»Dann erzählen Sie mir alles, was Sie wissen!« verlangte der Fremde.
»Aber natürlich.« Harte richtete sich so weit auf, bis sein Rücken gegen die Wand lehnte. »Die Erde ist eine Kugel, wie wir seit neuesten Erkenntnissen wissen. Sie ist zum größten Teil mit Wasser bedeckt, von dem ich eben ein wenig verschluckt habe. Der Himmel.«
Weiter kam er nicht. Die Stiefelspitze des Fremden bohrte sich in seinen Magen.
Der Journalist krümmte sich zusammen und konnte einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken.
»Verfluchter Schwätzer!« verlor der Fremde seine Beherrschung. »Wenn du glaubst, deine Schmerzen könnten nicht größer werden, ich kann dich leicht zur Einsicht bringen.«
In einer unwillkürlichen Bewegung schlug die Rechte des Mannes die Jacke über der Hüfte beiseite. Der perlmuttbeschlagene Griff eines im Lederholster sitzenden Revolvers kam zum Vorschein. Dann besann der Dandy sich und ließ den teuren Stoff wieder über die Waffe fallen.
»Nein, das wäre zu einfach«, sagte er grinsend. »Viel zu schnell für dich, Schmierfink. Du sollst leiden und plaudern. Du kannst deine Leiden allerdings vermeiden, wenn du gleich redest.«
Harte hatte seinen Oberkörper wieder aufgerichtet und erwiderte: »Das habe ich doch getan. Ich sollte Ihnen alles erzählen, was ich weiß. Da habe ich mir gedacht, ich fange bei der Allgemeinbildung an.«
Die freche Antwort trug ihm einen weiteren Stiefeltritt ein. Doch diesmal war der Gefangene darauf vorbereitet.
Seine Feinde hatten ihn nicht gefesselt. Dafür sollten sie jetzt büßen!
Harte packte den Fuß des anderen, hielt ihn fest und drehte ihn herum.
Der Dandy verlor das Gleichgewicht, ruderte für kurze Sekunden hilflos mit den Armen in der Luft und fiel mit einem schweren Krachen zu Boden.
Harte stieß sich von der Wand ab und warf sich auf den benommenen Gegner. Er griff an dessen rechte Hüfte, umklammerte den Perlmuttgriff des Revolvers und wollte ihn aus dem Holster ziehen.
Da krachte etwas schwer gegen den Kopf des Journalisten. Mit solcher Wucht, daß der Getroffene vor den gut gekleideten Gegner stürzte. Das Perlmutt der rettenden Waffe entglitt seinen Händen.
Mulholland ließ den großen Eimer fallen, mit dem er Harte geschlagen hatte. Der Tätowierte sprang auf den am Boden liegenden Journalisten. Der Aufprall schien alle Luft aus Hartes Lungen zu pressen.
Als der Journalist wieder atmen konnte, war es zu spät. Mulhollands Fäuste sandten Schmerz auf Schmerz durch seinen Kopf.
Das stoppelbärtige Gesicht verschwamm vor Hartes Augen.
Wieder wurde alles um ihn herum finster.
*
»Verdammt, Seamus, er ist schon wieder ohnmächtig!« fluchte der kleine Roy Laverty, der mit gezücktem Messer herbeigesprungen war. Enttäuschung zeichnete das flache Sommersprossengesicht. »Warum hast du nicht auf mich gewartet? Ich hätte mich auch gern mit dem Lackaffen beschäftigt.« Sehnsüchtig betrachtete Laverty die Klinge seines Messers und fügte mit einem Kichern hinzu: »Auf meine ganz besondere Weise.«
»Ihr seid Idioten, alle beide!« bellte Claude Dana, der Mann mit dem perlmuttverschalten Revolver. »Wir sollten den verfluchten Schmierfinken zum Reden bringen und ihn nicht wieder in den Schlaf zurückschicken. Über dieses Ergebnis wird der Boß gar nicht zufrieden sein.«
Der Boß!
Bei seiner Erwähnung zuckte Roy Laverty zusammen, und Seamus Mulhollands Augen zeigten den Ausdruck von Furcht. Ihr Boß war der Hai von Frisco. Und der war dafür bekannt, keine Versager in seinen Reihen zu dulden.
»Pah, ist doch halb so schlimm«, versuchte der Tätowierte die Sache herunterzuspielen. »Ich hole einen neuen Eimer Wasser. Wir haben den Schmierfinken eben auf diese Art wach gekriegt, dann wird es jetzt auch klappen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, knurrte Dana, der sich über den Bewußtlosen beugte. »Sein Atem ist ziemlich flach.«
»Was heißt das?« kreischte Laverty besorgt.
Auf einmal war er sehr froh, daß Mulholland allein es dem Gefangenen gegeben hatte. Falls der Schmierfink nicht mehr aufwachte, fiel wenigstens keine Schuld auf Laverty.
»Er wird wohl nicht sterben«, sagte Dana. »Aber er wird eine ganze Weile benötigen, um sich von Mulhollands Spezialbehandlung zu erholen. Heute nacht wird es wohl nichts mehr mit dem Verhör. Wir sollten ihn in Ruhe lassen.«
»Und wenn er doch früher aufwacht?« wandte der Tätowierte ein. »Der Lackaffe hat bewiesen, daß er gefährlich ist.«
»Stimmt«, gab Dana zu, während er sich erhob und seine zerknitterte Kleidung ordnete. »Holt starke Seile und fesselt ihn so, daß er keinen Finger mehr krümmen kann!«
Er verließ den fensterlosen Raum und trat auf einen finsteren Gang hinaus. Dana benötigte kein Licht, er kannte sich hier aus. Er schlug die Richtung ein, aus der leiser, aber beständiger Lärm zu ihm drang.
Es war das Klimpern eines schlecht gestimmten Pianos und die Melodie von When Johnny Comes Marching Home. Der alte Pinky haute mit mehr Leidenschaft als Können in die Tasten. Ein paar unionistisch gestimmte Patrioten - oder zumindest ein paar Kerle, die sich dafür hielten - grölten lautstark und falsch den Text des Marschliedes. In ihren Gesang mischte sich Gelächter und Geschrei.
Als Dana den großen Schankraum des Red Whale erreichte, hatte Pinky zur gerade noch erkennbaren Melodie von There Was An Old Soldier gewechselt. Dana kämpfte sich durch die Tanzfläche, wo Tanzmädchen mit angeheiterten Gästen ihre Runden drehten, zur Bar durch und bestellte bei dem fast glatzköpfigen Keeper einen doppelten Bourbon.
»Aber den guten«, fügte Dana im drohenden Unterton hinzu. »Nicht den billigen Fusel, den du Betrunkenen für teures Geld andrehst.«
»Gewiß doch, Mr. Dana«, erwiderte der Barmann respektvoll. »Für Sie nur das Beste, Sir.«
Dana setzte das nicht ganz saubere Glas an die Lippen, als Molly Reynolds ihre vielen Pfunde an die Bar schob und fragte: »Wie ist es gelaufen, Claude? Du siehst nicht gerade fröhlich aus.«
»Das bin ich auch nicht«, antwortete Dana, nachdem er das Glas bis zur Hälfte geleert hatte. »Dieser Schwachkopf von Mulholland hat den Schmierfinken mit seinen Fäusten zurück ins Reich der Träume geschickt. Jetzt können wir ein paar Stunden warten, bis der Schreiberling wieder ansprechbar ist!«
Dana fühlte die Wut auf Holland in sich hochsteigen und trank den Rest Bourbon aus seinem Glas.
Die fette, rothaarige Frau blickte ihn mitleidig an.
Erst hatte sie sich geärgert, als der Hai Claude Dana anschleppte. Dana war die neue rechte Hand des Hais und nahm die Stelle ein, die vorher Henry Black innegehabt hatte. Dana benahm sich ganz, als gehörte ihm das Red Whale, und das hatte Molly verärgert.
Jetzt aber hätte sie um kein Geld der Welt mit dem äußerlich dandyhaften, in Wahrheit aber knallharten Mann tauschen mögen. Es war Danas Aufgabe, vor den Hai zu treten und ihm die peinliche Schlappe zu melden.
Mulholland schob seine knochige Gestalt zwischen die Tanzenden hindurch, stellte sich neben Dana und Molly und sagte: »Auftrag erledigt, Mr. Dana. Der Lackaffe ist fest verschnürt. Wenn er aufwacht, denkt er bestimmt, er ist ein Überseepaket.«
Weder Dana noch Molly fielen in das abgehackte Lachen des Tätowierten ein.
Der wurde wieder ernst und erklärte: »Roy hält vor der Tür Wache. Wer soll ihn ablösen?«
Dana überlegte kurz und meinte: »Kann gut sein, daß ich sämtliche Männer noch brauche. Kommt ganz drauf an, was der Schmierfink alles ausgeplaudert hat.« Er blickte die Frau an. »Hast du einen geeigneten Wächter, Molly?«
»Meine beiden neuen Rausschmeißer machen sich gut«, sagte die Frau und blickte durch die Tabakrauchschwaden hinüber zur Eingangstür, wo die beiden massigen Iren standen. »Einer von ihnen schafft die Arbeit auch. Der andere kann auf den Gefangenen aufpassen.«
»Wenigstens etwas«, seufzte Dana und stieß sich von der Theke ab. »Ich gehe jetzt zum Boß. Er wartet sicher schon auf Nachricht.«