»Nur wer aufgibt, ist verloren«, widersprach Jacob. »Wir müssen alles auf eine Karte setzen und einen Ausfall wagen.« Wieder blickte er Bartly an. »Es ist nicht euer Kampf, Bartly. Seid ihr trotzdem dabei?«
»Für Sie tun wir alles, Mr. Adler.«
»Harte und Pape sind ziemlich mitgenommen«, stellte der Zimmermann fest. »Also liegt es an Ihnen, Twain, an Bartly, Gypo und mir. Die anderen sind gleich hier, wie man hört. Also los!«
Mit blanken Fäusten - nur Bartly trug sein Messer - stürmten die vier Männer nach draußen. Jacob als erster, dann Bartly, Gypo und schließlich Mark Twain.
Der Zeitpunkt war gut abgepaßt. Die drei anderen hatten gerade den Eingang zum Verließ erreicht und wunderten sich über die offene Tür und das Fehlen einer Wache. Es waren Claude Dana, Seamus Mulholland und Roy Laverty.
Jacob stürzte auf den ungläubig dreinblickenden Mulholland zu und hieb ihm ohne Vorwarnung die geballte Faust ins stoppelbärtige Gesicht.
Der tätowierte Mann taumelte zurück, und die Seemannsmütze rutschte von seinem kantigen Kopf. Mulholland fing sich wieder und zog einen Revolver.
Jacob sprang zu ihm und packte mit beiden Händen die Waffenhand des Tätowierten. Eine schnelle kräftige Drehung von Mulhollands Handgelenk in entgegengesetzte Richtung, und die Waffe fiel polternd auf den hölzernen Boden.
Aus den Augenwinkeln sah Jacob, daß seine Begleiter gegen Dana und Laverty kämpften.
Twain rang mit Laverty, der sein Messer gezogen hatte. Der kleine Ire stieß die leicht gebogene Klinge in den linken Arm des Gegners.
Der Journalist brüllte auf. Aber es klang mehr wie ein Wut-als ein Schmerzensschrei.
Seine rechte Faust traf Laverty mit solcher Wucht, daß der Mann mit dem Sommersprossengesicht mit dem Hinterkopf gegen die Wand prallte, dort zu Boden rutschte und reglos liegenblieb.
Dana gelang es, sich von den Connor-Brüdern zu lösen. Er zog seinen Revolver und gab schnell hintereinander zwei Schüsse ab.
Bartly ließ sich instinktiv fallen und entging der über seinen Kopf hinwegpfeifenden Kugel.
Gypo ahmte das Manöver nach, war aber nicht schnell genug. Er stieß einen kurzen Schrei aus, als ihn die Kugel erwischte.
Der Dandy nutzte die Gelegenheit, um sich mit schnellen Schritten abzusetzen.
Jacob hatte seine Aufmerksamkeit dem Geschehen um ihn herum eine Sekunde zu lange gewidmet. Mulholland nutzte das aus und zog ruckartig ein Knie an, das er in den Unterleib des Deutschen rammte.
Dieser stöhnte gequält auf und taumelte zurück. Er kämpfte gegen die Schmerzen an, die seinen ganzen Körper durchzogen.
Der Tätowierte bückte sich, um seinen Revolver aufzuheben. Dann schrie er auf, als seine Hand am Boden festgenagelt wurde. Schuld daran war Lavertys Messer, das Twain geschleudert hatte.
Mulholland war zäh. Er griff mit der Linken nach dem Revolver.
Jacob sprang erneut vor und legte seine ganze Kraft in einen Faustschlag, der Mulhollands Stirn traf. Der Stoppelbärtige verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden.
Mit zwei schnellen Griffen brachte Jacob Revolver und Messer an sich. Den Revolver richtete er auf Mulholland und spannte den Hahn.
»Schluß jetzt!« zischte der Auswanderer. »Meine Geduld ist zu Ende.«
Mulholland war schwer angeschlagen und fügte sich.
Twain trat an Jacobs Seite und sagte: »Leider nur ein halber Sieg. Dana ist entkommen und hat den Hai wahrscheinlich schon gewarnt. Wenn nicht, haben es die Schüsse getan. Außerdem hat es einen dieser ebenso bulligen wie hilfsbereiten irischen Jungs erwischt.«
»Und mich hätte es wohl auch erwischt, wenn Sie nicht gewesen wären«, erwiderte Jacob und hielt Twain das Messer hin. »Nehmen Sie das zurück. Vielleicht brauchen Sie es noch. Immerhin sind Sie ein Künstler mit dem Messer.«
»Ein reiner Glückstreffer.« Twain nahm das Messer wieder an sich und grinste. »Eigentlich hatte ich auf die Brust gezielt.«
Jacob drehte sich zu den Connors um und fragte: »Wie geht es Gypo?«
»Zum Glück ist es nur ein Schulterschuß«, antwortete Bartly, der die Wunde mit einem Streifen Stoff seines Hemdes verbunden hatte.
Dann fuhr er seinen stöhnenden Bruder an: »Los, hab dich nicht so! Steh endlich auf, Gypo! Soll Mr. Adler die Connors für Schwächlinge halten?«
Tatsächlich kam Gypo mit Hilfe seines Bruders wieder auf die Beine. Erst schwankte er noch, aber dann ging es wieder.
Jacob verband derweil Twains Armwunde und besorgte sich den Verband auf ähnliche Weise wie Bartly Connor. Daß dabei das neue, von Senator Basehart spendierte Hemd in Fetzen ging, war jetzt vollkommen unwichtig.
Sie sperrten Mulholland und Laverty in das Verließ. Aus Zeitgründen fesselten sie die beiden nicht. Der starke Eisenriegel vor der Tür mußte genügen.
Vor Verlassen des Raums bückte sich Jacob und nahm seinen breitkrempigen Hut auf. Es war ein schöner Hut. Neu und schön. Viel zu schade, um ihn zurückzulassen.
»Und jetzt?« fragte Twain.
»Wir müssen Quidor finden, bevor er wieder verschwinden kann«, sagte Jacob. »Der Hai von Frisco muß endlich unschädlich gemacht werden!«
»Ein lobenswertes Ziel«, befand Twain. »Aber reichen unsere Kräfte dazu aus? Wir sind reichlich angeschlagen und verfügen zudem nur über zwei Revolver und drei Messer. Nicht gerade eine beeindruckende Streitmacht.«
Bret Harte hatte Lavertys Taschenrevolver an sich genommen. Außerdem hatten sie bei Mulholland noch ein Messer gefunden, mit dem sich Gypo bewaffnete.
»Wir müssen es versuchen«, beharrte der junge Zimmermann. »Es ist zu wichtig!«
»Aber es ist nicht unsere Aufgabe«, widersprach Pape. »Dafür ist die Polizei zuständig. Wir sollten auf dem schnellsten Weg verschwinden und die Behörden benachrichtigen.«
»Nein!« sagte Jacob scharf. »Dann entkommt Quidor erneut, und alles geht wieder von vorn los. Sie können ja abhauen, Pape, aber ich kümmere mich um den Hai.«
Die beiden Journalisten und die Connors waren auf Jacobs Seite. Da Pape nicht allein zurückbleiben wollte, schloß er sich der Mehrheit an.
Die nicht gerade beeindruckende Streitmacht, wie Mark Twain es ausgedrückt hatte, lief zu Quidors Büro - dem Hauptquartier des Hais.
*
Die sechs Männer erreichten Quidors Büro in dem Augenblick, als Claude Dana aus der Tür trat. Er hatte dem Hai also berichtet, was sich ereignet hatte.
Diesmal ließ sich der Dandy nicht überrumpeln. Mit einer schnellen Bewegung zog er den Revolver und eröffnete das Feuer auf die entflohenen Gefangenen.
Sie warfen sich zu Boden.
Twain stöhnte und fluchte.
»Was ist?« fragte Jacob. »Hat es Sie erwischt, Twain?«
»Nein, aber ich bin auf meinen verletzten Arm gefallen.«
Zwei weitere Männer erschienen in der Tür: der hünenhafte Buster und der von ihm gestützte Max Quidor.
Letzterer rief: »Dana, bleiben Sie hier!«
Aber der Dandy hörte nicht auf seinen Boß und verschwand um eine Ecke.
»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff!« sagte Jacob laut, während er aufstand und den erbeuteten Revolver auf Buster und Quidor richtete. »Geben Sie auf, Quidor! Ihr Spiel ist aus!«
Doch der Hai von Frisco gab nicht auf. Er und Buster verschwanden wieder in dem Büro.
Jacob wollte ihnen nachsetzen, als ohrenbetäubender Lärm ihn in der Bewegung verharren ließ. Schüsse, Schritte und Schreie erfüllten das Red Whale.
»Ein Kampf!« rief Harte. »Irgend jemand kommt uns zu Hilfe, wer auch immer!«
Während der Journalist noch sprach, stürmte Jacob schon auf den Eingang von Quidors Büro zu.
Die unerwartete Hilfe war ein Glücksfall. Aber jetzt war nicht die Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wer die Helfer waren.
Der Auswanderer dachte an die Rutsche und den unterirdischen Stall mit der Kutsche im Golden Crown. Damit hatte der Hai sich die Flucht ermöglicht. Jacob wollte nicht, daß Quidor so etwas noch einmal gelang.