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«Sie mögen es sein«, sagte der Jüngling mit ruhiger, aber in der zurückgedrängten Erregung gepreßter Stimme.»Sie vergessen aber, daß ich keine Anlagen besitze, ein Sklave zu sein. Ich habe ein Eigenleben, das ich mit allen Mitteln verteidige, ich habe ein Recht, über mich selbst zu verfügen, ich habe auch die Kraft, meine Wünsche an das Leben durchzusetzen. Ich liebe die Freiheit des Geistes und der Person. «Und mit lauter Stimme schrie er dem zurückprallenden Knackfuß ins Gesicht:»Die Freiheit aber ist das letzte, was Sie mir stehlen können.«

Schwer atmend standen sich die Männer gegenüber.

Eine Welt lag zwischen ihnen.

«Ich werde Ihrem Vater schreiben«, zischte der Prinzipal durch die aufeinandergepreßten Lippen, die wie ein Strich sein Gesicht durchschnitten.»Ich werde Sie züchtigen lassen, bis Sie sich bei mir entschuldigen. - Gehen Sie! Ich will Sie heute nicht in meinem Hause sehen! Das andere findet sich.«

Mit einer scharfen Wendung drehte sich Otto Heinrich um und ging hinaus.

Laut krachend fiel die Tür ins Schloß. Auf dem Gang entfernten sich seine Schritte.

Sie klangen ruhig, fest und siegesfroh.

Ein Mensch hatte sich gefunden. Er hatte gespürt, wie die Fesseln rissen und sich von seinem Herzen lösten.

Die Freiheit lag vor ihm, der Weg ins kalte, unbekannte, ferne Nichts.

Die große Hoffnung Otto Heinrichs, frei zu sein und in das weite Leben hinauszustoßen, wurde am Abend dieses schicksalhaften Tages jäh zerstört. Zwar beachtete ihn der Prinzipal am Tische nicht und sah durch ihn hindurch, doch verkündete er den aufhorchenden Gesellen und dem mit weit offenem Munde von Kummer zu Knackfuß starrenden Bendler, daß mit dem heutigen Tage der Kollege Otto Heinrich Kummer als Hauptprovisor anzusehen sei und er — der Prinzipal — die nötige Achtung von jedem in der Apotheke fordere.

Sonst nichts. Das Abendessen wurde in stiller Hast genommen, manch schräger Blick traf das gesenkte Haupt des neuen Vorgesetzten, und nur der Riese Bendler belebte mit seiner lauten Stimme hie und da die Tafel, wenn er, mit einem Blick auf Jungfer Trudel, ein Anekdötchen aus dem Leben in der Apotheke preisgab.

Knackfuß aß langsam, stumm, zusammengeduckt auf seinem Stuhl. Mitten im Essen schob er den Teller plötzlich von sich fort, stand auf, schob seinen Stuhl unwirsch zur Seite, nickte kurz und stampfte aus dem Zimmer in das von allen ängstlich gemiedene Kontor.

Ein dumpfes Schweigen blieb am Tisch zurück.

Nur Willi Bendler wechselte seinen Platz, setzte sich neben Otto Heinrich und stieß ihn mit dem Ellbogen leicht in die Seite.

«Dicke Luft, was? Der Alte merkt, daß sich die Jugend an das Licht drängt! — Mensch, Otto Heinrich — Provisor —, rechte Hand des Geiers. das ist dem Alten schwergefallen und nagt an seiner Würde.

Daß er's getan hat, ist das neue Rätsel von Frankenberg!«Er lachte leise und beugte sich zu dem Freunde hinüber.»Du hast Glück, lieber Junge, ich gönne es dir. Doch merke dir — der Alte gab dir heute seine rechte Hand — und mit der linken schlägt er dich zu Boden.«

Mit einem Satze sprang Otto Heinrich auf, legte dem Freunde kurz die Hand auf die Schulter und eilte dann aus dem Zimmer.

Die Hände tief in die Taschen vergraben, wanderte er mit verhaltenen Schritten durch den weiten Garten hinter dem Haus, hob das Haupt, damit der kalte Wind in seinen Locken spiele und die heiße Stirn kühle, und schob mit den Spitzen seiner Lackschuhe den Schnee als kleine Hügel vor sich her, ehe er sie mit einem kräftigen Schwung des Beines zerstäubte.

Vorbei an den tief im Schnee vermummten Zwergtannen wanderte Otto Heinrich, den Kopf tief gesenkt.

Plötzlich stand er vor der Laube, deren Dach ein hoher Schneehut zierte. Mit einem leisen Frösteln trat er ein, verwundert, daß die Kälte in dem engen Räume nachließ, und setzte sich, indem er den Kragen seines Rockes hochschlug, auf die Holzbank hinter dem vermorschten Tisch.

Ein fades Halbdunkel klebte in der Laube. Von draußen leuchtete schwach der Schnee. Da schloß der Jüngling die Augen, lehnte sich zurück, legte den Kopf weit in den Nacken und ballte die in der Tasche vergrabenen Hände zur Faust.

O diese Einsamkeit… diese sanfte Stille. Wie schön war sie, und doch, wie grausam stach sie in das Herz, das sich Leben, Glück und einen Hauch von Liebe wünschte.

Der Einsame in seiner zugeschneiten Laube fror. Ein Zittern rieselte durch seinen Körper.

Plötzlich zuckte er auf und richtete sich im Sitzen hoch.

Ein leichter, im Schnee knirschender Schritt näherte sich der Hütte. Eine Hand tastete nach der Klinke, leise knarrend schwang die

Tür auf, und ein schmaler Schatten huschte in den engen, dunklen Raum.

Otto Heinrich hielt den Atem an und rührte sich nicht.

Doch auch der Schatten, im Dunkel verschwommen, trat nicht näher, sondern verharrte in einer Ecke des Zimmers.

«Ist jemand hier?«fragte der Apotheker nach einer langen Weile des Schweigens und Wartens.

«Ich wußte, daß Sie hier sind«, antwortete leise eine helle, klingende Stimme, die Otto Heinrich emporzucken ließ und ihm die Worte von den Lippen nahm. Bebend strich er sich mit den halberstarrten Händen über das Haar, versuchte stotternd einen neuen Anfang und murmelte dann nur in fassungslosem Staunen:

«Jungfer Trudel.?«

Das Rauschen eines Mantels klang kurz auf, dann faßte seine Hand warme, zarte Mädchenfinger, und aus dem Dunst von Dunkelheit tauchte das Antlitz Trudels unter einer Mütze aus dickem Pelze auf. Ein paar blonde Locken ringelten sich unter ihrem Rand hervor, während ihre großen Augen traurig und verweint auf den Jüngling blickten.

«Ich weiß, daß Sie allein sind, daß Sie Sehnsucht haben nach einem Leben, das Sie gar nicht kennen und das Sie nur aus Büchern und idealen Schilderungen lieben. - Ich möchte Ihnen helfen, Otto Heinrich.«

Der junge Apotheker sah zu Boden, löste seine Hand aus ihren wärmenden Fingern und trat einen halben Schritt zurück. Wie um Halt zu suchen, lehnte er sich mit dem Rücken an die Holzwand der Laube und schob die Hände wieder in die Tasche.

«Es ist nicht gut, daß Sie gekommen sind. Wenn es der Prinzipal erfährt, beginnt für Sie und mich die Hölle.«

«Mein Vater ist nicht schlecht«, sagte das Mädchen leise.»Er ist verbittert.«

«Er ist herrisch, hart, voll Dünkel und voll Unrecht.«, unterbrach sie Otto Heinrich.

Das Mädchen schüttelte den schmalen Kopf, und eine Träne glit-zerte in ihren halbverschlossenen Augen.

«Mein Vater lernte früh, wie hart das Schicksal ist. Ich war zwei Jahre alt, als er die Frau verlor… verlor an einen fahrenden Komödianten, der sie mitnahm in die lockende Ferne. Diese Frau war meine Mutter.«

«Aber ihr Vater. «Der Jüngling stockte erschreckt über die Offenbarung des Mädchens.»Ihr Vater sagte doch, daß Ihre Mutter starb, als Sie.«

«Sie starb für ihn. Ihr Weggang war für ihn ihr Tod! Seit dieser Stunde haßt er alle Künstler, alle Sehnsucht nach der Weite, nach dem heißen Leben. Er kennt nur Pflicht und Arbeit, Ehre und Besinnung auf das Muß — er lebt in einer Höhle wie ein Eremit. «Und leicht, mit einer zärtlichen Bewegung, legte ihm das Mädchen ihre Hand auf seinen Arm und sagte leise:»Auch er ist einsam in der Welt, die er sich schuf — ein Mensch, der lebt, weil jeder andere Gedanke Sünde ist.«

Sie schwieg, und auch der Jüngling fühlte, daß diese Stille eine Brücke in das Schicksal wurde. Langsam hob er den Arm, legte ihn dem Mädchen auf die Schulter und zog es nahe zu sich heran. Willenlos folgte es dem Drucke seines Armes und sah ihm mit großen Augen ins Gesicht.

«Das wußte ich nicht«, sagte Otto Heinrich nach langer Pause.»Ich danke Ihnen, Jungfer Trudel — «Er stockte und blickte über sie hinweg in den matt schimmernden Schnee hinaus.»Wenn Sie mir helfen wollen, so habe ich nur ein Bitte. Lassen Sie mich allein in meiner Einsamkeit.«