„SSSR-KS 3“ war längst den Blicken der Sternfahrer entschwunden. Sie zogen allein durch das chaotische Felsengewirr.
Wie nicht anders zu erwarten, fanden sie nirgends eine Spur von Vegetation. Überall nur nackter Fels vorwiegend grauer Farbe.
Manchmal gingen sie unter überhängenden Felsen hindurch, und es bot sich ein interessantes Bild. Kaum hatte der Schatten einen Menschen umfangen, war dieser sogleich den Blicken entschwunden, als hätte er sich im Dunkel aufgelöst. Die Ursache für diese Erscheinung war das Fehlen einer Atmosphäre, die auf der Erde die Strahlen der Sonne zerstreut und sogar im dichtesten Schatten völlige Finsternis verhindert. Der Helmscheinwerfer flammte dann auf, und durch die finstere Leere geisterte eine geheimnisvolle weiße Scheibe.
An freien Stellen war es beinahe heiß, aber wenn sie in den Schatten kamen, umfing den Körper sogleich bittere Kälte; sie mußten schleunigst die elektrische Heizung einschalten.
Oft stießen sie auf tiefe Felsspalten. Eine von ihnen zog sich so weit ins Innere eines Berges, daß die Kundschafter kehrtmachten, ehe sie ans Ende gelangt waren.
Sie gingen an keiner Felsspalte vorüber, ohne sie gründlich zu untersuchen. Die Spalten erreichten selten zwei Meter Breite, sie waren schmal und sehr tief. Ein Sternfahrer sicherte sich mit einer Schnur, die so dünn war, daß sie auf der Erde nicht einmal einen Säugling gehalten hätte, und die Kameraden ließen ihn hinunter. Bei einem solchen Abstieg entdeckte Wtorow rötliches Gestein. Er schlug ein ordentliches Stück ab und stieg wieder hinauf.
Aufmerksam betrachtete Korzewski den Fund.
„Das ist nickelhaltiges Eisen“, sagte er. „Seine Farbe beweist, daß es viel Sauerstoff enthält. Sie haben einen außerordentlich wertvollen Fund gemacht. Er bringt Licht in die Entstehung der Arsena.“ Sie legten die Beute in einen Sack. Darin lagen schon viele Gesteinsproben, und auf der Erde hätte er gewiß eine Vierteltonne gewogen. Aber die Sternfahrer hatten das Leben in einer Welt der Schwerkraft schon vergessen.
Hingerissen von ihren Untersuchungen, war ihnen entgangen, wie sich die Sonne immer mehr den Bergen zuneigte. Plötzlich überraschte sie die hereinbrechende Dunkelheit.
„Damit hätten wir rechnen müssen“, sagte Melnikow. „Die Arsena dreht sich aber ziemlich schnell um ihre Achse. Die Nacht dauert nicht lange.“ Das Gelände, durch das man sich schon bei Tage kaum vorwärts bewegen konnte, wurde bei Nacht vollends unzugänglich.
„Wir müssen die Funkstation des Schiffes verständigen“, riet Korzewski.
„Ich höre euch“, antwortete von Bord aus Paitschadse.
„Die Finsternis hat uns in eine Falle gelockt.“ Melnikow lächelte, als er sich vorstellte, mit welcher Miene der stets zu Scherzen aufgelegte Arsen Georgijewitsch ihn anhören mochte.
„Wird die Nacht lange dauern?“
„Die alten Hasen sagen, zwei Stunden. Wir liegen fast genau auf dem Pol. Die Arsena dreht sich liegend. Der Tag dauert sechs Stunden, die Nacht zwei. Ist Ihnen nicht kalt?“
„Nein. Die Anzugheizung arbeitet gut. Mir ist sogar heiß.“
„Also dann schlafen Sie gut. Raubtiere gibt es hier nicht.“
„Essen wir etwas!“ schlug Wtorow vor.
Die drei Männer drückten auf einen Knopf ihrer Schalttafeln.
Im selben Augenblick schob sich ein biegsames Röhrchen, das aus einem Thermos mit heißer Schokolade kam, zwischen ihre Lippen.
Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatten, richteten sie sich darauf ein, geduldig den Morgen abzuwarten.
Im Lautsprecher meldete sich Belopolski. Melnikow berichtete ihm ausführlich, was sie gesehen hatten. Als er das Eisen erwähnte, das Wtorow gefunden hatte, rief Konstantin Jewgenjewitsch aufgeregt: „Sauerstoff! Wenn das stimmt, entfallen die letzten Zweifel.
Das Eisen hat sich an der Luft mit Sauerstoff gesättigt. Auf einem so kleinen Asteroiden kann es aber keine Luft geben.
Also ist die Arsena ein Planetentrümmer.“
„Das denke ich auch.“ Die Nacht kam ihnen lang vor. Niemand setzte sich. Da sie fast gewichtslos waren, hatten sie gar nicht das Bedürfnis, sich zu setzen.
Schweigend standen die drei Männer auf der Spitze eines Felsens. Im Licht der Sterne zeichneten sich verschwommen ihre Schatten ab. Tiefe Stille umgab sie.
Melnikow merkte, daß Korzewski, der neben ihm stand, ihn berührte. Im kristallenen Dunkel sah er, wie der Biologe die Hand ausgestreckt hielt. Sich umdrehend, gewahrte er auf dem schwarzsamtenen Himmel, der mit unzähligen Sternen bestickt war, einen hellblauen Punkt. Daneben ein anderer, gelber Punkt.
Die Erde!
Über Dutzende Millionen Kilometer hinweg sandte der heimatliche Planet den Männern, die inmitten einer Wüstenei einsam und im Finstern auf einem Felsen standen, einen stillen Gruß.
Und plötzlich hörte Melnikow in seinem metallenen Helm Verse sprechen. Es geschah so überraschend, daß er im ersten Augenblick seinen eigenen Ohren nicht traute.
Wtorow rezitierte. Wahrscheinlich dachte er gar nicht daran, daß andere ihn hören könnten, und sprach nur für sich. Es wirkte wie eine Fieberphantasie.
Man konnte sich kaum Worte vorstellen, die weniger zu ihrer Lage gepaßt hätten. Die Verse Alexander Blocks klangen hier linkisch und töricht.
Plötzlich lachte Korzewski gereizt auf und verstummte im selben Augenblick wieder. Sein Gelächter klang noch merkwürdiger als Wtorows Rezitation. Ohne hinzusehen, spürte Melnikow, wie der junge Ingenieur zusammenzuckte.
„Fahren Sie fort!“ bat Melnikow leise.
Grenzenlose Einöde breitete sich ringsum. Als hellblauer Punkt, der nicht einmal einen Durchmesser hatte, schimmerte die unendliche ferne Erde. Fremd und unbegreiflich wie eine märchenhafte Erscheinung war das Leben vorübergehuscht.
Wie jung er noch ist! dachte Melnikow.
„Ist Ihnen nichts anderes eingefallen?“ fragte Toporkow.
„Wenn es Sie nach Kunst verlangt, kann ich für Sie das Tonband laufen lassen.“ Und plötzlich erklangen inmitten der schweigenden Nacht des Asteroiden die sanften, bezaubernden Klänge der Ouvertüre zu „Schwanensee“.
„Wo zaubern Sie das her?“ stieß Melnikow nach Minuten erschütterten Schweigens hervor. „Da haben Sie sich ja die richtige Zeit und den richtigen Ort für ein Konzert ausgesucht!“
„Ist es etwa verwerflich?“ warf Paitschadse ein.
Die drei Männer auf dem Felsen hörten, wie in der Funkstation an Bord gelacht wurde. Anscheinend hatten sich dort alle Expeditionsmitglieder versammelt. Die Sorge um die Genossen draußen im Ungewissen hatte sie ans Funkgerät getrieben, über das sie mit ihnen verbunden waren.
Melnikow, Korzewski und Wtorow empfanden warmherzige Dankbarkeit. Die Kameraden waren bei ihnen, an ihrer Seite.
In der finsteren Nacht waren sie auf dem kahlen Felsen des Planetoiden nicht allein.
Die Musik Tschaikowskis verklang.