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„Möchtet ihr noch etwas hören?“ fragte Toporkow.

„Laß es gut sein!“ sagte Melnikow. „Es wird bald Morgen. Vielen Dank!“ Nicht mehr als eine Viertelstunde war vergangen, da flammte links von ihnen am unsichtbaren Horizont überraschend ein grellweißer, gebrochener Streif auf. Es sah aus, als male ein Riese auf einem gigantischen Band eine Kurve von unbekannter Bedeutung.

Die Sonne ging auf. Selber noch unsichtbar, beschien sie schon die Gipfel der Berge und die zerklüftete Felskette.

Dann stieg sie über die Gipfel hinweg, und der neue Tag der Arsena trat in seine Rechte. Die bizarre, düstere Landschaft wirkte nach der unheimlichen Finsternis der Nacht förmlich heiter.

Korzewski sah Wtorow an.

„Wie sind Sie vorhin auf diese Idee gekommen?“

„Woran haben Sie gedacht, Gennadi Andrejewitsch?“ fragte er. Im Ton seiner Frage lag kein Spott.

Durch das Schauglas hindurch war zu erkennen, daß Wtorow tief errötete.

„Ich weiß es wahrhaftig nicht“, antwortete er sichtlich verlegen. „Es hat sich einfach ohne mein Zutun ergeben, zufällig.

Es ist natürlich töricht“, setzte er hinzu.

„Nein. Wieso ist es töricht? Ein bißchen sonderbar, ja, das stimmt, aber nicht töricht.“ Korzewski legte Wtorow flüchtig die Hand auf die Schulter.

Der Ton seiner Worte war ungewöhnlich herzlich. Melnikow blickte ihn erstaunt an.

Korzewski lächelte sonst ebenso selten wie Belopolski, er sah immer streng und zugeknöpft aus. Fast nie suchte er eine Unterhaltung, und wenn sich jemand an ihn wandte, antwortete er kurz und knapp. Sogar beim Mittag- oder beim Abendessen in der Messe schien er seinen Gedanken nachzuhängen. Unterhaltungen über die Erde, wie sie sich zwischen den Expeditionsmitgliedern immer wieder entspannen, schienen ihn gar nicht zu berühren, und er äußerte für sie keinerlei Aufgeschlossenheit.

Viele, auch Melnikow, glaubten, der polnische Gelehrte sehne sich nicht im geringsten nach der Erde und denke gar nicht an sie. Jedoch die vergangene Nacht hatte alle eines Besseren belehrt. Empfände der Biologe keine Sehnsucht nach der Erde, hätte ihn die überraschend vorgetragene Lyrik wohl nicht so tief beeindruckt.

Um einen Menschen kennenzulernen, braucht man Zeit, dachte Melnikow. Früher habe ich über Belopolski auch ganz anders gedacht als jetzt.

Er fühlte, daß Korzewski und Wtorow ihm nähergekommen, verständlicher geworden waren nach dieser im Grunde unbedeutenden Episode.

Sobald die Sonnenstrahlen die drei Männer auf dem Felsen erreicht hatten, stellten diese die nun überflüssige künstliche Heizung ab und gingen weiter.

Wieder hieß es springen, in Felsenspalten hinabsteigen und alles gründlich untersuchen, was ihnen in den Weg kam.

Nach anderthalb Stunden langten sie am Rande einer steilen Schlucht an. Auf ihrem Grunde, in einer Tiefe von fünfhundert Metern, breitete sich eine runde Talsohle, die größer war als alle bisher entdeckten. Aus der furchteinflößenden Höhe wirkte sie eben und glatt.

„Dort werden wir wohl nicht hinunterspringen können“, sagte Wtorow.

„Warum nicht?“ widersprach Melnikow. „Ohne weiteres können wir auch hier springen. Diese Tiefe entspricht etwa zwei Metern auf der Erde. Die Fallgeschwindigkeit wird am Ende des Sprunges sechs Meter pro Sekunde nicht übersteigen. Die Frage ist bloß, wie wir wieder heraufkommen. Seht einmal genau hin: Der Talkessel ist rings von Steilwänden eingefaßt.

Nicht wahr, er gleicht einem gigantischen künstlichen Brunnen.“

„Ja, wirklich“, pflichtete Korzewski ihm bei. „Eine bemerkenswerte Laune der Natur. Aber wenn wir auch, wie Sie sagen, zwei Meter in die Tiefe springen können, so wird es doch niemand von uns fertigbringen, ebenso hoch zu springen.“

„Sollen wir etwa hier abziehen, ohne diesen seltsamen Brunnen untersucht zu haben?“ Wtorow beugte sich vor und spähte auf den Grund der Schlucht hinab. Da es auf dem Asteroiden keine Luft gab, konnte man auch in der Ferne ideal sehen. „Dort sind so eigentümliche Vorsprünge. Merkwürdige Formen.“ Melnikow sah genauer hin. Er hatte gute Augen und erkannte deutlich Umrisse, die an Ruinen erinnerten.

„Schade, daß wir keine Ferngläser haben“, sagte er. „Dort ist tatsächlich etwas Besonderes.“

„Die Schnur reicht nicht“, stellte Korzewski fest.

Als sie zu ihrer Erkundung aufgebrochen waren, hatten sie vier Knäuel Schnur mitgenommen, jedes etwa achtzig Meter lang.

„Geben Sie mir Ihre Hand“, bat Wtorow.

Er beugte sich weit über den Rand des Steilhangs vor. Ohne große Anstrengung konnte Melnikow seinen fast gewichtlosen Körper halten.

Ganz in der Tiefe erblickte Wtorow, was er suchte. Die Wand war nicht ganz glatt, in halber Höhe zog sich ein steinernes Gesims entlang.

„Genau das, was wir brauchen“, sagte er, als er sich wieder aufrichtete. „Auf der Erde konnte ich mit Anlauf ohne weiteres anderthalb Meter hoch springen. In diesem Anzug hier bin ich zwar schwerer, aber ich denke, einen Meter werde ich trotzdem schaffen. Das entspräche einer Höhe von zweihundertfünfzig Metern. Das genügt.“

„Sehr gewagt“, sagte Melnikow.

„Wieso, Boris Nikolajewitsch? Nehmen wir an, es gelingt mir nicht, wieder herauszukommen. Dann gehen Sie beide zum Schiff zurück und holen ein langes Seil. Wenn Sie sich beeilen, brauchen Sie dazu nicht mehr als zwei Stunden.“

„Was wollt ihr machen?“ fragte Belopolski vom Schiff aus.

Melnikow berichtete, wobei er besonders auf die seltsame Form der Steine hinwies, die sie Ruinen ähnlich machte.

„Was sagtet ihr, wie tief ist es dort?“

„Nicht mehr als fünfhundert Meter.“

„Gut!“ entschied Belopolski. „Versuchen Sie es!“ Sie banden den Sack mit den Gesteinsproben an das Ende der Schnur des ersten Knäuels. Hielte sie diese Last, würde sie auch einen Menschen, zumal einen so schlanken wie Wtorow, halten. Er wog mit Planetenanzug nicht mehr als siebenhundert Gramm.

Der Sack sank in die Tiefe. Als das erste Knäuel abgewickelt war, verknüpften sie es mit dem Ende des zweiten. Auch noch das vierte wurde zur Hälfte benötigt, dann legte sich der Sack auf das Sims.

„Annähernd dreihundert Meter“, sagte Melnikow. „Selbst wenn die Schnur reißen sollte, bestünde keine Gefahr, daß Sie zerschmettert würden.“

„Wird schon klargehen, Boris Nikolajewitsch.“ Sie hievten den Sack empor, und an seiner Statt wurde nun Wtorow angebunden. Die Filmkamera ließ er oben, den Fotoapparat nahm er mit.

Obwohl Melnikow wußte, daß es gar nicht besonders gefährlich war, aus der Höhe von einem halben Kilometer abzustür- 72 zen, verfolgte er aufgeregt, wie Korzewski Wtorow vorsichtig hinabließ. Ein Mensch konnte sich bei einem solchen Sturz zwar nicht die Knochen brechen, doch das Schauglas in seinem Helm konnte splittern. Das aber würde für ihn den sofortigen Tod bedeuten. Zwar war es kein Glas, trotzdem… Außerdem gähnte der Abgrund so schauerlich vor ihnen, daß den Menschen keinerlei vernünftige Erwägungen über den Unterschied zwischen der Arsena und der Erde halfen — ihnen wurde schwindlig, wenn sie tief, ganz tief hinab bis zum Fuß des Felsens blickten.

Der metallene Helm Wtorows versank in der Tiefe, wurde immer kleiner.

Als der Ingenieur unter sich das Steinsims fühlte, schaltete er die Sohlenmagneten ein, suchte festen Halt und band die Schnur los. Er spähte nach oben und erblickte seine Kameraden. Die dreihundert Meter hohe Wand über ihm schien bis zu den Sternen zu reichen. Die Sonne stand ihm unmittelbar zu Häupten, und er sah den Feuerkranz ihrer Protuberanzen. Durch den Anzug hindurch spürte er ihre sengenden Strahlen.

Wtorow hatte das Gefühl, um ihn herrsche eine besondere Stille, eine andere als oben. Ihn überfiel ein Gefühl beklemmender Einsamkeit. An die Wand geschmiegt, stand er minutenlang und versuchte, Herr seiner selbst zu werden. Die düstere, schwarzweiße Landschaft wirkte feindselig.