Onkel Otto erholte sich von alledem nie mehr.
„Gestern war meine letzte Hoffnung“, sagte er zu mir. „Consolidated gab mir zu Ehren ein Bankett. Wer weiß, sagte ich mir. Vielleicht werden sie doch noch meine Flöte kaufen.“
Die Vorstellung erregte meine Phantasie. „Großartige Idee!“ sagte ich. „Tausend riesige Flöten, an strategischen Punkten im Feindesland verborgen, lassen Schlager und Propagandamusik ertönen, bis ...“
„Still! Still!“ Onkel Otto schlug mit der flachen Hand auf meinen Schreibtisch, daß es wie ein Pistolenschuß knallte, und der Plastik-Terminkalender sprang vor Schreck in die Höhe und fiel tot nieder. „Auch von dir Gespött? Wo ist dein Respekt?“
„Es tut mir leid, Onkel Otto.“
„Dann hör zu. Ich nahm an dem Bankett teil, und sie hielten Ansprachen über den Schlemmelmayer-Effekt und wie er die Kraft des Geistes bändige. Dann, als ich dachte, sie würden den Ankauf meiner Flöte verkünden, gaben sie mir dies!“
Er zog etwas aus der Tasche, das wie ein Zweitausenddollar-Goldstück aussah, und warf es mir zu. Ich duckte mich.
Hätte es das Fenster getroffen, so wäre es durch die Scheibe geflogen und hätte einen Fußgänger erschlagen, aber es traf die Wand, und ich hob es auf. Man konnte am Gewicht merken, daß es nur vergoldet war. Auf einer Seite stand in Großbuchstaben: ELIAS BAN-CROFT SUDFORD-PREIS, und in kleineren Buchstaben: „Dr. Otto Schlemmelmayer für seinen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung“. Auf der Rückseite war ein Profil zu sehen, das offensichtlich nicht meinen Onkel Otto darstellte. Es sah überhaupt nicht wie irgendeine Hundeart aus; mehr wie ein Schwein.
„Das“, sagte mein Onkel Otto, „ist Elias Bancroft Sudford, der Verwaltungsratsvorsitzende von Consolidated Arms.“
Er fuhr fort: „Als ich sah, daß das alles war, stand ich auf und sagte den Herren sehr höflich, sie sollten tot umfallen, und ging hinaus.“
„Und dann liefst du die ganze Nacht durch die Straßen“, ergänzte ich, „und kamst hierher, ohne auch nur die Kleider zu wechseln. Du bist immer noch im Smoking.“
Onkel Otto streckte den Arm aus und betrachtete die Röhre, in der er steckte. „Ein Smoking?“ sagte er.
„Ein Smoking.“
Seine langen Hängebacken wurden fleckig rot, und er brüllte: „Ich komme in einer Angelegenheit von größter Wichtigkeit hierher, und du bestehst darauf, daß wir über nichts als Smokings sprechen! Mein eigener Neffe!“
Ich ließ das Feuer ausbrennen. Mein Onkel Otto ist der brillante Kopf in der Familie, daher suchen wir schwachsinnigen Verwandten zu verhindern, daß er in Abzugsgräben fällt oder aus Fenstern läuft, und lassen ihn im übrigen in Ruhe.
„Und was kann ich für dich tun, Onkel?“ fragte ich ihn. Ich versuchte es geschäftsmäßig zu sagen und das Gespräch auf die Ebene Anwalt-Klient zu überführen.
Er wartete eindrucksvoll lange und sagte dann: „Ich brauche Geld.“
Da war er bei mir an der falschen Adresse. Ich sagte: „Onkel, im Moment habe ich nicht...“
„Nicht von dir“, sagte er, und gleich wurde mir woh-ler. „Es gibt einen neuen Schlemmelmayer-Effekt“, fuhr er fort. „Einen besseren. Diesen werde ich nicht in Fachzeitschriften veröffentlichen. Ich werde meinen großen Mund halten. Diese Erfindung soll allein mir gehören.“ Während er sprach, fuchtelte er mit der knochigen Faust, als dirigierte er ein imaginäres Orchester. „Mit diesem neuen Effekt werde ich Geld verdienen und meine eigene Flötenfabrik eröffnen.“
„Großartig“, sagte ich zweifelnd.
„Aber ich weiß nicht, wie.“
„Schlecht“, sagte ich.
„Das Dumme ist, ich bin einseitig begabt. Ich kann Ideen entwickeln, mit denen gewöhnliche Leute überhaupt nichts anzufangen wissen. Aber leider, Harry, kann ich keine Methode entwickeln, wie mit meinen anderen Ideen Geld zu verdienen ist. Das ist ein Talent, das mir fehlt.“
„Schlecht“, sagte ich, diesmal mit Überzeugung.
„Also komme ich zu dir als einem Rechtsanwalt.“
Ich kicherte verlegen und hob abwehrend die Hände.
„Ich komme zu dir“, fing er wieder an „daß du mir mit deinem krummen, verschlagenen, hinterlistigen, unehrlichen Anwaltsgehirn hilfst.“
Ich verbuchte die Aufzählung innerlich unter „unerwartete Komplimente“ und sagte: „Ich liebe und schätze dich auch, Onkel Otto.“
Er mußte die Ironie herausgehört haben, denn er lief purpurrot an und schrie: „Sei nicht so empfindlich! Sei wie ich: geduldig, verständnisvoll und ungezwungen.
Holzkopf! Wer sagt etwas über dich als Mensch? Als Mensch bist du ein ehrlicher Dummkopf, aber als Anwalt mußt du ein Halunke sein. Jeder weiß das.“
Ich seufzte. Die Anwaltsvereinigung hatte mich gewarnt, daß es Tage wie diesen geben würde.
„Was hat es mit deinem neuen Effekt auf sich, Onkel Otto?“ fragte ich.
„Ich kann in die Zeit zurückgreifen und Dinge aus der Vergangenheit bringen.“
Ich handelte schnell. Mit der Linken zog ich meine Taschenuhr aus der Weste und starrte bestürzt auf das Zifferblatt. Mit der Rechten griff ich zum Telefon.
„Nun, Onkel“, sagte ich herzlich, aber mit einem gequälten Unterton, „mir fällt gerade ein, daß ich eine äußerst wichtige Verabredung habe. Ich habe mich schon um eine Stunde verspätet. Es freut mich immer, dich zu sehen, aber jetzt muß ich mich wirklich verabschieden. Tut mir leid. Ja, Onkel, es war mir ein Vergnügen, ein echtes Vergnügen. Nun, auf Wiedersehen. Laß es dir gut...“
Ich konnte den Hörer nicht abnehmen. Ich zog mit aller Kraft, aber Onkel Ottos Hand lag auf der meinen und drückte sie nieder. Es war kein Wettkampf. Habe ich gesagt, daß mein Onkel Otto während seiner Studienjahre in Heidelberg Mitglied einer Ringermannschaft war?
Er ergriff sanft (für seine Begriffe) meinen Ellbogen, und ich stand. Es ersparte mir jede Muskelanstrengung. „Laß uns zum Laboratorium gehen“, sagte er.
Er ging zu seinem Laboratorium, und da ich weder das geeignete Messer noch die Neigung hatte, mir den linken Arm an der Schulter abzutrennen, ging ich auch zu seinem Laboratorium...
Onkel Ottos Laboratorium ist in einem der Universitätsgebäude untergebracht. Seit sich herausgestellt hat, daß der Schlemmelmayer-Effekt eine große Sache ist, hat man ihn von aller Lehrtätigkeit befreit und ganz sich selbst und seinen Forschungen überlassen. Sein Laboratorium sah danach aus.
Ich sagte: „Schließt du die Tür nicht mehr zu?“ Er warf mir einen schlauen Blick zu, rümpfte die riesige Nase und schnüffelte. „Sie ist verschlossen. Mit einem Schlemmelmayer-Relais. Ich denke mir ein Wort -und die Tür öffnet sich. Ohne das Wort kommt niemand hinein. Nicht mal der Präsident der Universität. Ja, nicht einmal der Hausmeister!“
Ich begann mich für die Sache zu erwärmen. „Nicht möglich! Herr des Himmels, Onkel Otto! Ein gedankengesteuertes Schloß könnte dir eine Menge...“
„Hah! Ich soll das Patent verkaufen, damit ein anderer reich wird? Nach dem gestrigen Abend? Niemals! Ich will selbst reich werden.“
Eines muß man meinem Onkel lassen: Er gehört nicht zu den Leuten, auf die man einreden muß wie auf einen kranken Gaul, bevor ihnen ein Licht aufgeht. Bei ihm weiß man im voraus, daß er das Licht nie sehen wird.
Also wechselte ich das Thema und sagte: „Und die Zeitmaschine?“
Mein Onkel Otto ist einen Fuß größer als ich, dreißig Pfund schwerer und stark wie ein Ochse. Wenn er einem die Hände um den Hals legt und schüttelt, bleibt einem nichts übrig, als blau und violett anzulaufen.
„Pssst!“ machte er.
Ich verstand.