»Ich war unterwegs zu meinen Vettern im nördlichen Ergod, als ich euch gesichtet habe. Es war eine Situation, die mich interessierte, darum bin ich gelandet«, erzählte die Drachendame. »Ich sollte weiterfliegen, aber es wird kein großer Umweg sein, wenn ich euch zwei zu eurem Ziel bringe.«
Der Gedanke daran, auf dem Rücken eines der legendären Drachen durch den Himmel zu brausen, war für Huma einfach überwältigend. Er wußte, daß es Ritter gab, die vom Rücken der gewaltigen Tiere aus kämpften, doch Huma hatte dieses Privileg noch nie genossen.
»Wie sollen wir uns festhalten?«
»Wenn ich langsam fliege, sollte es euch nicht schwerfallen, euch mit Armen und Beinen festzuklammern. Das haben schon viele getan, auch wenn ihr die ersten seid, die mit mir fliegen. Es wird euch viel Zeit und Mühe ersparen.« Der Drache senkte den Kopf, so daß er mit seinem auf einer Höhe war.
Huma würde fliegen! Magus hatte einst gesagt, daß dies einer seiner wichtigsten Gründe sei, sich einem Zauberorden anzuschließen – zwischen den Wolken zu schweben.
Huma erkletterte den langen, sehnigen Hals genau über den Schultern und lächelte unwillkürlich den Drachen an, der ihm den Kopf zuwandte. Er wußte, daß dieser seine Begeisterung nur zu gut verstand. Leicht rot angelaufen streckte er Kaz die Hand entgegen. Der Minotaurus starrte die dargebotene Hand und dann den Rücken des Drachen an.
Er schüttelte heftig den Kopf. »Mein Volk bringt Landratten und Seefahrer hervor. Aber wir sind keine Vögel.«
»Es ist absolut sicher.« Der Drache wirkte gekränkt. »Selbst ein Baby könnte ohne Furcht auf mir reiten.«
»Ein Baby wäre dumm genug. Ich aber nicht.«
»Keine Angst, Kaz.«
Humas Bemerkung packte den Minotaurus bei seinem Stolz. Wenn ein gewöhnlicher Mensch dieses Wagnis auf sich nahm, dann konnte er, der Minotaurus, das auch. Mit wütendem Schnauben ergriff er Humas Hand und kletterte hoch. Wortlos setzte er sich genau hinter den Ritter, wobei sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte. Mit Händen und Beinen umklammerte er den Drachenhals.
»Seid ihr fertig?«
Huma drehte sich um zu Kaz, der geradeaus in Leere starrte. Der Ritter wandte sich zurück. »So gut es geht, glaube ich.« Sein Herz klopfte, und er kam sich eher vor wie ein kleines Kind als wie ein Ritter von Solamnia. »Werden wir hoch fliegen?«
Der Silberdrache lachte regelrecht, ein tiefes, kehliges Lachen. »Nicht so hoch, wie du es dir vielleicht wünschst, aber du wirst wohl auch nicht enttäuscht sein.«
Der Drache warf einen letzten amüsierten Blick auf den Minotaurus und begann dann mit den Flügeln zu schlagen. Huma sah fasziniert zu, wie der Boden unter ihnen zurückwich. Innerhalb von Sekunden schraubte sich der Silberdrache hoch in den Himmel. Huma klappte sein Visier herunter, um den Wind etwas von seinem Gesicht abzuhalten. Kaz klammerte sich zu Tode verängstigt fest und änderte seine Haltung auch nicht, als der silberne Gigant aufhörte zu steigen und schließlich in einen langsamen, gleichmäßigen Flug überging.
Huma klappte das Visier hoch und lehnte sich so nah wie möglich zum Kopf des Drachen hin. »Das – das ist phantastisch!«
»Vielleicht hättest du selber ein Drache werden sollen!« gab er zurück. »Wenn du die Welt nur so sehen könntest wie ich!«
Er versuchte nicht, das zu erklären, und Huma bat ihn auch nicht darum. Für kurze Zeit waren der Krieg, die Ritterschaft und all seine Probleme vergessen.
Huma setzte sich auf und sog die herrlichen Eindrücke in sich auf.
4
Der Krieg hatte kurz und endgültig sein sollen. Takhisis, Drachenkönigin und Königin der Finsternis, hatte all ihre Kinder ins Feld geworfen, ihre Sklaven und Krieger, ihre Zauberer und Mystiker, in einer gewaltigen, vereinten Streitmacht. Zentrum ihres Angriffs waren die Ritter von Solamnia, denn in ihnen sah sie die gefährlichste Macht, die einst die Elfen verkörpert hatten. Heute waren die Elfen nur noch ein Schatten ihrer einst so gewaltigen Macht. Takhisis würde ihnen ihre Aufmerksamkeit erst zuwenden, wenn die Ritterschaft vernichtet war.
Doch die Ritter hatten ihre eigenen Verbündeten und vor allem Disziplin und Organisation, woran es den Gefolgsleuten der Königin mangelte. Außerdem hatten die Ritter ihr Leben dem ewigen Widersacher von Takhisis, Paladin, verschrieben.
Es hieß, Paladin hatte den Ritterorden höchstpersönlich ins Leben gerufen. Es stimmte zwar, daß Vinas Solamnus, der ergodianische Befehlshaber, der sich gegen die Tyrannei seines Kaisers aufgelehnt hatte, Kodex und Maßstab eingeführt hatte, denen seine Soldaten gehorchten, doch er hatte immer behauptet, auf der fernen Insel Sankrist – einem Ort jenseits der Westküste von Ansalon – in einen Hain geraten zu sein, wo Paladin selbst ihn erwartet hatte. Mit seinen Zwillingssöhnen, den Göttern Kiri-Jolit und Habbakuk, hatte der Gott Vinas Solamnus gezeigt, wie er eine schlagkräftige Streitmacht für das Gute aufstellen konnte.
Von Habbakuk stammte der Orden der Krone, für den Loyalität als höchstes Gut galt. Alle neuen Ritter wurden Mitglied dieses Ordens, um zu lernen, wie man gemeinsam handelte, seinen Gefährten beistand und in Treue den Maßstab befolgte.
Von Kiri-Jolit, dem Gott des gerechten Kampfes, stammte der Orden des Schwerts. Wer es wünschte, konnte freiwillig in diesen Orden eintreten, wenn er sich als Mitglied der Krone bewährt hatte. Ehre war das Allerwichtigste für die Ritter des Schwerts. Keine Hand sollte sich im ungerechten Zorn erheben, kein Schwert wegen persönlicher Eifersüchteleien gezogen werden.
Von Paladin selbst stammte der Orden der Rose. Das sollte die Elite sein, die Ritter, die sich dem Gott so mit ganzem Herzen verschrieben hatten, daß nichts anderes mehr für sie zahlte. Weisheit und Gerechtigkeit beherrschten ihr Leben. Aus ihren Reihen wurde normalerweise der Großmeister gewählt, der dann die gesamte Ritterschaft anführte.
Obwohl es zu Vinas Solamnus’ Lebzeiten zunächst nicht so gewesen war, wurde der Orden der Rose zum königlichen Orden. Zwar floß in allen Richtungen blaues Blut, doch der Orden der Rose stand nur denen von »reinstem« Blute offen. Niemand stellte diese Regel je in Frage, obwohl sie allen Lehren von Paladin zuwider lief.
Der Krieg hatte sich in einem furchtbaren Kräftegleichgewicht eingependelt. Menschen, Drachen, Oger, Goblins – die Verluste häuften sich, die Aasfresser kamen, die Seuchen begannen.»Ich hätte nicht gedacht…« Die Stimme des Silberdrachen brach ab. Huma war nicht klar gewesen, wie rasch sich die Verwüstung über eine neue, bisher unberührte Region ausbreiten würde. Unter ihnen lag – erschreckend nah – der Beweis.
Ganze Gruppen stolzer, alter Bäume waren entweder von Drachen oder von Magiern ausgerissen worden. Von den Feldern waren nicht viel mehr als große Flächen nackter Erde geblieben, in die viele Füße ihre Spuren gedrückt hatten. Unzählige Tote, Ritter wie Oger, lagen dort verstreut herum. Vielleicht ein paar mehr von den letzteren – oder war das bloß die Hoffnung des solamnischen Ritters?
Humas Gesicht wurde blaß. Er betrachtete die Leichen und bedeckte dann die Augen, während er um seine Fassung rang.
»Das ist eine nutzlose Schlacht«, rief Kaz ihm ins Ohr. Das Interesse für die Schlacht hatte seine Flugangst verdrängt. »Krynus stochert herum, und die Kommandanten der Ritterschaft beißen dann ein bißchen zurück. Davon hat keine Seite etwas.«
Bei seinen Worten versteifte sich Huma. Kaz konnte nicht aus seiner Haut. Ein Kampf bestand für ihn aus Kampfkunst und Position. Selbst bei persönlicher Teilnahme würde er Strategie und Taktik beurteilen. Auch dann, wenn seine eigene Axt durch die Luft schnitt.
Der Silberdrache wandte ihnen den Kopf zu. »Hier können wir eindeutig nicht landen. Kyre ist auf jeden Fall verloren, und zwar für beide Seiten. Diese Weizenfelder werden niemanden mehr ernähren.«
Huma blinzelte. »Dann gibt es Hoffnung. Die Nachschublage der Oger muß angespannt sein. Die Ritter sind da besser dran.«