Selbst mit dem ausgezeichneten Steuerpult der „SSSR-KS 3“ erforderte solch ein Manöver viel Arbeit und höchste Präzision.
Hier aber steuerte Belopolski nicht selbst. Er mußte jedesmal durch Wtorow handeln, mußte ihm die gewünschte Kurve so erklären, daß der junge Ingenieur sie sich deutlich vorstellen und in Gedanken, ohne den geringsten Fehler, vom Raumschiff vollführen lassen konnte.
Belopolski kamen unwillkürlich Bedenken. Daß die Mechanismen exakt arbeiteten, bezweifelte er nicht; er hatte ja schon wiederholt erlebt, wie sie auf „Befehle“ reagierten. Aber wie stand es um die Exaktheit von Wtorows Denken?
Wenn ich meine Entscheidungen doch unmittelbar selbst in die Tat umsetzen könnte! dachte er.
Aber das war unmöglich.
Ihm war klar, daß sie ihr Leben aufs Spiel setzten. Sollte der Rumpf des Raumschiffes beim Aufprall auf der Ceres Risse bekommen, würde bei ihnen augenblicklich der Tod eintreten, da es auf der Ceres keine Atmosphäre gab.
Indessen, das Los war bereits einen Monat zuvor an Bord der „SSSR-KS 3“ gefallen, jetzt blieb ihnen nichts weiter übrig, als in der Praxis zu erproben, ob „Adler“ oder „Bild“ oben lag.
„Bild“ — das waren Leben und Rettung des Raumschiffes, „Adler“ — Tod und Zerstörung des „Phaetonen“.
Belopolski teilte Korzewski seine Gedanken mit. „Das weiß ich“, entgegnete der Biologe kurz. Mit Wtorow unterhielten sie sich über derartige Themen nicht — seine Ruhe und sein Selbstvertrauen waren jetzt das all erwichtigste. Belopolski glaubte, Wtorow sei sich der Größe der Gefahr nicht bewußt, aber er täuschte sich.
Wtorow hatte die ganze Schwere der ersten Tage des gemeinsamen Fluges mit Melnikow im „Phaetonen“ miterlebt. Er wußte auch längst, daß hinter der scheinbar spielerischen Leichtigkeit, mit der die „SSSR-KS 3“ auf der Arsena und dann auf der Venus gelandet war, harte Arbeit, große Geschicklichkeit und tödliche Gefahr gesteckt hatten. Die Lektion des Sturzes in Richtung Venus war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Er hatte begriffen, daß der Kosmos nicht mit sich spaßen ließ. Und er wußte ganz genau, worauf sie sich jetzt einließen und was sie riskierten. Auf der Venus war er noch ein Neuling gewesen, der vieles nicht verstand und manches auf die leichte Schulter nahm; inzwischen aber war er ein echter Kosmonaut geworden. Zehn unvergeßliche Tage — und von dem früheren Wtorow war nichts mehr geblieben. Er hatte die Schule des Weltraums absolviert.
Und da sich Wtorow vollauf bewußt war, daß das Leben seiner Kameraden und die Rettung des Raumschiffs einzig und allein von ihm abhingen, zwang er sich zu äußerster Konzentration, war er entschlossen, alles, was Belopolski ihm befehlen würde, wie ein Automat auszuführen. Für ihn gab es weder Furcht noch Zweifel. Er sagte sich: Ich muß!
Er und Korzewski waren von Wissen und Erfahrung ihres Kommandanten überzeugt.
So schien alles für einen günstigen Ausgang des schwierigen Manövers zu sprechen.
Alles, nur nicht das Wichtigste, Entscheidendste. Die Männer ahnten nicht einmal, wie nahe die Gefahr war.
Der verhängnisvolle Fehler war einen Monat zuvor begangen worden, und zwar von Melnikow und Belopolski gemeinsam.
Konnte man ihnen einen Vorwurf daraus machen? Ein Mensch ist eben nur ein Mensch und keine Maschine; er ist Irrtümern unterworfen, seine Entscheidungen werden von vorgegebenen Tatsachen und Eindrücken beeinflußt. Die scheinbare Allmacht der phaetonischen Technik hatte Melnikow und Belopolski „hypnotisiert“. Dabei ließen sie außer acht, daß auch die Phaetonen nichts weiter als Menschen gewesen waren. Ihre Technik war eine Technik von Menschen, denn es gibt keine andere in der Natur, und ihre Macht ist daher nicht grenzenlos.
Das hatten sie vergessen.
Auf der Erde wirkte die „phaetonische Hypnose“ nicht so stark, weil man um die Einzelheiten der zehntägigen Odyssee Melnikows und Wtorows nicht wußte. Daher erkannte man dort auch sofort die Gefahr.
Aber da war es bereits zu spät und nichts mehr zu ändern.
Auf Melnikows Mitteilung vom Flug des „Phaetonen“ zur Ceres antwortete Kamow mit einem kurzen Funkspruch, der Belopolski, hätte er seinen Inhalt gekannt, zur sofortigen Umkehr bewogen hätte. Er lautete: „Woher wollen Sie wissen, daß die Energievorräte des ›Phaetonen‹ für einen solchen Flug ausreichen? Kamow.“ Tatsächlich, woher? Wie hatten sie diesen entscheidenden Umstand außer acht lassen können?
Melnikow raufte sich vor Verzweiflung die Haare. Das ringförmige Raumschiff jagte mit einer Geschwindigkeit von einhundertzwanzig Kilometern in der Sekunde dahin. Es gab kein irdisches, das es hätte einholen können. Und durch Funk war es auch nicht zu erreichen.
Man konnte es nicht mehr zurückholen. Der Fehler war nicht wiedergutzumachen! Es blieb nur noch zu hoffen, daß die Befürchtungen grundlos waren und alles gut ausgehen würde.
Ein sehr schwacher Trost, aber einen anderen gab es nicht.
Die Besatzung des ringförmigen Raumschiffs steuerte währenddessen nichtsahnend, ohne auch nur im geringsten daran zu zweifeln, daß ihre Energievorräte ausreichen würden, auf die Ceres zu.
Belopolskis Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet.
Sicher dirigierte Wtorow das Raumschiff. Die Phaetonen hätten es nicht besser machen können. Der junge Ingenieur beherrschte die Kunst der Vorstellung vollkommen, seine Gedankenbilder waren exakt wie nie zuvor.
Gehorsam schwenkte der „Phaetone“ hinter dem Planeten auf dessen Umlaufbahn ein. Die Ceres einzuholen war nicht mehr schwer. Das Raumschiff verringerte seine Geschwindigkeit.
Schon erblickten sie durch die Wandung das Panorama des größten der Asteroiden.
Eine von Rissen durchzogene, unfruchtbare, kahle Ebene mit spärlichen Ketten spitzer Hügel. Aus der Höhe erschien der Horizont noch sehr weit. Beim Niedergehen aber würde er sich stark verengen.
„Ich hatte befürchtet, die Oberfläche sei genauso beschaffen wie die der Arsena“, sagte Belopolski. „Gut, daß das nicht der Fall ist. Nun ans Werk, Gennadi Andrejewitsch. Bringen Sie uns heil zur ›Erde‹.“ Wtorow kehrte in den Steuerraum zurück. Das fortwährende Abbremsen schuf eine Schwerkraft im Schiff, und er konnte bequem im Sessel Platz nehmen.
Er erinnerte sich, daß der „Phaetone“ beim Sturz auf die Venus von selbst wieder abgedreht hatte. Jetzt tat er das nicht. Dabei war die Ceres ganz nahe. Komisch: Die Mechanismen des Raumschiffs ›merkten‹ also, daß dies kein Sturz war, sondern ein absichtliches Manöver, und warteten auf Kommandos.
Wtorow ließ das Schiff sich dem Planeten immer langsamer nähern. Von Zeit zu Zeit bremste er stärker. Ob es dieses Bremsen war, was den Automaten anzeigte, daß die Nähe des großen Himmelskörpers diesmal nicht gefährlich war, daß alles demWillen des Menschen gemäß erfolgte?
Wtorow schloß die Augen — so konnte er sich leichter konzentrieren — und stellte sich vor, wie das ringförmige Raumschiff langsam und vorsichtig auf der Ceres niederging.
Er war überzeugt, alles sei in Ordnung, und der „Phaetone“ werde wie immer seinen Befehl genau ausführen.
Zunächst geschah es auch so. Als er die Augen wieder öffnete und durch die Wand blickte, sah er, daß das Raumschiff niederging. Bis zur Oberfläche des Planeten waren es nur noch zwei Kilometer.
Plötzlich aber flammte unmittelbar vor ihm auf der einen Facette des Pultes ein grellgrünes Dreieck auf. Verschwand, flammte nochmals auf und erlosch. Zugleich erloschen auch die Funken in der Tiefe der Facette, und diese selbst wurde trüb, als überziehe sie sich mit einem grauen Belag.
Das Raumschiff sank merklich schneller, die Ceres kam unaufhaltsam auf sie zu. Stürzten sie etwa ab?
Noch einmal glommen die Funken am Pult auf, wurde das grüne Dreieck sichtbar. Ein heftiger Ruck schleuderte Wtorow vom Sessel und gegen die Wand.