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Er ließ mich los und sagte: „Niemand weiß von Projekt X.“ Er beugte sich über mich und wiederholte raunend: „Projekt X. Du verstehst?“

Ich nickte. Da mein Kehlkopf nur langsam heilte, hätte ich sowieso nicht sprechen können.

„Ich erwarte nicht, daß du dich mit meinem Wort zufriedengeben wirst“, sagte er. „Ich will für dich eine Demonstration machen.“

Ich versuchte in der Nähe der Tür zu bleiben.

„Hast du ein Stück Papier mit deiner eigenen Handschrift darauf?“ fragte er.

Ich suchte in meiner Brusttasche. Irgendwo mußten Notizen sein, die ich für ein Gespräch mit einem Klienten gemacht hatte.

Onkel Otto sagte: „Zeig es mir nicht. Zerreiß es einfach in kleine Stücke und tue diese hier in den Becher.“

Ich zerriß das Blatt in einhundertachtundzwanzig Stücke.

Er betrachtete sie gedankenvoll und begann Knöpfe an einer - nun ja, an einer Maschine einzustellen. An einer Seite war eine dicke, undurchsichtige Glasplatte befestigt, die wie eine Instrumentenablage am Behandlungsstuhl eines Zahnarztes aussah. Ich wartete eine Weile, während er sich mit der Einstellung beschäftigte.

Dann richtete er sich auf, sagte: „Aha!“ und trat einen Schritt zurück.

Ungefähr fünf Zentimeter über der Glasplatte erschien etwas, das wie ein verschwommenes Stück Papier aussah. Während ich hinsah, gewann es an Schärfe, und - aber warum ein Aufhebens davon machen? Es waren meine Notizen. Meine Handschrift. Das Blatt war vollständig und vom ersten bis zum letzten Buchstaben lesbar.

„Kann man es anfassen?“ Ich war ein bißchen heiser, teils vor Verblüffung, teils wegen der überzeugenden Art meines Onkels Otto, Verschwiegenheit zu erzwingen.

„Geht nicht“, sagte er und fuhr mit der Hand durch das vermeintliche Papier; es blieb, wo es war, unberührt. Er sagte: „Es ist nur eine Wiedergabe im Brennpunkt eines vierdimensionalen Paraboloiden. Der andere Brennpunkt befindet sich an einer Stelle in der Zeit, als du das Blatt noch nicht zerrissen hattest.“

Ich steckte auch meine Hand durch das Papier. Es war nichts zu fühlen.

„Nun paß auf“, sagte er. Er drehte einen Knopf an der Maschine, und die Wiedergabe des Papiers verschwand. Darauf nahm er ein paar Papierfetzen aus dem Becher, warf sie in einen Ascher und zündete sie an. Er spülte die Asche in den Ausguß. Zur Maschine zurückgekehrt, drehte er abermals den Knopf, und die Wiedergabe des Papiers erschien aufs neue. Aber etwas war anders. Das Blatt Papier zeigte hier und dort unregelmäßig gezackte Löcher.

„Die verbrannten Stücke?“ fragte ich.

„Genau. Die Maschine muß in der Zeit den Vektoren der Moleküle folgen, auf die sie eingestellt ist. Wenn bestimmte Moleküle umgewandelt oder in der Luft verteilt sind - pfffft!“

Ich hatte eine Idee. „Angenommen, du hättest nur die Asche eines Dokuments.“

„Dann könnten nur diese Moleküle zurückverfolgt werden.“

„Aber angenommen, die Asche wäre noch beisammen“, meinte ich. „Dann wären die Moleküle so gut verteilt, daß du vielleicht ein unscharfes Bild des ganzen Dokuments gewinnen könntest.“

„Hmm. Vielleicht.“

Ich begann    die    Idee    aufregend zu finden. „Mensch, Onkel Otto! Weißt du, wieviel die Polizeibehörden für eine solche Maschine bezahlen würden? Es wäre eine enorme Erleichterung für die ...“

Ich brach ab. Die Art und Weise, wie seine Haltung sich plötzlich versteifte, war mir unheimlich. Höflich sagte ich: „Was meintest du, Onkel?“

Er blieb bemerkenswert ruhig. „Ein für allemal, Neffe“, sagte er in einem  Ton, der kaum mehr als ein Schnauzen war. „Alle meine Erfindungen werde ich von nun an selbst entwickeln. Zuerst muß ich Anfangskapital zusammenbringen. Kapital aus einer Quelle, die nicht dem Verkauf meiner Gedanken entspringt. Danach werde ich eine Fabrik für meine Flöten aufmachen. Das kommt zuerst. Später kann ich mit meinen Gewinnen solche Maschinen herstellen. Aber zuerst meine Flöten, vor allen anderen. Das habe ich mir gestern abend geschworen.

Durch die Selbstsucht einiger weniger wird die Welt großer Musik beraubt. Soll mein Name als der eines Mörders in die Geschichte eingehen? Soll der Schlem-melmayer-Effekt eine Methode sein, die Gehirne von Menschen zu braten? Oder soll er schöne Musik zum Erklingen bringen? Große, wundervolle Musik, die von Dauer ist?“

Er hatte eine Hand orakelhaft erhoben und die andere hinter dem Rücken. Die Fenster vibrierten schrill zu seinen Worten.

„Onkel Otto“, sagte ich rasch, „man wird dich hören!“ „Dann schrei nicht so laut!“ erwiderte er.

„Aber so hör doch“, protestierte ich. „Wie willst du zu deinem Anfangskapital kommen, wenn du nicht bereit bist, diese Erfindungen auszubeuten?“

„Ich habe es dir noch nicht gesagt, aber ich kann eine Abbildung Wirklichkeit werden lassen. Wie, wenn die Abbildung wertvoll wäre?“

Das klang gut. „Du meinst, wie ein verlorengegangenes Dokument oder Manuskript, eine Erstausgabe - so etwas, wie?“

„Nein, eigentlich nicht. Es gibt da einen Haken. Zwei Haken. Nein, drei.“

Ich wartete, daß er weiterzähle, aber drei schien die Grenze zu sein.

„Was für Haken sollen das sein?“ fragte ich.

„Erstens muß ich das Objekt in der Gegenwart vor mir haben, um die Maschine darauf einzustellen, sonst kann ich es in der Vergangenheit nicht ausmachen.“

„Du meinst, du kannst nichts zurückholen, was nicht jetzt und hier existiert, wo du es sehen kannst?“

„Ja.“

„In diesem Fall sind die Haken zwei oder drei rein akademischer Natur. Aber sage mir trotzdem, was sie sind.“

„Ich kann nur ein Gramm Material aus der Vergangenheit holen.“

Ein Gramm! „Warum nicht mehr? Nicht genug Energie?“

„Es ist eine umgekehrt exponentiale Beziehung“, sagte Onkel Otto ungeduldig. „Alle Energie des Universums könnte nicht mehr als vielleicht zwei Gramm bringen.“

„Und der dritte Haken?“ sagte ich.

„Ja, also ...“ Er zögerte, nahm einen neuen Anlauf. „Je weiter die zwei Brennpunkte voneinander entfernt sind, desto flexibler die Verbindung. Sie muß eine gewisse Länge haben, bevor sie in die Gegenwart gezogen werden kann. Mit anderen Worten, ich muß mindestens einhundertfünfzig Jahre in die Vergangenheit gehen.“

„Ich sehe“, sagte ich und versuchte meiner Stimme den selbstsicheren, geschäftsmäßigen Ton eines Rechtsanwalts zu verleihen. „Du möchtest etwas aus der Vergangenheit bringen, was du in ein kleines Kapital ummünzen kannst. Es muß etwas sein, was existiert und was du sehen kannst, also darf es kein verlorener Gegenstand von historischem oder archäologischem Wert sein. Es darf nicht mehr als ein Gramm wiegen, also kann es nicht der Cullinan-Diamant oder etwas dergleichen    sein.    Es    muß    mindestens einhundertfünfzig Jahre alt sein, also kann es auch keine seltene Briefmarke sein.“

„Genau“, sagte mein Onkel. „Du hast es verstanden.“

„Ja, das ist wirklich interessant“, sagte ich. „Nun, dann bis zum nächstenmal, Onkel.“ Ich glaubte nicht, daß es klappen würde, aber ich versuchte, zu gehen.

Es klappte nicht. Onkel Otto faßte mich bei den Revers meiner Jacke, und ich stand mit den Zehenspitzen auf einem Zoll Luft.

„Du zerknitterst meine Jacke, Onkel Otto.“

„Harold“,    sagte    er.    „Als    Rechtsanwalt schuldest du mir als einem Klienten mehr als einen schnellen Abschied.“

„Ich habe keinen Vorschuß genommen“, gurgelte ich. Der Hemdkragen begann mir zu eng zu werden. Ich versuchte zu schlucken, und der oberste Knopf sprang ab.

„Unter Verwandten ist ein Vorschuß nicht so wichtig“, sagte er. „Eine reine Formalität. Als Klient und als Onkel habe ich einen Anspruch auf deine Loyalität. Und außerdem, wenn du mir nicht hilfst, werde ich dir die Füße in den Nacken binden und Korbball mit dir spielen.“