Aber wie dem auch sei, helfen konnte nur Wtorow.
Alle Vorbereitungen waren abgeschlossen. Am zwanzigsten November senkte der erste Bohrer seinen spitzen Stachel in den gefrorenen Boden.
Das Denkmal beschloß man nicht anzurühren. Das Versteck der Phaetonen nahm wahrscheinlich einen ziemlich großen Raum ein. So bohrte man an vier Punkten rings um den Obelisken.
Die Bohrer drangen immer tiefer in den Boden der Hochfläche ein. Sie hatten bereits fünfzig Meter Tiefe erreicht.
Alles wartete auf den Augenblick, wo sie auf ein unüberwindliches Hindernis stoßen würden. Das hieße, daß das Gesuchte gefunden war. Wenn der Aufbewahrungsort aber eine Betondecke hatte wie auf der Venus, würden sich die Bohrer hindurcharbeiten und ins Leere stoßen. Die empfindlichen Geräte würden das sofort melden.
Bis zu einer Tiefe von sechzig Metern fraßen sich die Bohrer.
Alle vier.
„Wie tief sie ihren Schatz vergraben haben!“ sagte Semjonow, der die Arbeiten leitete. „Und wie positionsgenau!“ Die Bohrer wurden hochgeholt und eingehend untersucht. Die diamantene Krone war stumpf geworden. An einem der Diamanten entdeckte man winzige Spuren eines gelbgrauen Metalls.
Die Erfolgsnachricht ging mit Windeseile um die ganze Erde.
Eine von Kamow geführte wissenschaftliche Kommission traf am Südpol ein. Zu ihr gehörten unter anderen Woloschin, Melnikow und Paitschadse. Wer anders als die Kosmonauten war würdig, das Erbe der Phaetonen in Empfang zu nehmen!
Nun begann das zweite Stadium der Arbeiten. Ein Schacht mußte in den Boden getrieben werden.
Mit Radiosonden bestimmte man die Form des metallenen Hindernisses, auf das die Bohrer gestoßen waren. Es stellte sich als seitenrund heraus. Aber alle Bohrer waren in ein und derselben Tiefe stehengeblieben. Das bedeutete, daß es sich nicht um eine Kugel, sondern um einen zylinderförmigen Gegenstand handelte. Der Durchmesser betrug zwölf Meter.
Semjonow hatte recht: Der Zylinder befand sich geometrisch exakt unter dem Pol. Die Erdachse ging durch seinen Mittelpunkt.
Auch die Voraussicht der Phaetonen erwies sich als richtig.
Es wäre unmöglich gewesen, einen Schacht von sechzig Metern in den Boden zu treiben, wenn man nicht über leistungsfähige Maschinen am Pol verfügte. Der geistige Entwicklungsstand der Menschheit war also offensichtlich hoch genug, daß sie das „Erbe“ antreten konnte.
Man beschloß, den Schacht unmittelbar neben dem Obelisken anzulegen, um auf den Mittelpunkt des Zylinderdaches zu stoßen. War ein Einstieg vorhanden, mußte er sich logischerweise dort befinden.
Generatoren begannen zu arbeiten. Eine Grabmaschine, „Maulwurf“ genannt, wühlte sich in den Boden. Automatische Förderbänder brachten in ununterbrochenem Strom die losgebrochenen Schollen — Gneis, Diorit und Sandstein — an die Oberfläche.
Der Schacht wurde zusehends tiefer. Die Arbeit ging ohne Menschenkraft, allein mit Maschinen vonstatten.
Schließlich schimmerte tief unten im Licht der Scheinwerfer das gelbgraue Dach des phaetonischen Verstecks. Das Ziel war erreicht.
An einer Strickleiter kletterte Semjonow hinab. Bevor man Wtorow hinunterschickte, mußte geklärt werden, ob ein Einstieg vorhanden war oder nicht.
Semjonow entdeckte ihn auf den ersten Blick. Von dem gelbgrauen Dach hob sich deutlich ein blaues Fünfeck ab. Der Schacht war jedoch nicht genau auf den Mittelpunkt gestoßen, so daß noch nicht einmal die Hälfte des Fünfecks freilag.
Den „Maulwurf“ nochmals anzusetzen war sinnlos. Mit Vibratoren ausgerüstete Ingenieure machten sich ans Werk.
Einst war der Boden des Pols von den Phaetonen aufgelockert worden. Aber im Laufe der Jahrtausende (wer weiß, vielleicht waren sogar Jahrzehntausende darüber vergangen, manche Wissenschaftler vertraten auch die Meinung, es handele sich um Jahrmillionen) hatte sich der ursprüngliche Zustand wieder herausgebildet. Alles war erneut fest „zusammengewachsen“. Die Elektrovibratoren hatten Mühe, in die harten Schichten einzudringen. Sie kamen buchstäblich nur millimeterwetse vorwärts.
Dann war das Fünfeck ganz freigelegt.
Hätten die Menschen nichts von der Existenz der Phaetonen gewußt und hatten sie nicht ihre Erfahrungen mit dem ringförmigen Raumschiff gehabt, wären sie sicher nie darauf gekommen, wie der Einstieg zu öffnen war. So aber trafen sie auf Altvertrautes. Die Tür erwartete den gedanklichen Befehl der Menschen.
Wtorows Stunde war gekommen. In Begleitung Kamows, Melnikows und Semjonows kletterte er in den Schacht.
Der entscheidende Moment nahte.
Es war ein langer Weg gewesen bis zu diesem Augenblick.
Vor Wtorows innerem Auge tauchten noch einmal die Felsen der Arsena auf, der runde Talkessel, die steinernen Schalen der Venusianer, das ringförmige Raumschiff der Phaetonen und schließlich seine und Melnikows lange qualvolle Odyssee. Dann die vier Kugeln im Laboratorium, die geheimnisvolle Stimme — und nun standen sie hier, am Südpol, sechzig Meter unter der Erdoberfläche, und sahen die schmale Linie vor sich, die den Eingang bezeichnete.
Was befand sich dahinter?
Die Zeitungen und Zeitschriften der ganzen Welt hatten in diesen Tagen Tausende von Vermutungen und Spekulationen geäußert. In dem sorgfältig verborgenen Aufbewahrungsort der Phaetonen, am unzugänglichsten Punkt des Erdballs, erwartete man alles mögliche zu finden. Die überwiegende Mehrheit aber meinte, man werde dort „sprechende Maschinen“ und „Filme“ entdecken. Wahrscheinlich ebensolche Apparate, wie man sie von der Arsena mitgebracht hatte, nur noch größer, die alles enthielten, was die Phaetonen für notwendig erachtet hatten, den Menschen als Erbe zu hinterlassen. Und „Filme“ in der Art desjenigen, den Melnikow und Wtorow in dem fremden Raumschiff gesehen hatten.
Durch die Kombination von Film und Sprechapparat ließ sich sehr viel erklären und vermitteln.
Dabei vergaßen die Menschen freilich den gewaltigen Unterschied zwischen der Wissenschaft des Phaeton und derjenigen der Erde, besser gesagt, sie kannten ihn überhaupt noch nicht.
Alle wußten zwar, daß die Phaetonen den Menschen weit voraus gewesen waren, aber niemand hatte auch nur einen annähernden Begriff davon, wie groß die Kluft in Wahrheit war, die sie voneinander trennte.
Wtorow öffnete nicht zum erstenmal durch gedanklichen Befehl phaetonische Türen. Jetzt war er besonders aufgeregt.
Von oben strahlte ein Scheinwerfer in den Schacht. Das blaue Fünfeck war deutlich zu erkennen. Wtorow starrte es an — er wollte abwarten, bis sich sein Herz beruhigt hatte.
Semjonow, Kamow und Melnikow erschien die Zeit endlos.
Wurde Wtorow mit der Aufgabe nicht fertig?
Er schloß die Augen, beschwor das Fünfeck in seiner Vorstellung.
Und gehorsam vollzog sich das Wunder der phaetonischen Technik.
Das Metall innerhalb des Fünfecks trübte sich, verschwand zusehends, als löse es sich in einer unsichtbaren Säure auf. Schon erglänzten die gelbgrauen Stufen einer schmalen Treppe im Scheinwerferlicht. Sie führten in eine dunkle Tiefe.
Das Erbe der Phaetonen
Die vier konnten sich nicht gleich entschließen, die Treppe hinunterzusteigen, obwohl sie zweifellos eigens für sie geschaffen worden war.
Kamow kletterte wieder an die Oberfläche, um den ungeduldig wartenden Wissenschaftlern von dem bisherigen Erfolg zu berichten.
Er kehrte mit vier Gasmasken zurück.
„Man empfiehlt uns, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen“, teilte er mit. „Dort unten könnten sich schädliche Gase angesammelt haben.“
„Woher denn? Der Aufbewahrungsort war doch hermetisch abgeschlossen“, wandte Wtorow ein. „Und in ihm befindet sich die gleiche Luft wie oben auf der Erde.“
„Eben. Es ist zwar die Luft der Erde, aber die von vor etlichen hunderttausend Jahren.“