. Huma sah zu, als Magus Obst, Brot und sogar eine kleine Weinflasche herauszog. Es war mehr als doppelt soviel, wie in den Beutel hineinpaßte, und es schien immer noch etwas darin zu sein. Was für Tricks hatte sein Jugendfreund noch auf Lager? Wie mächtig war Magus, und wem verdankte er diese Macht?
Während er in einen Apfel biß, betrachtete Huma die prächtigen Kleider des anderen. Von Rechts wegen sollte Magus entweder die Weißen Roben des Guten oder – erheblich wahrscheinlicher – die Roten Roben der Neutralität tragen. Statt dessen trug Magus eine blaugoldene Tracht, die eher zu einem ergodianischen Höfling gepaßt hätte. Huma vermutete, daß es echte Goldfäden waren, die in den Stoff eingearbeitet waren. Der Mantel war weiß, aber so weich und kunstvoll gewebt, daß er entweder magischen Ursprungs sein mußte oder das Werk eines herausragenden Handwerkers war. Dazu trug Magus hüfthohe Stiefel aus feinem, poliertem Leder – und auch dies war kein gewöhnliches Leder. Der Ritter konnte nicht sagen, von welcher Beschaffenheit es war, doch er hatte schon einmal ein ähnliches Paar gesehen. Der Großmeister trug solche Stiefel.
Das war nicht die Tracht eines Magiers. Zumindest keines Magiers, von dem Huma je gehört hätte.
Kaz’ Ausruf unterbrach Humas Gedanken.
»Gott der Meere! So einen Wein habe ich noch nie gekostet.«
Der Gesichtsausdruck des Minotaurus schien Magus zu erfreuen. »Gratuliere zu deinem guten Geschmack. Das ist ein seltener Tropfen, den mir die Elfen von Qualinesti geschenkt haben. Es ist mein Lieblingswein.«
»Du bist bei den Qualinesti gewesen?« Huma hatte von den Elfen – und von ihren Verwandten, den Silvanesti – gehört, doch er hatte bis jetzt höchstens Halb-Elfen gesehen wie zum Beispiel Gwyneth.
Der Gedanke an Gwyneth weckte Erinnerungen und Träume, in denen Huma sich jetzt nicht verlieren wollte. Er zwang sie in die hinterste Ecke seine Gehirns.
»Ich war bei ihnen«, berichtete Magus. »Ich besuchte sie, um sie kennenzulernen. Sie sind so stur wie ihre Verwandten. Beide glauben, sie könnten die Welt mit links retten. Ihr Stolz geht auf Kosten der Menschheit.«
Die Stimmung war jetzt ziemlich ernüchtert. Huma ertappte sich dabei, wie er in die Richtung starrte, aus der sie gekommen waren. Von der bedrückenden Finsternis war nichts mehr zu sehen.
Die Nacht brach herein, und auf Magus’ Rat hin schlugen sie ihr Lager auf. Bei Humas Vorschlag, eine Wache aufzustellen, rümpfte Magus nur die Nase. Er versicherte ihnen, daß seine Kräfte für diese Aufgabe ausreichen würden, doch Huma und der Minotaurus bestanden hartnäckig darauf. Verärgert stimmte der Magier schließlich zu, unter der Bedingung, daß er die letzte Wache bekam.
Ritter, die fest schlafen, leben nicht lange. Diese Regel gehörte zu den ersten, die ein Knappe lernte. Es gab zu viele Gegner, die sich leise bewegten. Darum entwickelten Ritter rasch einen sechsten Sinn, der sie warnte, wenn etwas in der Nähe war.
Deshalb wußte Huma Bescheid.
Es war während der letzten Wache, die Magus für sich beansprucht hatte. Huma lag auf der Seite und öffnete seine Augen vorsichtig einen Spaltbreit. Sein begrenztes Blickfeld ermöglichte ihm die Sicht auf die Füße des Minotaurus und die stille Gestalt von Magus selbst – eindeutig schlafend.
Was es auch war, es stand hinter ihm, das wußte er inzwischen. Langsam und vorsichtig drehte er sich wie im Schlaf um, bis er auf den Rücken kam. Seine Hand glitt zum Heft seines Schwertes, und er hatte genug Vertrauen in seine Fähigkeiten, daß er glaubte, eine Chance zu haben.
Er öffnete die Augen weit genug, um das Tageslicht einzulassen.