Die erste Funkmeldung von der Venus war ein großes Ereignis, und es nahm nicht wunder, daß alle Besatzungsmitglieder außer Andrejew, der seine Arbeit nicht unterbrechen wollte, um die Erlaubnis baten, dabeisein zu dürfen. Toporkow versuchte zu protestieren, aber Belopolski griff ein, und er mußte dem allgemeinen Wunsch stattgeben.
Alle konnten in der kleinen Funkkabine nicht Platz finden; der kugelförmige Raum war durch den eingelegten provisorischen Fußboden, der ihn waagerecht halbierte, noch enger geworden. Saizew, Knjasew, Romanow und Wtorow mußten vor der offenen Tür im Korridor stehenbleiben.
Die Expeditionsmitglieder hatten das Radiogramm, das in Form eines Berichtes an den Direktor des Kosmischen Instituts und den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gehalten war, gemeinsam zusammengestellt und unterschrieben.
Igor Toporkow schaltete das Mikrofon ein. Diesmal verbot ihm niemand, alle Energiereserven einzusetzen. Eine Sendung durch die Venusatmosphäre hindurch war um vieles schwieriger als eine Sendung aus dem Raum. Da zudem keiner den genauen Standort des Schiffes im Verhältnis zur Sonne anzugeben wußte, konnte der Funker sich nicht einmal dafür verbürgen, daß die Antenne im richtigen Winkel eingestellt war. Paitschadse und Belopolski taten alles in ihren Kräften Stehende, um die Erdrichtung für Toporkow zu ermitteln, aber die dicke Wolkenschicht gestattete nur eine ungefähre Orientierung.
Genau fünf Minuten vor eins Moskauer Zeit sagte Toporkow laut und wohlakzentuiert ins Mikrofon hinein: „Hier spricht das Raumschiff!.. Hier spricht das Raumschiff ›SSSR-KS 3‹!..
Antworten! Bitte, antworten!.. Ich gehe auf Empfang!“ Die stark gebündelten Radiowellen nahmen seine Stimme auf und trugen sie über neunzig Millionen Kilometer interplanetaren Raumes hinweg bis zur fernen Erde. Fünf Minuten später sollten sie die sogenannte Himmelsstation, einen Erdtrabanten, erreichen und von dort über einen Verstärker weiter nach Kamowsk eilen.
Sobald dann auf dem gleichen Weg, aber in entgegengesetzter Richtung eine menschliche Stimme die Entfernung von der Erde zur Venus überbrückte, würde zum ersten Mal in der Geschichte ein Gespräch zwischen zwei Planeten Wirklichkeit geworden sein. Der Genius Alexander Popows und Konstantin Ziolkowskis hätten einen neuen glänzenden Sieg errungen.
Die zehn Sternfahrer waren darauf vorbereitet, die üblichen, quälend langen Minuten auf Antwort zu warten.
Plötzlich. Keine fünf Sekunden waren vergangen, erklang im Lautsprecher eine Stimme … Toporkows Stimme.
„Hier spricht das Raumschiff … Hier spricht das Raumschiff ›SSSR-KS 3‹!.. Antworten! Bitte, antworten!.. Ich gehe auf Empfang!“ Ehe die Männer begriffen hatten, was geschehen war, erklang aufs neue, allerdings schon bedeutend leiser, dieselbe Stimme.
„Hier spricht das Raumschiff!.. Hier spricht das Raumschiff ›SSSR-KS3‹!..“ Das wiederholte sich mehrere Male. Immer leiser.
Dann wurde es still.
Erbleichend griff der Ingenieur instinktiv nach den Stöpseln, sah jedoch im selben Augenblick die Sinnlosigkeit seines Versuches ein, winkte hoffnungslos ab und blickte flehentlich Belopolski an, als könnte der ihm helfen.
In der Funkkabine trat bedrückendes Schweigen ein. Es gab keinen Zweifel — die Erde konnte die Stimme der Venus nicht hören. Die Funkverbindung war abgebrochen. Im Zweikampf zwischen menschlicher Technik und den Naturgewalten hatte diesmal die Natur den Sieg davongetragen. Und obwohl dieser Sieg nur vorübergehend war, fiel es den Menschen schwer, sich damit abzufinden.
Die Möglichkeit, wieder zu starten, die Venusatmosphäre zu verlassen und von jenseits ihrer Grenzen der Erde zu berichten, schied aus. Es war für das Schiff in der schmalen Bucht nicht so einfach, zum Start zu wenden. Die Steilufer und der hundert Meter hohe Wald störten. Es würde viel Zeit kosten, die Gegend in eine Art Raketenstartplatz zu verwandeln, von dem eine Maschine mit den Ausmaßen von „SSSR-KS 3“ starten konnte. Desgleichen war es nicht möglich, die kleinen, an Bord mitgeführten Düsenflugzeuge zu verwenden. Sie waren nicht für große Höhen gebaut und konnten daher die schwere Last der Funkstation sowie die massive Antenne nicht in die oberen Schichten der Atmosphäre befördern.
Es blieb den Männern nichts anderes übrig, als sich dem Schicksal zu beugen. Die Menschen auf der Erde würden von dem Raumschiff nichts wieder hören, bevor nicht die Arbeiten auf der Venus beendet waren und das Schiff die Rückreise angetreten hatte. Freunde und Angehörige waren zu quälender Ungewißheit verdammt.
„Haben Sie die ganze Energie eingeschaltet?“ fragte Belopolski in das Schweigen hinein.
Seine Stimme klang nüchtern und ruhig wie immer. Ihm beleitete anscheinend nur die technische Seite der Frage Sorgen.
„Ja, auch die letzten Reserven.“ Igor Dmitrijewitsch stieß einen schweren Seufzer aus.
Belopolskis Miene verdüsterte sich, aber er sagte nichts mehr.
Alle schwiegen.
Paitschadse machte dem drückenden Schweigen ein Ende.
„Laßt den Kopf nicht hängen, Freunde!“ sagte er. „Die Genossen auf der Erde werden sich schon denken können, warum sie nichts von uns hören. Mit diesem unerfreulichen Umstand haben wir ja schon vorher gerechnet.“ Die Unterbrechung der Funkverbindung konnte diejenigen, die auf der Erde Nachricht von dem Raumschiff erwarteten, tatsachlich nicht sonderlich überraschen. Wie Paitschadse sagte, hatte man schon vor dem Start damit gerechnet. Die Erfahrungen im Funkverkehr zwischen dem Mond und den Erdtrabanten hatten längst gelehrt, daß sich die Radiowellen mitunter sträuben, ionisierte Schichten zu durchlaufen, wie sie in der Atmosphäre durch Sonneneinstrahlung geschaffen werden. Bei verstärkter Sonnentätigkeit war die Verbindung mit den Himmelsstationen ausgefallen. Die Heaviside-Schicht, die sich neunzig bis hundertdreißig Kilometer über der Erdoberfläche befindet, bildet eine schwer durchdringbare Barriere; nur Ultrakurzwellen können sie überwinden und in den interplanetaren Raum gelangen. Und auch diese nur mit Hilfe von Richtantennen. Es galt als wahrscheinlich, daß auf der Venus, die der Sonne bedeutend näher ist als die Erde, die Sonneneinstrahlung noch weitaus aktiver war und in der dortigen Atmosphäre eine mächtige ionisierende Schicht bildet, die sogar für Ultra-Hochfrequenzwellen unüberwindlich sein konnte — trotz der ganzen Kraft der Generatoren, die „SSSR-KS 3“ mit sich führte. Manche, besonders Toporkow, glaubten, es würde dennoch glücken, aber die Skeptiker hatten recht behalten. Als die Radiowellen auf die unsichtbare Hülle stießen, mit der die Sonne die Schwester der Erde umgibt, wurden sie, kaum daß sie die Antenne des Raumschiffes verlassen hatten, auf die Venus zurückgeworfen, die sie abermals hinaufstrahlte. So umkreisten die Wellen, allmählich schwächer werdend, mehrmals den ganzen Planeten, bis die Energie erschöpft war.
Jedesmal, wenn das Radioecho die Antenne des Schiffes wieder erreichte, gab es das nicht beförderte Radiogramm zurück.
„Eins verstehe ich nicht“, sagte Toporkow, als er mit Belopolski allein war, „wie ist es zu erklären, daß wir das Echo so gut hören konnten? Die Laute hätten doch ineinanderfließen und das eine Echo hätte sich mit dem anderen mischen müssen.
Der Umfang der Venus beträgt doch bloß siebenunddreißigtausend Kilometer. Um diese Strecke zurückzulegen, braucht die Radiowelle eine zehntel Sekunde.“
„Darüber habe ich mir auch sofort Gedanken gemacht“, antwortete Belopolski. „Offenbar kommen die Radiowellen in der Atmosphäre der Venus sehr langsam vorwärts. Das ist ein neues Rätsel, das wir lösen müssen. Es mag Sie darüber hinwegtrösten, daß wir nicht mit der Erde sprechen können.“
„Aber wäre es nicht möglich…“
„Nein!“ entgegnete Belopolski schroff. „Wir dürfen nicht daran denken. Das Schiff darf jetzt nicht gestartet werden. Wir werden jeden Tag Radiogramme zur Erde schicken. Vielleicht gelingt es, durch glückliche Umstände trotzdem noch aus der Gefangenschaft auszubrechen.“