Eine tiefere Stimme schloß sich der ersten an: »Vielleicht schenkt er uns den Ochsen. Ich tät’ ihm gern selbst die Haut abziehen. Er hat Bibber umgebracht.«
»Du hast Bibber nie gemocht!«
»Er hatte Schulden bei mir! Das Geld krieg’ ich jetzt nie!«
Eine dritte Stimme schaltete sich ein. »Wie werden die Oger ihn wohl fertigmachen?«
Huma spitzte die Ohren und hörte, wie ein Messer an einem Stein gewetzt wurde. »So richtig langsam. Die haben fiese Methoden für so’n Zeug.«
Huma hörte Ketten rasseln und versuchte, den Ort auszumachen. Irgendwo weit rechts, befand er.
»Er is wach.«
»Nu gibt’s Spaß.«
Wieder Kettengerassel, und eine dröhnende Stimme, welche die Entfernung ohne Schwierigkeiten überwand, gab zur Antwort: »Gebt mir eine Waffe und laßt mich kämpfen.«
»Ha!« Die Goblins brachen in meckerndes Gelächter aus. »Das könnte dir so passen, was, Hornochse? Wir sind doch nich blöd.«
»Tut es lieber, bevor jemand kommt.« Plötzlich klang die Stimme gepreßt wie unter großer Anstrengung. Die Stimmen der Goblins – vier nach Humas Schätzung – schwiegen, bis aus dem Pressen ein Luftschnappen wurde. Die Ketten rasselten.
»Ich dacht’ schon, er würd’s schaffen!«
»Zwei Kupferstücke, daß er’s schafft!«
»Was? Du Blödmann! Du willst bei so was wetten?«
»Bibber hätt’ mitgemacht.«
Huma war so auf die Goblins konzentriert, daß er fast den leichten Schritt hinter sich überhört hätte. Als er ihn wahrnahm, war er sich zuerst sicher, daß man ihn bemerkt hatte. Doch der andere lief weiter, und Huma erkannte, daß der Goblinposten im Nebel kaum etwas sehen konnte. Dennoch würden nur ein paar Schritte mehr den Goblin so nahe bringen, daß nicht einmal dichter Nebel den Ritter retten würde.
Seinen ganzen Mut zusammennehmend, schlug Huma leise einen Bogen, um hinter die Wache zu gelangen. Er ging im gleichen Rhythmus wie der Goblin, doch seine eigenen Schritte waren eineinhalbmal so lang. Jeder Schritt brachte ihn daher näher heran. Nur noch ein paar…
Ein wütendes Brüllen erscholl aus dem Lager. Ritter und Goblin drehten sich unwillkürlich um. Dann starrten sie einander an, während die Situation ihnen langsam bewußt wurde. Huma reagierte als erster, indem er im verzweifelten Versuch, den Goblin zum Schweigen zu bringen, lossprang. Er erwischte den Goblin mit Schwert und Körper zugleich. Die Kreatur stürzte zu Boden – doch vorher stieß sie noch einen erstickten Schrei aus.
»Schweineschlächter?«
Huma verfluchte sein Pech und kroch von dem Körper weg. Die Goblins hatten aufgehört, den Gefangenen zu quälen – der offenkundig den Brüller losgelassen hatte – und tasteten sich jetzt in die Richtung vor, aus der ihr Gefährte gerufen hatte.
»Schweineschlächter!«
»Der ist bestimmt wieder über einen Stein gestolpert.«
»Ja, und was is’ dann mit ihm passiert – hat er sich den Kopf aufgeschlagen? Schweineschlächter!«
»Ich find’, ich sollte hierbleiben. Nur für alle Fälle.«
»Spötter is’ hinten. Du kommst mit uns mit, oder ich geb’ dir was von dem, was der Ochse kriegt.«
»Schon gut!«
Die Goblins machten mehr als genug Krach, um Humas Bewegungen zu übertönen, und der Nebel verbarg ihn, auch wenn eine der Kreaturen erstaunlicherweise daran gedacht hatte, eine Fackel mitzunehmen. Sie würden jedoch schon bald den Körper ihres toten Kameraden finden, und dann war es aus mit Humas Vorteil.
Sein Vorrücken brachte ihn nahe ans Lager. Er meinte, eine große Gestalt auf dem Boden liegen zu sehen, die so etwas wie einen gehörnten Helm auf dem Kopf hatte, doch im Nebel waren die Proportionen des Menschen – oder vielleicht Elfen oder Zwergs – verzerrt. Das Lagerfeuer war schon niedergebrannt. Eine schattenhafte, zerlumpte Gestalt kam näher, und Huma war klar, daß es sich um den Goblin Spötter handeln mußte, der als Wache bei dem Gefangenen zurückgelassen worden war.
Trotz der schlechten Beleuchtung durch das Feuer machte sich Huma keine Illusionen über seine Chancen, diesen Goblin zu überraschen. Das Gelände vor ihm bot keine Deckung, und der nervöse Goblin drehte sich in alle Richtungen. Huma erkannte, daß er eine üble Zweihänderaxt in den Pfoten hielt.
Humas freie Hand ertastete ein paar kleine Steine, und in seinem von der Gehirnerschütterung gemarterten Kopf keimte eine Idee. Er nahm eine Handvoll Steine und wagte es, auf die Knie zu gehen. Mit einem Stoßgebet zu Paladin warf er sie auf die andere Seite des Lagers.
Zu Humas großer Erleichterung reagierte die Wache wie erhofft. Als der Goblin nachsehen wollte, klaubte Huma eine weitere Handvoll Steine zusammen, stand auf und schlich sich hinter den Gefangenen. Auf halbem Wege warf er die Steine und gab dieses Mal acht, daß sie noch weiter flogen. Mit klopfendem Herzen legte er die restliche Distanz zurück.
Wer der Gefangene auch war: Er war riesig. Und er stank. Der Helm schien eher eine Art Kopfschmuck zu sein, obwohl Huma nicht genau genug hinsah, um sicher zu sein.
»Bleib ganz still«, flüsterte Huma.
Er fühlte, wie der Körper sich anspannte, doch es kam keine Antwort. Aus seiner Position konnte Huma erkennen, daß zwar die Arme zusammengekettet, die Füße jedoch nur mit einem Seil gefesselt waren. Er griff in seinen Gürtel und holte gerade seinen Dolch heraus, als die anderen Goblins einen Schrei ausstießen. Sie hatten ihren Kameraden entdeckt.
»Schneide deine Fesseln durch und lauf! Ich werde alles tun, um dir einen Vorsprung zu verschaffen!« Noch während er das sagte, wunderte sich Huma über seine eigene Waghalsigkeit – oder Dummheit, was schwer zu unterscheiden war. Er wußte nur, daß er als Ritter die Pflicht hatte, sein Leben für andere einzusetzen.
In dem Moment kam Spötter zurückgerannt, um den Grund für das Geschrei zu erfahren, und Huma richtete sich auf. Zuerst verwechselte der Goblin Huma mit einem seiner Gefährten, doch er erfaßte fast augenblicklich seine Lage und hackte mit einem wilden Axtschwung auf den jungen Ritter ein. Huma wich mit Leichtigkeit aus und traf den Goblin am Arm. Spötter wurde sich seiner Lage bewußt und rief um Hilfe.
Die Attacken des Goblins bewiesen wenig Kampfgeschick, sondern waren ein schierer Verzweiflungsakt. Huma konnte den Axthieben leicht ausweichen, doch er wußte, daß jedes Zögern ihn teuer zu stehen kommen würde. Er hörte bereits die anderen Goblins zum Lager zurückstürmen.
Dann stieß der Goblin, der anscheinend der Anführer war, einen Schrei der Überraschung aus. Er brüllte: »Der Ochse is’ frei!«
Es war wirklich etwas frei, und Huma fragte sich, wen oder was er da eigentlich befreit hatte. Mit einem wilden primitiven Schrei rannte die schattenhafte Gestalt an Huma vorbei. Der entgeisterte Goblin ließ brabbelnd die Axt sinken und fiel gleich darauf selbst zu Boden.
Unbewaffnet und mit zusammengeketteten Händen konnte der andere sicher nicht gegen drei Gegner bestehen. Doch als Huma ihm zu Hilfe eilen wollte, war sein erster Eindruck, daß eine riesige, bullige Gestalt die Goblins überrannte, als wären sie kleine Kinder. Einer war ihm zu nahe gekommen und quiekte jetzt hilflos in der Luft über dem Kopf des vormaligen Gefangenen. Die anderen beiden wichen furchtsam zurück. Huma blieb stehen, denn er war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob es klug wäre, näher zu kommen.
Der Befreite schleuderte den unglückseligen Goblin auf den nächsten seiner beiden Kameraden, welcher dem lebenden Geschoß kreischend auszuweichen versuchte und fliehen wollte. Die beiden Goblins stießen mit knochenbrechendem Krachen zusammen. Sie fielen in einem Haufen übereinander und rührten sich nicht mehr.
Dem letzten Überlebenden blieb keine Zeit zu reagieren. Die große, muskulöse Gestalt griff mit beiden Armen nach vorn und wickelte ihre Metallkette um den Hals des entsetzten Goblins. Mit einem einzigen Zug, der von der Stärke dieser fleischigen Arme zeugte, riß die Kette den Kopf des Goblins zurück. Die leblose Hülle fiel wie ein Sack Eicheln zu Boden.