Immer wieder schwang der hünenhafte Neger die Peitsche und schlug wie ein Besessener auf die beiden Pferde ein. Zielsicher lenkte er den leichten Zweispänner durch die schlammigen Straßen von San Francisco.
Es war kurz vor Morgengrauen, und es regnete wie aus Kübeln, und doch war die ganze Stadt auf den Beinen.
Der kahlköpfige Schwarze nahm darauf keine Rücksicht. Er kannte nur ein Ziel. Er mußte seinen Begleiter möglichst schnell von dem Ort wegbringen, der vor kurzem noch dessen Hauptquartier gewesen war: das Golden Crown, ein riesiger Vergnügungspalast am Portsmouth Square.
Jetzt war das Gebäude in der Hand der Armee. Und der gefürchtete Hai von Frisco befand sich auf der Flucht.
Natürlich hatte der Hai nicht nur einen Unterschlupf in der großen Stadt. Der dunkelhäutige Buster fuhr seinen Herrn nach Barbary Coast, dem berüchtigten Vergnügungsviertel. Dort wollte der Hai untertauchen.
Immer wieder mußten Menschen zur Seite springen, um nicht unter die Hufe der Zugtiere oder die Wagenräder zu geraten. Die vorbeidonnernde Kutsche bespritzte sie mit Schlamm. Doch kaum jemand fluchte. Der Regen wusch den Dreck schnell ab. Die Menschen standen auf der Straße und ließen sich bis auf die Haut durchweichen - voller Freude. Der Regen war willkommen wie ein guter Freund. Er rettete ihre Häuser oder zumindest ihr Leben vor den Flammen, die einen Teil der Stadt eingeäschert hatten.
Ohne ihn hätte das Feuer ganz Frisco verschlungen.
Barbary Coast gehörte zu den Stadtteilen, die von den Flammen verschont geblieben waren. Dem Hai und Buster war das nur recht. Manch ehrlicher Bürger sah das anders. Die ganze Stadt war gespickt mit Saloons, Spielhallen und Tanzlokalen, aber gerade in Barbary Coast reihten sich derlei Etablissements aneinander. Keine zweifelhaften Häuser, sondern nachweislich solche der übelsten Sorte. Nirgends auf der Welt gab es soviel Whiskey und Rum, so viele Prostituierte und Morde wie hier. Die Behörden hatten sich damit abgefunden. So wußte man wenigstens, wo die finsteren Gestalten steckten.
Buster zügelte die Pferde im Schatten eines Hauses, das gar keines war, sondern ein umgebautes Schiff.
Von der goldgierigen Besatzung verlassen, hatte sich jahrelang niemand um den großen Segler gekümmert. Bis man Land aufschüttete und den Pazifik ein Stück zurückdrängte. Plötzlich war das auf Land stehende Schiff zur begehrten Unterkunft geworden.
Jetzt befand sich eine Kaschemme in seinem Leib, das >Red Whalec. So stand es auf dem Schild über dem Eingang, das passenderweise die Form eines Walfisches hatte und einmal von leuchtend roter Farbe gewesen war. Inzwischen war die Farbe zu einem schmutzigen Braun verblaßt.
Das gestrandete Schiff befand sich in der Nähe eines Hafenbeckens, in dem kleinere und mittlere Raddampfer lagen.
Der Schwarze zog die Bremse an, stieg vom Bock und tauchte in das Gewirr aus Stimmen und Musik und dem Dunst von Zigarrenqualm, billigem Fusel und menschlichen Ausdünstungen ein.
Die Menschen in Barbary Coast feierten, wie immer. Aber heute hatten sie einen besonderen Anlaß: Das große Feuer hatte sie verschont. Deshalb floß der Alkohol noch reichlicher als sonst.
Die Flaschen standen auf der wurmstichigen Bar, und jeder konnte sich selbst bedienen - sofern er den Dollar, den ein Glas Whiskey kostete, neben die Flasche legte. Die Gäste machten davon reichlich Gebrauch und füllten ihre Gläser bis zum Rand. Ein Dollar war der Preis, egal wie voll das Glas wurde.
Buster steuerte eine immens fette Frau mit unecht rotem Haar an. Ihr tief ausgeschnittenes Kleid fiel aus zwei Gründen auf. Erstens war die grüne Farbe genauso stechend wie das Rot ihrer Haarmähne. Zweitens schien der voluminöse Körper das Kleid in jeder Sekunde sprengen zu wollen. Bei jedem Einatmen spannte sich der Stoff, und die gewaltigen Brüste, gegen die selbst ausgewachsene Melonen bescheiden wirkten, reckten sich bedrohlich nach vorn.
Molly Reynolds redete auf den zahnlosen Pianisten ein, er solle endlich etwas Flotteres spielen als das gemächliche, leiernde Beautiful Dreamer. Schließlich begriff der Alte und wechselte übergangslos zu Camptown Races.
Molly Reynolds war die Inhaberin des Red Whale, zumindest nach außen hin. In Wahrheit war es ihr so ergangen wie vielen zwielichtigen Geschäftsleuten in San Francisco. Der Hai hatte sie vor die Wahl gestellt, für ihn zu arbeiten oder im Pazifik zu baden - für immer und mit ein paar schweren Steinen beschwert.
Froh, den Pianisten endlich überredet zu haben, drehte die dicke Frau sich um. Als sie den knochigen Schwarzen erblickte, gefror das Lächeln auf ihren kirschrot geschminkten Lippen und erstarb dann ganz.
Buster streckte die rechte Hand aus, mit der hellen Innenseite nach oben. Mit einem Krümmen des Zeigefingers winkte er Molly Reynolds zu sich heran. Sie gehorchte und ging zu ihm.
»Was ist?« fragte sie barsch. »Was willst du hier?«
Sie rechnete nicht damit, aus seinem Mund eine Antwort zu erhalten. Niemand in San Francisco hatte Buster jemals sprechen gehört. Entweder wollte er nicht reden, oder er konnte es nicht.
Buster zeigte zum Ausgang. Es war klar, was er meinte.
Molly Reynolds seufzte ergeben und folgte ihm zwischen den gutbesetzten Tischen hindurch.
Plötzlich sprangen zwei Männer auf und stellten sich ihnen in den Weg. Ein blonder Kleiderschrank und ein hagerer, dunkelhaariger Kerl mit der krummsten Nase, die Molly jemals gesehen hatte. Sie trugen die Tätowierungen von Seeleuten, und ihr süßlich-schwerer Atem verriet den überreichlichen Rumgenuß.
»Warum gehst du mit dem Nigger, Molly?« lallte der Krummnasige. »Bist doch viel zu schade für so'n Kohlengesicht. Wenn du dich amüsieren willst, setz dich lieber zu uns!«
Er legte den Arm um die Schultern der Frau, tauchte mit der Hand in ihren Ausschnitt und packte das warme Fleisch ihrer riesigen Brüste. Seine Fingernägel gruben sich so fest ein, daß es weh tat.
»He, Bo«, wandte er sich lachend an seinen Gefährten. »Is'n verdammt gutes Gefühl. Is' genug für uns beide dran.«
»Werd's auch mal versuchen, Jock«, grunzte der Blonde und wollte ebenfalls zugreifen.
Er kam nicht dazu.
Der bisher völlig ruhige Schwarze wirbelte herum, faßte Bos Arm und drehte ihn mit einer schnellen Bewegung auf den breiten Rücken des Kleiderschranks.
Der blonde Seemann heulte schmerzerfüllt auf und krümmte sich zusammen. Mit einem Fausthieb auf den Hinterkopf schickte Buster ihn auf den schmutzstarrenden Fußboden.
»Verfluchtes Schwein!« schrie Jock. Er ließ Molly los, griff unter seine zerschlissene Jacke und zog ein scharfes Haifischmesser hervor.
Buster war schneller.
Sein Fuß traf das Gelenk der Messerhand, und die Waffe flog zur Seite.
Der Schwarze sprang vor und deckte den Krummnasigen mit einer Serie von Fausthieben ein. Sie explodierten überall an Jocks Kopf und brachen die Nase ein weiteres Mal. Ein roter Sturzbach ergoß sich aus beiden Nasenlöchern, während der Seemann neben seinen Kumpel stürzte.
Buster stand wieder völlig ungerührt da, als wäre nichts geschehen.
Zwei Männer stürzten vom Eingang herbei. Sie waren kräftig gebaut, und ihre groben Gesichter wirkten vollkommen identisch. Kein Wunder, die beiden Iren waren Zwillinge. Molly Reynolds hatte sie gestern erst als Türsteher, Aufpasser und Rausschmeißer eingestellt.
Der Schwarze spannte seine Muskeln an, bereit, es auch mit den beiden Iren aufzunehmen.
»Nicht der«, sagte Molly und zeigte auf Buster.
Dann blickte sie zu Boden, wo sich die tätowierten Seeleute unter lautem Röcheln wanden.
»Die beiden müßt ihr euch vornehmen. Schmeißt sie raus und achtet darauf, daß sie in dieser Nacht nicht mehr wiederkommen!« Sie stieß ein verächtliches Lachen aus. »Die Milchgesichter können den Rum nicht vertragen.«
Einer der Iren nickte. Der andere starrte gebannt seine Chefin an.