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Max Quidor, der Hai von Frisco, lachte und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Er stellte es auf den Tisch und sagte: »Ich dagegen freue mich über unser Wiedersehen. So sehr, daß ich es mit einem Glas des besten Brandys feiere, der in ganz Frisco aufzutreiben ist. Es bedeutet nämlich, daß Sie meine Pläne nie mehr durchkreuzen werden!«

»Sie wollen mich also aus dem Weg schaffen.«

»Natürlich.« Quidor lachte erneut. »Was dachten Sie denn, Adler?«

»Nichts anderes. Würden Sie mir zuvor ein paar Fragen beantworten?«

Der Hai lehnte sich zurück. Er wirkte entspannt.

»Unser Wiedersehen unter diesen Umständen versetzt mich in Gönnerlaune, Adler. Also schießen Sie los. Was wollen Sie wissen?«

»Zunächst einmal, wie Sie den Untergang der ONTARIO überlebt haben.«

»Die Frage habe ich mir selbst schon oft gestellt. Wissen Sie, zu welcher Erkenntnis ich gelangt bin?«

»Nein.«

»Es ist die Macht des Schicksals, Adler. Männer wie mich gibt es nicht viele auf dieser Welt. Ich bin dazu geboren, Großes zu schaffen. Und ein kleiner Zimmermann wie Sie wird mich nicht daran hindern!«

Die Gelassenheit hatte Quidor verlassen. Sein Blick flackerte und schien Jacob durchbohren zu wollen.

»Vom Ende der ONTARIO weiß ich kaum etwas«, fuhr der Hai fort. »Ich weiß nur noch, daß ich Sie und Ihren Freund, diesen Bauer, vor dem Revolver hatte. Danach wurde alles dunkel um mich herum. Ich kam erst wieder zu mir, als ich an einem Lagerfeuer auf einer Lichtung lag. Buster hat mich aus dem Fluß gefischt und mich wieder aufgepäppelt. So hat er es mir erzählt, in seiner Sprache der Zeichen.«

»Was ist mit Buster? Warum kann er nicht sprechen?«

»Weil Weiße ihm die Zunge herausgerissen haben. Er ist ein flüchtiger Sklave. Kentucky gehört zwar zu den Nordstaaten, aber die Sklavenhaltung ist dort erlaubt. Buster hatte gewaltigen Ärger mit seinem Herrn, der ihm die Zunge herausreißen ließ. Darauf brachte Buster ihn um und floh. Erst wollte er auch mich töten, weil ich ein Weißer war. Aber dann kam ihm der Gedanke, daß ein weißer Verbündeter sehr nützlich sein kann. Außerdem konnte ich ihm nicht gefährlich werden. Nach dem verfluchten Schuß in den Rücken konnte ich mich nicht bewegen. Selbst jetzt fällt es mir sehr schwer. Sehen Sie!«

Langsam erhob sich Quidor und stützte sich dabei auf die Tischplatte. Eine Hand griff in eine der Lederschlaufen. So ging - besser zog sich - der mächtige Hai von Frisco durch den Raum, immer mit einer Hand in einer Lederschlaufe. Die Arme gehorchten ihm, aber die Beine so gut wie gar nicht. Er wirkte erleichtert, als er sich wieder in den Stuhl sinken ließ.

»Ich war bei ein paar guten Ärzten, Spezialisten, aber besser haben sie mich nicht hinbekommen. Es liegt an der verfluchten Kugel in meinem Rücken. Sie klemmt einen Nerv ein. Und niemand kann sie herausholen.«

Quidor beugte sich so weit vor, daß er fast auf der Tischplatte lag. Wieder brannte sich sein Blick in Jacob. Fast hypnotisch. Die Welt schien aus nichts anderem mehr zu bestehen als aus den beiden Männern.

»Wer war es, Adler?« fragte Quidor. »Wer hat auf mich geschossen?«

»Vivian Marquand.«

»Sie also«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch leise und fügte lauter hinzu: »Was ist mit ihr geschehen?«

»Auch sie hat den Untergang der ONTARIO überlebt«, antwortete Jacob und berichtete von seinem erneuten, dramatischen Zusammentreffen mit der fanatischen Agentin der Südstaaten.

»Schön, daß sie soviel leiden mußte«, fand Quidor. »Schade nur, daß ich ihr nicht dabei zusehen konnte.«

Jacob hatte noch ein paar Fragen und stellte sie: »Wie sind Sie nach San Francisco gekommen, Quidor? Wie konnten Sie wieder so mächtig werden?«

»Ich war immer mächtig, weil ich immer Geld hatte. Ich hatte einiges Geld hier in Frisco investiert. Da es mir an der Ostküste aus Gründen, die Sie wohl kennen, zu heiß geworden war, zog ich mit Buster nach San Francisco, um an dem neuen Goldrausch teilzuhaben. Und ich muß sagen, Buster und ich erwiesen uns als ein hervorragendes Gespann. Wir arbeiten Hand in Hand, besser als ein Mann allein. Der muß sich nämlich auf Geist und Körper konzentrieren.«

Der Hai tippte an seine Stirn.

»Ich dagegen kann mich ganz allein aufs Denken besinnen, weil Buster die Handarbeit übernimmt.«

Quidor nahm einen großen Schluck Brandy.

»Sonst noch Fragen, Adler?«

»Allerdings. Ihr Freund Mr. Dana sagte, Sie hätten mich erwartet. Warum?«

»Weil mir die Sache mit diesem Carl Dilger gleich nicht geheuer vorkam.«

»Carl Dilger?« wiederholte Jacob überrascht. »Was ist mit ihm?«

»Das hier«, erwiderte Quidor und legte ein Stück Papier so auf den Tisch, daß der Auswanderer es lesen konnte.

Es war die Eigentumsüberschreibung einer Goldmine namens Midas Lode an einen Carl Dilger aus Hamburg, Germany. Jacob verstand es nicht und schüttelte den Kopf.

»Wie kommen Sie an das Papier, Quidor?«

»Es stammt also nicht von Ihnen?« antwortete der Hai mit einer Gegenfrage.

»Von mir?«

»Ja, Adler. Ich witterte eine Falle, als dieser Pape mit dem Dokument hier aufkreuzte. Ich wußte, daß Dilger der Mann ist, den Ihre Freundin Irene zu heiraten gedenkt. Deshalb wies ich meine Leute an, ganz besonders auf den großen Deutschen mit dem goldenen Ring im rechten Ohr zu achten. Zu recht, wie sich herausgestellt hat.«

Quidor nahm das Papier auf und hielt es hoch.

»Sie wissen wirklich nichts hierüber?«

»Aber nein!«

Ein Lächeln zog über das Gesicht des Hais.

»Dann ist die Urkunde vielleicht doch echt«, sagte er leise, mehr zu sich selbst. »Und die Midas Lode ist in meiner Hand!«

In Jacobs Kopf überschlugen sich die Gedanken. Der Name Pape, den Quidor erwähnt hatte, war ihm nicht unbekannt. In Oregon hatten Jacob und Irene erfahren, daß Carl Dilgers Freund und Begleiter auf dem Weg nach Oregon Franz Pape hieß.

»Dieser Pape, von dem Sie sprachen, heißt er mit dem Vornamen Franz?«

»So ist es.«

»Und was ist mit ihm?«

»Jetzt ist er mein Gefangener. Er suchte jemanden, der ihm durch eine gefälschte Urkunde die Midas Lode überschreibt.«

»Aber Sie überschreiben sich die Mine lieber selbst.«

Der Hai grinste und nickte.

»Aber was ist mit Dilger?« fragte Jacob. »Er wird sich die Mine nicht einfach so wegnehmen lassen.«

»Nach Papes Worten ist er tot. Ich habe es überprüfen lassen. Tatsächlich ist ein Carl Dilger an Bord der PERSIA gewesen, die kürzlich in Frisco angekommen ist. Dilger ist allerdings nicht an Land vergangen. Er hat das Schiff schon vorher verlassen, ist in dunkler Nacht über Bord gefallen.«

»Eine unglaubliche Geschichte«, murmelte Jacob, der das alles erst verarbeiten mußte.

Er und Irene hatten Dilger in Kalifornien vermutet. Was hatte er dann auf der PERSIA gemacht, die doch von New York kam?

Und wie kam Dilger in den Besitz einer offenbar wertvollen Goldmine?

Und ausgerechnet der Sohn eines Reeders sollte über Bord gehen und ertrinken?

Twain trat einen Schritt vor und sagte: »Vielleicht können wir mal wieder die Landessprache sprechen. Ich habe nämlich kaum etwas verstanden und auch noch ein paar Fragen an den Hai von Frisco.«

»Fragen Sie nur«, sagte Quidor, ebenfalls auf englisch. »Die Antworten werden Sie allerdings nicht in Ihrem Blatt drucken können.«

»Sind Sie für die goldgefüllten Ratten verantwortlich?« wollte Twain wissen.

»Ja. Ich habe sowohl ungeprägtes Gold, als auch neue Münzen aus der Münzanstalt in meinen Privatvorrat - hm -nennen wir es verlagert. Ich hatte ein paar Helfer in der Münze. Wir inszenierten dort eine Rattenplage, und die toten Tiere transportierten meinen neuen Reichtum, um die strengen Kontrollen zu umgehen.«

»Warum ist Bret damit nicht gleich zur Polizei gegangen?« überlegte Twain laut.