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Wolfgang Hohlbein - Enwor 11

Das elfte Buch

ISBN 3 522 71765 1

Umschlagillustration: Peter Gric, Wien

Umschlagtypografie: Michael Kimmerle, Stuttgart

Satz: KCS GmbH, Buchholz/Hamburg

Schrift: Slimbach

Reproduktion: Die Repro, Tamm

Druck und Bindung: Franz Spiegel Buch GmbH, Ulm

© 1999 by Weitbrecht Verlag in K. Thienemanns Verlag

Coverrückseite

Eine gewaltige Woge schleudert Skar auf harte Felsen und bricht über ihn hinweg, als wolle sie ihm den letzten Atem nehmen. Doch das ist nur der Auftakt zu einem wahren Todesinferno. Skar weiß nicht, wer er ist, und er versteht die Welt nicht, in der er gelandet ist. Doch es bleibt ihm keine Zeit zur Orientierung. Von einer Sekunde auf die andere wird er in tödliche Auseinandersetzungen verwickelt. Die Kriegerkaste der Satai startet einen Vernichtungsfeldzug gegen die gefürchteten Quorrl, ohne zu ahnen, dass sie damit eine Katastrophe heraufbeschwört. Bevor Skar die Satai aufhalten kann, gerät er zusammen mit der jungen Esanna in eine heimtückische Falle, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Dabei bleibt ihm kaum noch Zeit, den drohenden Untergang Enwors zu verhindern ...

ERSTER TEIL: Skars Rückkehr

ERSTER TEIL

Skars Rückkehr

1.1

Zu der Stunde, in der die Nacht am dunkelsten und der neue Tag am weitesten von seinem Morgen entfernt war, spie der See den Mann aus. Inmitten einer Hölle aus tobender Gischt, Bewegung, Lärm durchbrach er die Wasseroberfläche und nahm einen ersten, tiefen Atemzug. Er war pure Qual, brennende Kälte, die das kaum erwachte und dennoch bereits wieder im Verlöschen begriffene Leben noch einmal in seinen Körper zurückzwang, sich aber auch zugleich wie berstende Glassplitter in seine Kehle grub, sodass er vor Pein aufgeschrien hätte, hätte er es nur gekonnt. Er wusste nicht, wer er war - Mann, Frau, Kind, Mensch oder Etwas. Er hatte kein Ich-Gefühl noch die Möglichkeit einen Entschluss zu fassen oder ihn gar in die Tat umzusetzen. Nicht einmal den einfach und sich in die kalte Umarmung jener allumfassenden Dunkelheit zurückfallen zu lassen, aus der er gekommen war. Es wäre die einfachste und vielleicht barmherzigste Lösung gewesen.

Er konnte es nicht.

Jemand - etwas? - zwang ihn sich zu wehren, den Kampf gegen diesen fürchterlichen Feind aufzunehmen, der allgegenwärtig und übermächtig zugleich war: das Wasser. Es warf ihn hin und her, hüllte ihn ein, zog ihn immer wieder unter seine Oberfläche und spie ihn aus, als stünde eine bewusste, perfide Macht hinter diesem makaberen Spiel, ihn stets im Bruchteil eines Augenblickes, bevor er das Bewusstsein verlieren oder aus purer Atemnot die Lippen öffnen und so den Tod willkommen heißen konnte, wieder ins Leben zurückzureißen. Die unbarmherzige Kälte zog die Wärme rascher aus seinen Gliedern, als sein Körper sie produzieren konnte. Der Sog zerrte ihn immer wieder ein kleines Stückchen weiter vom Ufer fort, als wollte er seine müden Schwimmbewegungen verhöhnen.

Unter dem schwarzen Nachthimmel konnte er dieses Ufer nicht genau erkennen. Die Sterne, die wie winzige Augen teilnahmslos zuschauender, grausamer Götter auf seinen Lebenskampf herabblickten, spendeten kaum Licht. Aber manchmal sah er es vor dem Ufer hell und dunstig aufschimmern: Gischt, die an etwas Hartem, Reißendem zerschellte, das das Ufer wie eine tödliche Barriere steinerner Messerklingen säumte.

Zeit verging.

Sie war bedeutungslos wie alles und er hatte darüber hinaus auch keine Möglichkeit ihr Verstreichen irgendwie zu registrieren, denn er war noch immer kaum mehr als reiner Intellekt, ohne Willen, ohne eigenen Antrieb oder gar Verständnis für das Universum, das ihn umgab und das nur aus brüllendem Sturm, tobendem Wasser, Dunkelheit, Kälte und einem unbekannten, dunkel-gestaltlosen Dahinter bestand. Doch auch, wenn er sich seines Körpers nur in soweit bewusst war, dass er ihn als Quell immer neuer, unerträglicher Pein und immer grausamerer Kälte registrierte, so klammerte sich dieser Körper doch an das unerwünschte Leben und er kämpfte weiter, mit einer Verbissenheit, die sein Bewusstsein in Erstaunen versetzt hätte, wäre er nur in der Lage gewesen sie zu registrieren.

Körper und Geist schienen längst keine Einheit mehr zu sein. Sein Körper kämpfte weiter und rang gegen jede Logik, gegen jede Erwartung, den verstreichenden Minuten immer mehr und mehr Kraft ab, sodass seine Schwimmbewegungen nicht etwa schwächer, sondern ganz im Gegenteil allmählich wieder kraftvoller wurden, und auch an Zielstrebigkeit und Koordination zunahmen. Sein gerade erst erwachtes Bewusstsein hatte aber längst aufgegeben gegen die Macht der Wellen anzukämpfen. Obwohl er das Leben noch nicht einmal richtig kennen gelernt hatte, sehnte er sich nach dem Tod zurück. Der letzte und vielleicht einzige Sieg, den er erringen konnte: den Willen zu haben, einfach aufzugeben und das Unausweichliche nicht noch länger hinauszuzögern, für den einzigen Lohn von noch mehr Schmerz und noch mehr Furcht. Die Naturgewalten, gegen die er kämpfte, waren nichts, worüber ein Mensch triumphieren konnte. Er war nicht mehr als ein Staubkorn in der Wüste, ein Wassertropfen in den unendlichen Weiten des Ozeans. Bedeutungslos. Dass er im willkürlichen Toben der Elemente vergehen würde, zufällig und ohne dass jemand seinen Tod zur Kenntnis nehmen, geschweige denn gewollt haben würde, war nur ein weiterer Beweis für seine Bedeutungslosigkeit.

Er dachte diesen Gedanken ohne Bitterkeit. Die Schöpfung war zu groß und die Unendlichkeit zu lang, als dass irgendein sterbliches Wesen, gleich ob Mensch oder Gott, darin wirklich eine Rolle spielen konnte. Ob er in der nächsten Sekunde in der kalten Unendlichkeit des Wassers starb oder das Ufer erreichte und vielleicht zu einem Gott oder dem Vernichter von Welten wurde, würde nichts im großen Gefüge des Kosmos ändern. Es spielte keine Rolle, was oder wer er war. Ob er existierte oder nicht. Und er wollte lieber kein als ein bedeutungsloses Leben führen.

Und doch: Etwas zwang ihn weiterzuleben.

Das Ufer war jetzt fast zum Greifen nahe, aber mit ihm auch die Gischt und die schwarzen Felsen, an denen sie zerstob. Eine vielfach gestaffelte Kette von Reißzähnen, so alt wie diese Welt und so tödlich wie Schwertklingen, säumte den Uferstreifen, den er manchmal, wenn sein Körper aus einem Wellenteil emporgeschleudert wurde, im Sternenlicht aufblitzen sah. Und selbst, wenn er wie durch ein Wunder den Klippen entging, so mochte ihn die Brandung gegen das steinige Ufer schleudern, das dahinter emporwuchs, schwarz, zerschunden und hier und da mit dem niedrig hängenden Himmel verschmelzend.

Wie gnädig war dagegen die Finsternis gewesen, aus der er kam und in die er sich so sehr zurücksehnte. Es wäre so einfach, sich fallen zu lassen. Armen und Beinen einfach zu befehlen mit den sinnlosen Bewegungen aufzuhören, in die kalte Dunkelheit hinabzutauchen und einen letzten, erlösenden Atemzug zu nehmen.

Nein!

Er kannte die Bedeutung dieses Wortes nicht wirklich. Worte waren wie Menschen, vielleicht langlebiger, aber bedeutungslos. Trotzdem zwang es ihn weiterzumachen, vergrößerte die Kluft zwischen Körper und Geist noch mehr und machte aus bisher fast teilnahmslos nebeneinander existierenden Brüdern Feinde. Sein Körper bäumte sich auf, kämpfte mit verzweifelter Kraft gegen die Elemente und arbeitete sich mit schnellen, beinahe schon eleganten Schwimmbewegungen näher ans Ufer heran. Geschickt wie ein Fisch und mit einer Leichtigkeit, die ihn selbst überraschte, glitt er zwischen den Felsen hindurch, erspähte eine Lücke hier, einen Durchlass da, den Weg eines Wellenkamms über tödliche Felsen dort und kam dem eigentlichen Ufer immer näher. Das Donnern der Brecher, die gegen ihn und das felsige Ufer dahinter anrannten, schien das einzige Geräusch der Welt zu sein; vielleicht alles, was sie zusammenhielt.