»Das kann schon bald der Fall sein«, verkündete Dana zur Verblüffung des Hais. »Draußen ist ein Kerl, ein Deutscher, der die Besitzurkunde für die Mine hat.«
»Was?«
Die Hand des Hais schlug mit solcher Macht auf die Schreibtischklappe, daß sogar Buster zusammenzuckte, der bislang ungerührt neben der Tür gestanden hatte.
Dana fuhr fort: »Der Mann hat nur ein Problem: Die Urkunde lautet nicht auf seinen Namen. Deshalb ist er hier. Er hat gehört, daß ich im Red Whale bin und viele Dinge vermitteln kann. Er sucht einen Mann, der eine neue Urkunde für ihn anfertigt, eine Fälschung, die nicht zu erkennen ist, mit seinem Namen natürlich.« »Das läßt sich machen.« Der Hai grinste. »Allerdings sollten wir die neue Urkunde auf einen Mann unseres Vertrauens ausstellen.«
Dana nickte.
»Allerdings. Ich werde alles veranlassen. Was machen wir mit dem Trottel da draußen? In die Bucht?«
»Im Augenblick noch nicht«, entschied der Hai. »Wir könnten ihn noch brachen. Sperrt ihn einstweilen zu dem Journalisten, sobald ihr ihm die Urkunde abgenommen habt. Oder trägt er sie nicht bei sich?«
»Doch. Er scheint sich keine Sekunde von ihr trennen zu können. Ich durfte nur einen kurzen Blick darauf werden.«
»Würde mich interessieren, wie er darangekommen ist«, murmelte der Hai. »Wie heißt der Kerl überhaupt?«
»Pape.«
»Das sagt mir nichts. Und der wirkliche Besitzer der Midas Lode?«
»Das ist laut der Urkunde ein gewisser Dilger.«
Der Hai riß die Augen auf und fragte erregt: »Wie war der Name?«
»Dilger. Carl Dilger.«
»Verdammt«, zischte der Hai. »Das riecht nach einer Falle!«
Dana blickte ihn verständnislos an.
*
Ungefähr eine Stunde nach Franz Pape betraten Jacob Adler und Mark Twain das Red Whale.
Der atemberaubende Dunst der vielen Menschen verursachte bei dem Journalisten einen Hustenreiz. Nachdem er ihn überwunden hatte, sagte Twain: »Ein mieser Schuppen, aber nichts Besonderes. Barbary Coast quillt geradezu über von solchen gastlichen Orten.«
»Falls der Hai hier seine Finger im Spiel hat, wird er es sicher nicht an die Eingangstür schreiben«, erwiderte Jacob. »Und ob es so ist, das finden wir heute abend vielleicht heraus.«
»Wahr gesprochen, mein Freund.« Twain klopfte auf die rechte Außentasche seiner Jacke, die von seinem Sechsunddreißiger ausgebeult wurde. »Jedenfalls bin ich froh, daß ich nicht nur Sie, sondern auch meinen sechsschüssigen Gefährten an meiner Seite weiß.«
»Kann ich verstehen«, sagte Jacob, der ebenfalls bewaffnet war. Als er zu dem Treffen mit Twain aufbrach, hatte er seine beiden Revolver eingesteckt.
Scheinbar gelassen schlenderten sie zur Bar. Jacob bestellte ein Bier und Twain einen Brandy.
»Einiges los hier heute abend«, bemerkte der Journalist, als der schiefgesichtige Keeper die Getränke brachte. »Ist das jeden Abend so?«
»Yeah, Mister«, brummte der Keeper.
»Gut für den Besitzer«, sagte Twain mit einem unverbindlichen Lächeln. »Wer ist das eigentlich?«
»Miß Molly führt das Red Whale«, erklärte der Keeper und zeigte zu der fetten Frau, die an einem der Spieltische saß und an einer Partie Monte teilnahm.
»Führt sie es nur, oder gehört es ihr auch?« bohrte der Journalist tiefer.
Der Keeper legte den Kopf fragend zur Seite.
»Wie meinen Sie das, Mister?«
»Ich habe gehört, das Red Whale soll einem Mann gehören.«
»Wer sagt das?« wollte der Keeper wissen.
»Das weiß ich nicht mehr. Ich habe es irgendwo aufgeschnappt.«
»Davon weiß ich nichts«, meinte der Keeper. »Miß Molly ist schon lange die Chefin hier. Seit kurzem wird sie allerdings von Mr. Dana unterstützt.«
»Claude Dana?« Twain nickte. »Yeah, jetzt sehe ich ihn. Er ist der Mann neben Miß Molly, der mit dem Rücken zu uns sitzt.«
Der Keeper entfernte sich.
»Wer ist dieser Dana?« fragte Jacob seinen Begleiter.
»Ein stadtbekannter Spieler. Man sagt allerdings, das Spiel sei nicht seine Haupteinnahmequelle. Er soll in einigen trüben Gewässern fischen. Vielleicht ist er ja einer der vielen kleinen Fische, die im Gefolge eines Hais mitschwimmen und sich von den Resten seiner Beute ernähren.«
»Sie sprechen von dem Hai, Twain?«
»Natürlich. Da, sehen Sie doch, Adler! Ganz unauffällig bringt unser Keeper eine Flasche an den Spieltisch von Dana und Miß Molly. Dabei sind noch sämtliche Gläser voll. Könnte gut sein, daß wir der Anlaß dieses Manövers sind. Schade, daß wir nicht hören können, was gesprochen wird.«
*
»Miß Molly, Mr. Dana!«
Letzterer hielt gerade ein paar Karten in der Hand, wandte seinen Kopf dem Keeper zu und fragte reichlich unwirsch: »Was gibt's denn? Siehst du nicht, daß wir spielen?«
»Doch, Sir, aber ich glaube, er ist da!«
»Wer?«
»Der Mann, auf den wir achten sollen. Der Dutch mit dem goldenen Ring im rechten Ohr.«
»Bist du dir sicher?«
»Ich glaube, er ist es. Ein junger, großer Kerl mit hellem Haar. Gesprochen hat meistens sein Freund. Aber als der mit dem Ohrring ein Bier bestellte, hörte er sich an wie ein Dutch.«
»Wo stehen Sie?« fragte Dana.
»In der Mitte der Theke.«
Der Dandy drehte den Kopf noch ein Stück weiter, dann sah er die beiden.
»Verflucht, der Keeper hat recht«, zischte er. »Der Hai muß wirklich über hellseherische Fähigkeiten verfügen. Und selbst wenn es nicht dieser Jacob Adler ist, liegt Ärger in der Luft. Sein Begleiter ist nämlich ein Freund von unserem Gefangenen. Clemens heißt er und nennt sich auch Twain, glaube ich.«
»Was tun wir?« fragte Molly.
»Dasselbe wie bei diesem Pape«, antwortete Dana und grinste. »Ich verlasse mich auf dich, Molly-Schatz.«
Achtlos legte er die Karten auf den Tisch, stand auf und ging langsam die Theke entlang.
*
»Er kommt zu uns«, flüsterte Jacob, als Dana aufstand und zur Theke ging. »Was sollen wir tun?«
»Abwarten und anhören, was er uns zu sagen hat«, erwiderte Twain. »Schließlich sind wir hergekommen, um etwas in Erfahrung zu bringen.«
»Guten Abend, Gentlemen«, sagte Dana, als er die beiden anderen erreichte; dabei tippte er mit der Hand an die Hutkrempe. »Der Keeper hat mir gesagt, Sie interessieren sich für mich. Was kann ich für Sie tun?«
»Meine Name ist Sam Clemens. Als Mark Twain schreibe ich für den Call.«
Dana nickte wissend.
»Yeah, ich kenne das Blatt und Sie auch. Ich schätze Ihre Artikel sehr, Sir.«
»Vielen Dank.« Twain deutete eine Verbeugung an. »Dann lassen Sie sich vielleicht hinreißen, meinem jungen Kollegen und mir zu helfen. Wir wollen nämlich einen Artikel über die berühmtesten Vergnügungsstätten von San Francisco schreiben. Einen Leitfaden für Vergnügungssüchtige, wenn Sie so wollen.«
»Und dabei wollen Sie auch das Red Whale berücksichtigen?«
»In der Tat, Mr. Dana. Schließlich ist auch Barbary Coast ein Teil von San Francisco, und sicher nicht der unbekannteste.«
»Nein, sicher nicht«, lachte Dana und zeigte auf eine Tür hinter der Theke. »Ich freue mich, daß Sie das Red Whale auserkoren haben, und stehe Ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Gehen wir in ein Hinterzimmer. Hier ist es zu laut für eine vernünftige Unterhaltung.«
Da hatte Dana recht. Der zahnlose Alte am Piano klimperte Dolly Varden zwar viel zu schnell herunter, aber das hielt eine ganze Anzahl der Gäste nicht davon ab, den Gassenhauer mitzusingen. Ihr vielstimmiges Gegröle erfüllte den Raum.
Jacob warf seinem Begleiter einen warnenden Blick zu. Twain erwiderte das mit einer knappen Handbewegung, die zu sagen schien: >Ich weiß, es könnte eine Falle sein, aber wir müssen es riskieren.< »Sehr schön«, sagte Twain zu dem Spieler. »Wir nehmen Ihr Angebot dankend an, Mr. Dana. Gehen Sie voran?«