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So füllte sich der Raum mehr und mehr, dichter Tabaksqualm nebelte bald die weite Sicht ein, bis es schier unmöglich war, die Theke aus der Ecke noch zu erkennen, während die Stimmen lauter und die Bewegungen schwerer wurden, denn der Ratswirt zapfte einen guten, gegorenen Tropfen und einen höllischen Brand.

«Die Bürger von Augustusburg mögen leben!«rief Herr von Maltitz plötzlich laut in den Raum hinein. Und als sich alle Köpfe wie an einem Zugband zu ihm umwandten, hob er sein Glas und prostete ihnen zu.

«Beim guten Wein läßt sich's gut leben!«rief eine Stimme aus der Menge, und helles Gelächter flatterte auf.

«Der Wein ist für jeden!«rief Maltitz zurück.»Wer mein Freund ist, komme heran und trinke mit uns! Wer aber ein blöder Spießer ist, der verlasse den Keller!«

Ein Bürger will nie ein Spießer genannt werden, wie es ja überhaupt wenige Leute gibt, die ihren richtigen Namen zu schätzen wissen. So kamen denn auch etliche Ehrenmänner an die Ecke heran, schoben ihren Stuhl an den Tisch der beiden und griffen ungeniert zum Weine. Selbst der Bürgermeister von Augustusburg, der sonst streng auf die Wahrung der Distanz sah, ließ sich die Chance nicht entgehen, einen sonst nur im Traum erahnten Tropfen aus der Flasche zu genießen, und rückte keck neben den Herrn von Maltitz, der sich, der Ehre nicht bewußt, bezecht an ihn lehnte.

«Meine Freunde!«hob er zu sprechen an.»Wir sind zwei fahrende Gesellen. Scholaren der Politik, Magister des Wortes und Famuli bei den Künsten der Musen!«Er zeigte auf Otto Heinrich Kummer und klopfte dem leicht Schwankenden auf die Schulter.»Mein junger Freund hier ist ein Dichter. Vor einer Stunde hat er mir's gestanden! Wohlan, Kollege — eine Probe wollen diese Herren hören!«Und als sich Kummer sträubte, hieb Maltitz die Faust auf den Tisch und schrie:»Ist keiner unter euch, der diesen Dichter bittet, uns zu erfrischen?!«

Während die Freunde noch miteinander verhandelten, wer zuerst auf den Tisch steigen solle und seine Verse vortrage, trug der Ratswirt Krug um Krug in die nun weite Runde und trug mit ihnen eine dicke Trunkenheit in die Gehirne der vergnügten Zecher.

«Zuerst der Junge!«rief der Bürgermeister.

«Siehst du«, sagte Herr von Maltitz.»Der Bürgermeister sagt es auch!«

«Was soll ich denn deklamieren!«rief der junge Kummer.»Ich habe doch nur ernste Lieder!«

«Was, ernst?!«Ein dicker Mann — es war der Schmied — donnerte seine Stimme durch den Qualm.»Ein Trinklied, Bürschchen, oder ich hole den Amboß und schlage so lange den Takt, bis dir ein Ver-schen kommt!«

«Ein Trinklied!«johlte die Menge.»Ein Trinklied!«

Und Maltitz stand schwankend auf, zerrte Kummer mit sich empor und schrie:»Ein Trinklied! Ein Trinklied!«

Ehe es sich der Jüngling versah, stand er schon auf dem Tisch, umringt von einer johlenden, rauschenden, trunkenen Menge, von dicken, glänzenden Gesichtern, wässerigen Augen und blauen Nasen, fleischigen Händen und dröhnenden Stimmen. Und während er sich noch besann, sammelten sich die Stimmen zu einem grölenden Chor und brüllten:

«Ein Trinklied! Hussei! Ein Trinklied! Ein Trinkliiiied!«

Da hob Kummer die Hand. Von irgendwoher warf man ihm eine Laute in den Arm, er preßte sie an seine Brust, schlug die Saiten laut zu einem Akkord und begann dann, so, wie ihm die Verse wie ein Kobold in den Mund sprangen, zu singen:

«Freunde, laßt uns heut vergessen, was im Herz uns schmerzhaft rührt, laßt im Punsche uns vermessen suchen, was die Freude spürt!

Greift mit kühner Hand zum Becher, dieser Griff sei euch erlaubt,

selbst der ält'ste Herzensbrecher wird im Rebensaft entstaubt!

Hoch die Gläser, hohl die Kehlen, trinkt, o trinkt, eh es zu spät, jeder Tropfen wird euch fehlen, wenn's juchhei zur Hölle geht.

Hoch die Gläser, hohl die Kehlen, schüttet, Freunde, haltet Schritt — ich versprecht' euch: wenn ich sterbe, nehm' ich meinen Becher mit!«

«Das nenne ich ein Trinklied!«schrie Maltitz, als Kummer die Laute in die klatschende Menge warf und mit einem großen Sprung vom Tisch setzte.»Das nenne ich Feuer im Blut. Trinklied, beim Punsche zu singen — Otto Heinrich, Freund, Bruder auf den Wegen der Verachtung — das ist der rechte Geist: vom Scherze singen, während Tränen in der Kehle drücken. «Er riß den Jüngling in seine Arme, drückte ihn an seine breite Brust und streichelte ihm über das blonde Haar, während die betrunkenen Bürger lärmend und lachend umherstanden und das Sichfinden zweier Seelen mit einem plumpen Scherz verwechselten.

«Noch ein Lied!«grölten sie und trommelten mit den Fäusten den Takt auf die Tische.

«Noch ein Lied!«brüllte der Schmied.»Zur Hölle geht's ja allemal! Da hat er recht! — Ein Lied!«

Doch Kummer schüttelte den Kopf und sah Maltitz flehend an.

Maltitz verstand, warf einen Säckel mit Geld auf die Theke, schob den Apotheker zur Tür, riß sie auf, daß die kühle Luft der Herbstnacht in den Qualm und Weindunst der Wirtschaft schoß und die blauweißen Schwaden zu brodeln und kreiseln begannen, und wandte sich dann an die nachdrängenden, protestierenden Bürger:

«Freunde«, rief er.»Genug des Singens! Nur selten leuchtet ein Genie auf — es ist ein Stern, der sparsam mit dem Licht ist!«Und als er sah, daß diese Rede an den stieren Augen, offenen Mündern und rülpsenden Kehlen vorbeiging, schrie er:»Sauft weiter! Noch ist's nicht Morgen! Wir geh'n nur einmal um das Haus und kommen dann wieder!«

«Ein Lied will ich haben!«brüllte der Schmied.»Ich lege euch über den Amboß — beim neunzigschwänzigen Satan —, ich will ein Lied!«

«Sing dir's allein!«lachte Maltitz zurück, während er Kummer durch die Tür ins Freie schob.»Oder besser: singt alle!«Und er sang laut:

«Wirt, ein Glas her! Wirt, 'ne Flasche, meine Kehle ist schon wund, zapft vom Faß mir die Karaffe, gebt mir einen Schlauch zum Mund…«

Mit lautem Grölen fielen die Bürger von Augustusburg ein, hieben auf die Tische, umarmten sich und schrien, an der Spitze der Wirt und der Schmied, deren mächtige Bässe wie Orgelpfeifen die Runde übertönten. Mit den Füßen den Takt stampfend, ließen sie die Kanne von Mund zu Mund gehen und jagten die Kellnerin hin und her.

Maltitz war währenddessen dem Freunde gefolgt, faßte ihn nun unter und ging mit ihm durch die kühle, frische Nacht.

Hinter ihrem Rücken klang schwach der Rundgesang aus der Wirtschaft, vor ihnen strahlte mit Hunderten Lichtern die Augustusburg auf ihrem mächtigen Felsen, und vom sternenklaren, glitzernd übersäten Himmel drang beängstigend sanfter Frieden in die Seele der beiden Wanderer.

«Ich habe Ihnen eine schöne Nacht und einen noch schöneren Tag zu danken«, sagte Kummer nach langer Schweigsamkeit.»Ich nehme die Nachtpost, Herr von Maltitz — ich muß morgen frisch im Laboratorium stehen.«

«Nicht Sie dürfen mir danken, bester Freund«, erwiderte Maltitz und legte seinen Arm um Kummers Schulter.»Sie haben mir für wenige Stunden die Lust zum Leben gegeben. Ihre Jugend, Ihr Glau-be an das Kommende, Große, Ewige, Menschliche hat auch mich entzündet. Dafür muß ich Ihnen danken… denn es ist viel, sehr viel…«

Vor dem Rathaus, wo die Nachtpost wartete, drückten sie sich lange die Hand und sahen sich tief in die Augen.

«Leben Sie wohl«, sagte Kummer mit belegter Stimme.»Ich werde im Geiste stets bei Ihnen und Ihrem großen Werke sein.«

«Auf Wiedersehen«, antwortete Maltitz leise.»Ja, auf Wiedersehen… mein Freund Kummer.«

Rasselnd verschwand die Kutsche in der Dunkelheit.

Das Leben in Frankenberg ging seinen altgewohnten, streng dem Gesetze des Berufes vorgeschriebenen Gang.