„Das befriedigt mich nicht ganz“, sagte ich. „Ich glaube nicht, daß die verschiedenen Saurierarten so leicht verdrängt und ausgerottet worden sein sollen. Immerhin überdauerten sie einige dreihundert Millionen Jahre, was ungefähr zweihundertsiebenundneunzig Millionen mehr sind, als die Gattung Homo sich gutschreiben kann. Zweitens überlebten zahlreiche Arten von Wechselblütern bis auf den heutigen Tag, vor allem Insekten und Amphibien...“
„Das verdanken sie ihren hohen Reproduktionsraten“, sagte Thetier.
„Aber auch verschiedene Reptilien. Die Schlangen, Echsen und Schildkröten kommen ganz gut zurecht, und würden sie nicht von den Menschen zurückgedrängt und dezimiert, wäre die Welt noch heute voll von ihnen. Und wie steht es um den Ozean? Die Saurier paßten sich als Ichthyosaurier und Plesiosaurier diesem Element an, verschwanden aber auch hier, obwohl es keine neu entwickelten Lebensformen gab, die ihnen den Lebensraum streitig gemacht hätten. Abgesehen von den Walen und Delphinen, die erst viel später erschienen, stellen die Fische die höchste Form ozeanischen Lebens dar, und sie sind älter als die Ichthyosaurier. Wie erklärt ihr euch das? Der Fisch ist ebenfalls Wechselblüter und entwicklungsgeschichtlich noch primitiver als der Saurier. Wie die Wale zeigen, gilt das Gesetz vom abnehmenden Wirkungsgrad im Ozean nicht, da das Wasser große Körper genausogut trägt wie kleine. Der Blauwal ist größer als jeder Dinosaurier, der jemals gelebt hat. Und noch etwas. Hier kann niemand von den Nachteilen umweltabhängiger Körpertemperaturen reden und sagen, daß die Wechselblüter bei niedrigen Temperaturen träge würden. Fische fühlen sich bei Wassertemperaturen von wenigen Graden über Null recht wohl, und an einem Hai ist nichts Träges.“
„Warum haben sich die Dinosaurier dann so still von der Erde fortgestohlen und nur ihre Knochen zurückgelassen?“ fragte Madend.
„Sie waren Teil des Planes. Sobald sie ihren Zweck erfüllt hatten, waren sie überflüssig und wurden infolgedessen abserviert.“
„Wie? In einer arrangierten Katastrophe? Der Finger Gottes, und so weiter?“
„Nein, natürlich nicht. Sie starben auf natürliche Weise aus, weil die Notwendigkeit der ursprünglichen Vorberechnung bereits innewohnte.“
„Dann sollte es uns möglich sein, herauszufinden, von welcher Art dieses natürliche, notwendige Aussterben war.“
„Nicht notwendigerweise. Es könnte sich um eine Fehlentwicklung im Stoffwechselsystem der Saurier gehandelt haben, oder um einen Vitaminmangel...“
„Das ist reine Spekulation“, sagte Thetier abwinkend. „Du machst das alles viel zu kompliziert.“
„Es scheint bloß kompliziert“, verteidigte ich mich. „Angenommen, es wäre notwendig, eine gegebene Billardkugel mit einem Quartstoß ins Loch zu bringen. Würdest du wegen der relativ komplizierten Bahn des Spielballs davor zurückschrecken? Ein direkter Stoß würde weniger kompliziert sein, aber nichts bewirken. Und trotz der scheinbaren Kompliziertheit würde der Quartstoß dem Meister keine größeren Schwierigkeiten bereiten. Es würde eine einzige Bewegung des Queues bleiben, lediglich in eine andere Richtung. Alles übrige besorgten dann die natürlichen Eigenschaften elastischer Materialien und das Gesetz von der Erhaltung der Bewegungsenergie.“
„Wenn ich dich richtig verstehe“, sagte Trotter, „dann meinst du also, daß der Gang der Evolution den einfachsten Weg vom ursprünglichen Chaos zum Menschen darstellt.“
„Das meine ich, ja. Kein Sperling fällt ohne einen Zweck, und auch kein Pterodaktylus.“
„Und wie soll es deiner Meinung nach weitergehen?“ „Nirgendwohin. Mit der Entwicklung des Menschen ist die Evolution beendet. Die alten Regeln gelten nicht mehr.“
Alle lachten. „So, denkst du?“ sagte Madend. „Du schließt also das Fortdauern von Anpassungsveränderungen und Mutationen aus?“
„In einem Sinne tue ich es“, sagte ich fest. „Der Mensch beherrscht mehr und mehr seine Umwelt, und er versteht mehr und mehr vom Mechanismus der Mutationen. Ehe der Mensch auf der Bildfläche erschien, konnten die Lebewesen klimatische Veränderungen weder vorhersehen noch sich gegen sie schützen. Sie verstanden nicht, welche wachsenden Gefahren ihnen von neu sich entwickelnden Arten drohte. Aber nun legt euch diese Frage vor: Welche Lebensform, welcher Organismus könnte möglicherweise uns ersetzen, und wie sollte das geschehen?“
„Wir könnten damit anfangen“, sagte Madend, „daß wir die Insekten betrachten. Ich glaube, sie sind bereits im Begriff, es zu tun.“
„Sie haben nicht verhindern können, daß die Menschheit sich während der letzten zweihundertfünfzig Jahre ungefähr um das Zehnfache vermehrte. Konzentrierte der Mensch sich auf die Insektenbekämpfung, statt seine Anstrengungen anderen Arten des Kampfes zu widmen, würden besagte Insekten nicht lange aushalten. Es läßt sich nicht beweisen, aber das ist meine Ansicht.“
„Wie ist es mit Bakterien, oder, noch besser, mit Viren?“ sagte Madend. „Die Virusgrippe des Jahres 1918 erledigte eine ganze Menge unserer Mitbürger.“
„Nun ja“, sagte ich. „Ungefähr ein Prozent der Bevölkerung. Selbst die Pestepidemien des vierzehnten Jahrhunderts vermochten nur ein Drittel der Bevölkerung Europas zu töten, und das in einer Zeit, als es eine wissenschaftliche Medizin nicht gab. Die Seuche konnte ungehindert um sich greifen, und als Nährboden hatte sie obendrein die erschreckendsten Zustände mittelalterlicher Armut mit ihrem Schmutz und Unrat. Trotzdem überlebten zwei Drittel unserer zähen Vorfahren. Krankheitskeime werden es auch nicht schaffen, dessen bin ich sicher.“
„Da wir schon bei Spekulationen angelangt sind“, sagte Thetier. „Wäre es nicht denkbar, daß der Mensch selbst sich zu einer Art Übermensch weiterentwickelte und die Restbevölkerung von unseresgleichen verdrängte?“
„Denkbar schon, aber nicht wahrscheinlich“, sagte ich. „Der einzige Teil des Menschen, der ihn zum Herrn der Welt machen konnte, ist sein Nervensystem, besonders die Hirnrinde. Sie ist der am meisten spezialisierte Teil seines Organismus und daher eine Sackgasse. Wenn der Gang der Evolution etwas demonstriert, dann ist es das allgemeine Phänomen, daß mit einem gewissen Grad der Spezialisierung die Flexibilität verlorengeht und eine Weiterentwicklung nur in Richtung auf größere Spezialisierung möglich ist.“
„Ist das nicht genau das, was erwünscht ist?“ sagte Thetier.
„Vielleicht, aber wie Madend schon sagte, erreicht jede Spezialisierung früher oder später den Punkt, wo sie keine weiteren Vorteile mehr bringt. Wenn ihr mich fragt, so ist dieser Punkt beim Menschen bereits erreicht. Die Größe des menschlichen Kopfes schon beim Neugeborenen macht die Geburt zu einem schwierigen und schmerzhaften Prozeß. Die Kompliziertheit der menschlichen Denkart bringt es mit sich, daß die geistige und seelische Reife des Menschen so weit hinter seiner Geschlechtsreife herhinkt. Jeder von uns weiß, welche Fülle von Problemen und Schwierigkeiten daraus erwächst. Die Empfindlichkeit unserer geistigen Ausrüstung macht die meisten von uns zu Neurotikern. Wie viele Schritte können wir noch in diese Richtung gehen, ohne ins Verderben zu laufen?“
„Die Entwicklung“, sagte Madend, „könnte in die Richtung größerer Stabilität oder beschleunigter Reife gehen, statt in jene der höheren Gehirnleistung.“
„Vielleicht, aber es gibt keine Anzeichen dafür. Der Cromagnon-Mensch lebte vor mehr als zehntausend Jahren, und es gibt interessante Anhaltspunkte dafür, daß er dem modernen Menschen nicht nur körperlich, sondern auch in der Schädelkapazität überlegen war.“