Er drehte sich zu Huma um und hielt dem Ritter seine Waffen hin, obwohl seine Hand eben noch leer gewesen war. »Der Minotaurus hat ebenfalls seine Waffen zurück. Der Elementar wird euch durch unterirdische Gänge zu den Pferden führen, die ich für Notfälle bereitstehen habe.«
Plötzlich erbebte der Turm.
Magus fuhr herum und starrte in den Spiegel. »Zeig!«
Die Bergszene verschwand, um einem Bild der Zitadelle Platz zu machen. Umzingelt. Ein großer, schwarzer Drache mit einem Reiter. Andere Drachen, rote, daneben.
»Oh, ihr Monde von Krynn!« Magus lächelte bitter. »Bin ich es wert, daß Krynus selbst mich beehrt?«
»Krynus!«
Der Magier sah Huma an, und sein bitteres Lächeln wurde noch breiter. »O ja, ihr zwei seid euch begegnet. Wenn ich Zeit hätte, würde ich dir viel Wichtiges über ihn und die Schwarze Garde erzählen. Aber wie es aussieht…« Der Turm erbebte wieder, und die Decke begann zu bröckeln.
»Arion!« Auf den Ruf des Zauberers hin erschien der Nebeldiener vor ihnen. »Bring sie zu den Ställen! Schnell!«
»Meeiiissteerr.«
»Magus, laß mich dir beistehen.«
»Mir beistehen?« Der Magier lächelte. »Ich stand einst an der Seite von Galan Drakos. Ich war sein Stellvertreter in seinem Magierzirkel. Er braucht mehr als ein paar Drachen, um mich aufzuhalten.«
Ein gewaltiger Windstoß trieb Huma durch die Tür, während er noch überlegte, ob er Magus vertrauen konnte. Nicht nur bezüglich seiner Fähigkeiten, sondern auch bezüglich seiner Beweggründe. Aber würde Huma das je erfahren?
»Huma!«
»Kaz!«
Der Minotaurus kam den dunklen Korridor entlang gestürmt, ohne irgendwelche Bedrohungen zu beachten. Magus hatte Wort gehalten und dem Minotaurus seine Waffen zurückgegeben, auch die gewaltige Streitaxt.
Die ersten Worte des großen Kriegers waren leicht vorauszusehen: »Was hat er jetzt denn für einen Wahnsinn über uns gebracht?«
»Nur den Kriegsherrn, sechs Drachen und weiß Paladin was noch.«
Weitere Balken krachten zu Boden.
Kaz hob die Axt hoch über den Kopf. »Bei dreißig Generationen meiner Ahnen, ich werde nicht unter diesen Steinen sterben!«
»Duuummm! Fooollgeeennn!«
»Dieses Ding da – «
»– führt uns hier raus! Ruhe jetzt!«
Sie rannten dem Luftelementar hinterher, der jetzt ein erstaunliches Tempo vorlegte. Nunmehr glänzte er leicht silbrig, so daß sie ihn in den dunklen Fluren nicht verlieren konnten.
Der Stall war eher eine belüftete Höhle. Es gab ein halbes Dutzend Pferde in allen Größen, alle gut trainiert und elegant. Während sich die beiden ihre Reittiere aussuchten, verschwand der Elementar.
»Wo sind wir?« fragte Kaz.
Huma sprang auf das Pferd, das er gewählt hatte, eine große, silbergraue Stute, und blickte durch den Höhleneingang. »Westlich des Hains, glaube ich. Der Gang führt unter ihm hindurch.«
»Gut. Ein Problemchen weniger.« Der Minotaurus kletterte auf sein Tier, das mindestens ebenso groß war wie er selbst.
Ein neuerliches Beben ließ die Höhle erzittern. Huma befreite die anderen Tiere. Er wollte nicht, daß die Pferde umkamen, falls die Höhle einstürzte.
»Jeeeaaa!« Die Pferde waren schnell, und Huma und Kaz ritten zehn Minuten lang, ohne sich umzusehen.
Hinter sich konnten die beiden die Schreie der Drachen hören, die mit dem Herrn der Zitadelle und ihren Verteidigungsanlagen rangen.
Wozu sollte man eine Schlacht kämpfen, die nicht gewonnen werden konnte? Dennoch war Huma bewußt, daß er beim nächsten Kampf dabeisein würde.
Sie galoppierten über eine Lichtung, und Huma warf einen Blick zurück. »Reiter!«
Es waren mindestens acht mit tiefschwarzen Rüstungen und kohlrabenschwarzen Pferden. Wie Geschöpfe aus dem Abgrund. Die Schwarze Garde. Humas Hand griff nach seinem Schwert, um sich zu vergewissern, daß es noch da war.
Etwas anderes jagte hinter den Reitern her. Bleiche, hundeartige Wesen mit blicklosen, roten Augen. Sechs oder sieben vielleicht. Schreckenswölfe.
Plötzlich brach die Erde vor den dunklen Reitern mit entsetzlicher Gewalt auf. Einem gelang es, sein Gleichgewicht zu halten, und zwei schafften es, der Explosion auszuweichen, doch der Rest verschwand für den Augenblick hinter dem riesigen Hügel, in dem Huma den Luftelementar erkannte. Ein Punkt für Magus, dachte Huma. Der Zauberer hatte einen seiner treuesten Diener losgeschickt, um seinem alten Freund zu helfen.
Die Schreckenswölfe waren ausreichend gewarnt, um das Getümmel zu umgehen, auch wenn einer von einem Pferd erschlagen wurde, das sein Gleichgewicht verlor. Die anderen hetzten weiter.
Ein Baumstamm streifte Humas Arm, und er drehte sich gerade rechtzeitig um, um einem tiefhängenden Ast auszuweichen. Kaz ritt ein paar Schritte weiter rechts. Er hatte es aufgrund seiner Größe schwerer. Die Hörner auf seinem Kopf verfingen sich mit erschreckender Regelmäßigkeit in den Zweigen. Dennoch hielt er verbissen mit.
Huma schaute sich um, sooft es das Gelände erlaubte, doch jedesmal bot sich ihm das gleiche Bild. Zumindest die Schreckenswölfe bewegten sich in konstantem Tempo und schienen unermüdlich. Nur sechs der schwarzen Reiter hatten die Jagd wieder aufgenommen und konnten Schritt halten.
»Wir können nicht…« Ein Ast schlug Kaz ins Gesicht, als er zu sprechen versuchte. »Wir können nicht ewig so weitermachen. Die Pferde werden zusammenbrechen.«
Huma gab ihm recht. Sie trieben ihre Tiere zu mörderischem Tempo an. Huma fällte eine Entscheidung.
»Wir trennen uns! Reite du nach Norden!« Er mußte in die Richtung zeigen, um seine Idee verständlich zu machen. Kaz runzelte die Stirn, stimmte jedoch zu. Huma bedeutete ihm, daß er nach Süden reiten würde. Da er keinen eigenen Plan hatte, gehorchte der Minotaurus.
Als Huma das Zeichen gab, riß Kaz sein Pferd scharf nach rechts, wobei er fast seinen rechten Arm einbüßte, weil das Pferd gezwungen war, um einen Baum zu biegen. Huma sah ihn verschwinden und zügelte dann sein eigenes Pferd.
Das Tier war dem Zusammenbruch nahe. Es wurde so schnell wie möglich langsamer, wobei es mehrfach ins Straucheln geriet. Huma wartete nicht, bis es anhielt, sondern sprang einfach ab. Er landete auf den Füßen und suchte sofort zwischen den Bäumen Schutz.
Die Schreckenswölfe holten rasch auf, und Huma blieb kaum Zeit, sich bereitzumachen. In der Stallhöhle hatte er einen kleinen Holzschild gefunden, den er über seinen freien Arm gestreift hatte. Mit geschmeidiger, leiser Bewegung zog er sein Breitschwert. Er betete, daß die Schreckenswölfe erst dem Pferd nachjagen würden. Nur so hatte er eine Chance.
Er war fest entschlossen, sie so lange aufzuhalten, daß Kaz fliehen konnte. Huma wußte, daß es ihn wahrscheinlich das Leben kosten würde, doch er sah keine Möglichkeit, daß wenigstens einer entkam, wenn der andere nicht zurückblieb. Das konnte er nicht einmal von Kaz verlangen.
Der erste Schreckenswolf kam vorbeigerannt. Nur von einem Ziel besessen, folgte die grausige Kreatur dem verlassenen Pferd, das jetzt die Gefahr erkannte hatte und davonstob. Es würde nicht weit kommen, und Huma bedauerte zutiefst, daß er das Tier opfern mußte.
Zwei weitere Schreckenswölfe rannten vorbei. Noch einer folgte. Jetzt fehlten noch mindestens zwei. Huma riß sich zusammen und versuchte, geduldig zu bleiben.
Noch einer. Noch einer. Als keiner mehr kam, riskierte Huma einen Blick um den Baumstamm. Das erwies sich als Fehler, denn in diesem Augenblick tauchte der erste Reiter auf und entdeckte Huma im selben Moment.
Huma hatte diesen speziellen Baum wegen seines ausgedehnten Wurzelwerks gewählt, das sich teilweise über der Erde ausbreitete. Das erwies sich als glückliche Wahl, denn der Reiter, der als erster die Beute erreichen wollte, trieb sein Pferd zu nah heran. Der linke Vorderhuf des dunklen Tiers blieb an einer Wurzel hängen. Mit einem wilden Schrei stürzte das Tier vornüber, und der Reiter wurde weit durch die Luft geschleudert, um dann als verdrehter Haufen liegenzubleiben. Huma überzeugte sich davon, daß der Reiter tot war, und wendete sich dann zu den anderen um.