Aber was nützte es? Ein feindlicher Überfall mußte unmittelbar bevorstehen, und Männer wie Everard und Damelli... Wie verfault und von Verrat zerfressen war das Land?
Er fuhr von seinem Sitz auf. „Fahrer!“ rief er. Dann noch einmal lauter: „Fahrer!“
Der Mann am Lenkrad wandte nicht einmal den Kopf. Häuser und Straßen glitten vorbei.
Johannison versuchte, vom Rücksitz hochzukommen und sich über die Rückenlehne des Beifahrersitzes zu beugen, aber ihn schwindelte. „Fahrer!“ murmelte er. Dies war nicht die Route zum FBI. Er wurde nach Hause gebracht. Aber woher wußte der Taxifahrer, wo er wohnte?
Kein gewöhnlicher Taxifahrer, natürlich; sie hatten den Mann eigens auf ihn angesetzt. Er konnte kaum noch sehen, und in seinen Ohren rauschte ein Wasserfall.
Herr im Himmel, was für eine Organisation! Es war zwecklos, dagegen anzukämpfen. Ihm wurde schwarz vor Augen.
Er bewegte sich den Gehweg zu dem kleinen zweistök-kigen Haus mit der roten Ziegelfassade hinauf, wo Mercedes und er wohnten. Er wußte nicht, wie er aus dem Taxi herausgekommen war. Als er sich umwandte, war weit und breit kein Taxi mehr zu sehen. Er fühlte instinktiv nach Brieftasche und Schlüsseln. Sie waren da. Nichts fehlte.
Mercedes erwartete ihn an der Tür. Sie schien nicht überrascht, ihn um diese ungewohnte Zeit zu sehen. Er warf einen Blick auf die Uhr und sah, daß es noch eine Stunde bis zur Zeit seiner gewohnten Heimkehr war.
Anstelle einer Begrüßung sagte er: „Mercy, wir müssen von hier verschwinden und ...“
„Ich weiß Bescheid, Alex“, sagte sie mit tonloser Stimme. „Komm ’rein!“
Sie erschien ihm wie ein Ort himmlischer Geborgenheit. Ihr dunkelblondes Haar in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden. Aber ihre weit auseinanderstehenden blauen Augen blickten ängstlich und sorgenvoll, und um die vollen Lippen lag ein angespannter Zug.
Er sagte: „Hat Everard dich angerufen? Oder Damelli?“
„Wir haben einen Besucher“, sagte sie.
Sie sind schon bei ihr, dachte er. Er könnte sie aus der Türöffnung ziehen und mit ihr weglaufen, versuchen, sich und sie in Sicherheit zu bringen. Wahrscheinlich aber stand der Besucher in den Schatten der Diele hinter ihr, ein düsterer Mann mit einer gutturalen, brutalen Stimme und ausländischem Akzent, eine Hand in der Jackentasche, die dicker ausgeheult war als die Hand allein rechtfertigte. Wie betäubt trat er ein.
„Im Wohnzimmer“, sagte Mercedes. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ich glaube, es ist in Ordnung.“
Der Besucher erwartete ihn stehend. Er hatte etwas Unwirkliches an sich, die Unwirklichkeit der Perfektion. Gesicht und Erscheinung waren makellos und frei von jeder individuellen Note. Er wirkte, als ob er aus einem Werbeplakat gestiegen wäre. Seine Stimme hatte den kultivierten und leidenschaftslosen Klang des berufsmäßigen Radioansagers. Sie war völlig frei von jedwedem Akzent.
Er sagte: „Es war ziemlich mühsam, Sie nach Hause zu bringen, Doktor Johannison.“
„Was immer es ist, was immer Sie wollen“, erwiderte Johannison steif, „auf meine Kooperationsbereitschaft: können Sie nicht zählen.“
„Nein, Alex, du verstehst nicht“, schaltete sich Mercedes ein. „Wir haben gesprochen. Er sagt, alle Radioaktivität habe aufgehört.“
„Ja, das hat sie, und ich wollte, diese Farbanzeige würde mir sagen, wie das gemacht worden ist! Hören Sie, Sie - sind Sie Amerikaner?“
„Du verstehst noch immer nicht, Alex“, sagte seine Frau. „Sie hat auf der ganzen Erde aufgehört. Dieser Mann ist nicht von der Erde. Sieh mich nicht so an, Alex. Es ist wahr. Ich weiß, daß es wahr ist. Sieh ihn an.“
Der Besucher lächelte. Es war ein vollkommenes Lächeln. Er sagte: „Dieser Körper, in dem ich erscheine, ist sorgfältig nach genauen Spezifikationen gebaut, doch er ist nur Materie. Er steht unter absoluter Kontrolle.“ Er streckte eine Hand aus, und die Haut verschwand. Muskeln, Sehnen und krumme Adern lagen offen. Die Aderwände verschwanden, und das Blut floß wie zuvor in seinen Bahnen, ohne die Notwendigkeit der Eingrenzung. Alles löste sich auf, bis der glatte, grauweiße Knochen erschien. Dann verschwand auch er.
Gleich darauf kehrte alles zurück.
„Hypnose!“ murmelte Johannison.
„Keineswegs“, erwiderte der Besucher ruhig.
Johannison sagte: „Von wo kommen Sie?“
„Das ist schwierig zu erklären. Ist es wichtig?“
„Ich muß verstehen, was hier gespielt wird“, sagte Johannison heftig. „Leuchtet Ihnen das nicht ein?“
„Doch, gewiß. Es ist eigentlich der Grund meiner Anwesenheit. In diesem Augenblick spreche ich zu mehr als hundert Leuten wie Ihnen auf dem ganzen Planeten. In verschiedenen Verkörperungen, versteht sich, da die Bevölkerungsgruppen im Hinblick auf die körperliche Erscheinung unterschiedliche Vorstellungen und Vorlieben haben.“
Johannison fragte sich flüchtig, ob er am Ende doch verrückt sei. Er sagte: „Sind Sie vom - vom Mars? Üben Sie jetzt die Macht aus? Hat dies zu bedeuten, daß Krieg ist?“
„Sehen Sie, Doktor Johannison“, sagte der Besucher, „gerade diese Haltung ist es, die wir zu korrigieren suchen. Ihr Volk ist krank, Doktor Johannison, sehr krank. Seit Zehntausenden von Ihren Jahren haben wir gewußt, daß Ihre Gattung große Möglichkeiten hat. Es war eine große Enttäuschung für uns, daß Ihre Entwicklung in eine pathologische Richtung gegangen ist.“ Er schüttelte bekümmert den Kopf. „Entschieden pathologisch.“
Mercedes sagte: „Bevor du kamst, sagte er mir, daß er versuchen werde, uns zu heilen.“
„Wer hat ihn darum ersucht?“ murrte Johannison.
Der Besucher lächelte bloß. „Die Aufgabe wurde mir schon vor langer Zeit zugewiesen, aber solche Krankheiten sind immer schwierig zu behandeln. Da ist zum Beispiel die Schwierigkeit der Verständigung.“
„Wir verständigen uns“, sagte Johannison.
„Ja, in einer Weise ist das richtig. Ich verwende Ihre Begriffe, Ihr Kodesystem. Leider ist es ganz unzureichend. Ich könnte Ihnen nicht einmal die wahre Natur der Krankheit Ihrer Gattung erklären. Wenn ich Ihre Begriffe verwende, kann ich nur sagen, daß es eine Krankheit des Geistes ist, doch bleibt das notwendigerweise eine unscharfe, sehr allgemeine Feststellung.“
„Sie meinen also, wir wären geisteskrank?“
„Es ist eine soziale Krankheit, die sehr schwierig zu behandeln ist, wie ich bereits sagte. Darum habe ich lange Zeit gezögert, eine direkte Therapie anzuwenden. Es wäre traurig, wenn uns durch eine Verkettung unglücklicher Umstände ein so begabtes Potential wie jenes Ihrer Rasse verlorenginge. Während der letzten Jahrtausende versuchte ich, indirekt durch die wenigen Individuen in jeder Generation zu wirken, die eine natürliche Immunität gegenüber der Krankheit besitzen. Philosophen, Moralisten, auch Krieger und Politiker. All jene, denen der Begriff der Brüderschaft aller Menschen etwas bedeutete. All jene, die ...“
„Na gut. Sie hatten keinen Erfolg. Lassen wir es damit bewenden. Nun erzählen Sie mir von Ihrem Volk, nicht von meinem.“
„Was könnte ich Ihnen sagen, das Sie verstehen würden?“
„Woher kommen Sie? Fangen Sie damit an.“
„Sie haben keinen geeigneten Begriff. Ich bin nicht von irgendwo im Hof.“
„Welchem Hof?“
„Im Universum, meine ich. Ich komme von außerhalb des Universums.“
Ehe Johannison antworten konnte, schaltete sich Mercedes wieder ein und sagte eindringlich: „Alex, verstehst du nicht, was er meint? Angenommen, du landetest an der Küste von Neuguinea und verständig test dich mit den Eingeborenen durch Fernsehen. Mit Eingeborenen, die noch nie jemand gesehen oder gehört haben, der nicht ihrem Stamme angehört. Könntest du ihnen erklären, wie das Fernsehen funktioniert oder wie es dir die Möglichkeit verschafft, zu vielen Menschen an verschiedenen Orten zugleich zu sprechen? Könntest du erklären, daß das Fernsehbild nicht deine eigene Person ist, sondern lediglich eine Illusion, die du verschwinden und wieder erscheinen lassen kannst? Du könntest nicht einmal erklären, woher du kamst, wenn die eigene Insel das ganze Universum ist, das sie kennen.“