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Sie hatte auf dem Weg dorthin die Venus nicht besuchen können.

Die englischen, französischen und schwedischen Raumschiffe hatten alle auf der Erde geankert, als „SSSR-KS 3“ seine Fahrt antrat, und über den Bau von Raumschiffen in anderen Ländern war nichts bekanntgeworden.

Belopolski nahm Wtorow das Lineal aus der Hand und betrachtete es aufmerksam.

„Das ist nicht auf der Erde gemacht worden“, sagte er. „Die Einteilung entspricht keinem auf der Erde gebräuchlichen Maßsystem. Wir kennen die Maßeinheit nicht, die der Herstellung dieses Instruments zugrunde liegt. Wenn Kosmonauten das Lineal verloren haben, so sind sie nicht von der Erde gekommen.“ Seine Begleiter sahen sich schweigend an.

Nicht von der Erde?!

Hatten etwa Bewohner einer anderen Welt den Planeten besucht? Vielleicht lag ihr Schiff immer noch auf der Venus? Das Lineal schwamm in einer Bucht, in die es die Meereswellen nicht hineingetragen haben konnten. Also befand sich dieses Raumschiff vielleicht ganz in der Nähe.

Alle drehten sich fast gleichzeitig zum Ufer um, als erwarteten sie, aus dem orangeroten Dickicht würde sogleich ein fremdartiges Geschöpf heraustreten, ein Besucher von einem anderen Planeten.

Doch die Umgebung lag unverändert, niemand kam, und nichts rührte sich auf dem steilen Hang.

An Bord des Raumschiffes hatten die Genossen anscheinend diese Unterhaltung mitgehört, aber sie konnten sich kein Bild daraus machen. Melnikow fragte, was vorgefallen sei, und ihm wurde ausführlich berichtet.

Niemand dachte an die weitere Erforschung der Bucht. Das Boot kehrte um. Alle fieberten vor Ungeduld, den überraschenden Fund gründlich zu untersuchen und genau zu bestimmen, woraus er hergestellt war. Das Lineal schien aus Holz zu sein, aber das mußte genau geprüft werden.

Die Prozedur der Einschleusung in das Schiff kam den vier Männern diesmal quälend lang vor.

Sobald sich die Außentüren geschlossen hatten, begann ein Luftfilter zu arbeiten. Die aus der Kammer abgesaugte Luft wurde in einen Doppelbehälter geleitet, der Spiritus nebst einer Beimischung von Schwefelsäure enthielt, und kehrte, nachdem sie noch einen Filter mit aktivierter Kohle durchlaufen hatte, von Formaldehyd gereinigt in die Kammer zurück. Diese Operation dauerte zehn Minuten. Anschließend mußten die Kombinationen, die Helme und die Spezialschuhe ausgezogen und in einen hermetisch verschließbaren Kasten gelegt werden. Dann wurde abermals die Luft fünf Minuten lang gefiltert. Erst nach diesen Vorsichtsmaßnahmen konnten die Türen geöffnet werden und durfte man das Innere des Schiffes betreten.

Die ganze Besatzung versammelte sich im Laboratorium.

Belopolski legte das Lineal auf den Tisch.

Früher waren Meteoriten lange Zeit das einzige gewesen, was an außerirdischen Objekten wissenschaftlich untersucht werden konnte. Seitdem die Epoche der interplanetaren Flüge angebrochen war, hatten die Wissenschaftler auch zahlreiche Objekte anderer Art erhalten: Gesteinsproben, die auf dem Mond gesammelt worden waren, Proben der Flora und Fauna des Mars.

Nicht mehr der zufällige Absturz eines Meteoriten, sondern die planmäßige, bewußte Arbeit des Menschen lieferte nunmehr das Material zum Studium des Lebens im All.

Aber noch nie hatte ein Mensch einen Gegenstand in seinen Händen gehalten, der auf einem anderen Planeten hergestellt worden war.

Es wäre denkbar gewesen, daß das Stück Holz durch ein Zusammentreffen unwahrscheinlicher Umstände irgendwo abgesplittert war und dabei die Form eines langgestreckten Rechtecks, eines Lineals angenommen hatte. Aber kein Zufall konnte auf den Rand eines solchen Rechtecks ebenmäßige, voneinander gleich weit entfernte Maßzeichen eingetragen haben. Das konnte nur ein vernünftiges Geschöpf tun, das wenigstens mit den Anfangsgründen der Mathematik vertraut war.

„Wie merkwürdig“, sagte Knjasew, „daß wir, kaum daß wir die Venus betreten haben, sogleich auf ein neues Geheimnis stoßen.“ Es war in der Tat merkwürdig. Als hätte jemand absichtlich das Lineal weggeworfen, um die Gäste darauf aufmerksam zu machen, daß der Planet seine eigenen Herren habe und bewohnt sei.

„Ich bin trotzdem davon überzeugt, daß es auf der Venus keine vernünftigen Wesen gibt“, sagte Belopolski.

„Aber woher ist dann dieses Lineal gekommen?“ Konstantin Jewgenjewitsch zuckte die Achseln. „Das weiß ich ebensowenig wie Sie.“

„Ist das ärgerlich!“ sagte Toporkow. „Wenn wir Funkverbindung hätten…“ Niemand antwortete, aber alle beseelte der gleiche Gedanke.

Der geheimnisvolle Fund würde auf der Erde eine Sensation auslösen. Doch da die Verbindung abgerissen war, konnte niemand etwas davon erfahren, bevor das Schiff zurückkehrte.

Saizew maß sorgsam die Abstände zwischen den angezeichneten Maßstrichen. Sie waren einunddreißig und ein viertel Millimeter voneinander entfernt.

Belopolski hatte recht — ein solches Längenmaß gab es auf der Erde nicht. War dies nun die grundlegende Maßeinheit, die bei den Herstellern des Lineals galt, oder war es nur das Teil einer größeren? Niemand wußte es zu sagen.

Balandin und Andrejew wurden beauftragt, den Fund zu untersuchen. Sie machten sich sogleich an die Arbeit.

„Versuchen Sie festzustellen, wie lange das Lineal im Wasser gelegen hat“, bat Belopolski.

Die Sternfahrer beschlossen, die unterbrochene Erkundung fortzusetzen. An Stelle Balandins wurde Toporkow der Gruppe zugeteilt.

Da das Steilufer so hoch und offenbar in seiner ganzen Ausdehnung unzugänglich war, kamen Belopolski und Melnikow überein, das Raumschiff dicht ans Ufer zu bugsieren. Das würde keine Schwierigkeiten bereiten; das Wasser war tief genug, und die Kraft der Elektromotoren von zwei Booten reichte aus, sogar solch ein gewaltiges Schiff ins Schlepp zu nehmen.

Romanow und Knjasew stiegen durch verschiedene Luftschleusen aus und gingen in die Boote. Der eine fuhr zum Bug des Schiffes, der andere zum Heck. Sie befestigten an eigens zu diesem Zweck, angebrachten starken Ringen Schlepptrossen und ließen auf ein Kommando vom Steuerpult her ihre Motoren gleichzeitig mit voller Kraft laufen.

Der Riesenwal bewegte sich langsam von der Stelle und schwamm majestätisch auf das nahe Ufer zu. Als er genug Fahrt machte, wurden die Trossen ausgehakt, und die Boote entfernten sich ein gutes Stück. Das Schiff fuhr bedächtig. Aber es war so massig, daß es mit Wucht gegen den Steilhang stieß. Zwei Wellen rollten durch die Bucht, und am gegenüberliegenden Ufer rauschte schäumende Brandung auf.

Die Bordmechaniker, Saizew und Knjasew, ergriffen die günstige Gelegenheit. Als sie den mit einem Geländer versehenen Landesteg herangeschleppt hatten, schlüpften sie mit der Expeditionsgruppe zusammen in die Ausgangsschleuse, um den Steg auch selber auszubringen. Wenigstens für kurze Zeit wollten sie gleich den anderen ihren Fuß auf den Boden der Venus setzen.

Als alle ihre Kombinationen angezogen und den Helm aufgesetzt hatten, stellte Belopolski die traditionelle Frage, ob die Luftzufuhr funktioniere.

Die Tür öffnete sich.

Sträucher und Bäume waren jetzt so nahe, daß jeder sogleich Einzelheiten entdeckte, die ihm vorher nicht aufgefallen waren.

Während die Mechaniker mit Wtorows Hilfe den Landesteg auszubringen versuchten, musterten Belopolski, Korzewski und Toporkow forschend die Umgebung.

Die ursprüngliche Vermutung, daß der Wald der Venus schwer zugänglich sei, erwies sich als richtig. Wie eine bequeme Allee erschienen die tropischen Urwälder der Erde im Vergleich mit dem chaotischen Dickicht aus Büschen, Lianen und Bäumen, zwischen denen sich am Boden ein dicker Teppich blutroter bandähnlicher Gewächse mit meterlangen, sehr scharfen Dornen breitete.

Überall drängten sich durch diesen Teppich sonderbare fleischige Röhren, an denen bunte Fransen hingen.

Genau gegenüber der Ausgangsschleuse stand ein großer Busch. Es war sogleich klar, daß dieses gelbe Gewächs nichts mit den Pflanzen der Erde gemein hatte. Für sein Äußeres paßte am besten der Name, den Melnikow ihm gegeben hatte: Es war ein gigantischer Schwamm, und er hatte wie die Schwämme auf der Erde einen porösen Leib mit zahlreichen kleinen Öffnungen, zwischen denen nach allen Seiten Nadeln abstanden.