Die Baumstämme hatten keine Rinde. Glatt und zartrosa getönt, schienen sie fast durchsichtig zu sein. Wie auf einem Aquarell ging das Rosa der Stämme unmerklich in das Rot und Orange der Zweige über. Die grellroten biegsamen Lianen mit ihren schwarzen Ringen wirkten aus der Nähe nicht mehr glatt.
Ihre porigen Körper waren mit zahllosen Öffnungen versehen.
Plötzlich umklammerte Korzewski den Arm Belopolskis.
„Sehen Sie — dort!“ Er wies auf den Stamm des nächsten Baumes.
Die grellrote Liane, die die unteren Zweige des Riesen fest umschlungen hielt, bewegte sich kaum merklich. Es sah aus, als zöge sich der lange, elastische Leib des Korallenaspidiums gleichmäßig zusammen und atme wieder ein.
„Das kommt durch den Wind“, raunte Belopolski.
Der Biologe schüttelte verneinend den Kopf.
„Hier gibt es keinen Wind“, flüsterte er.
Die Mechaniker und Wtorow unterbrachen die Arbeit am Landesteg. Gespannt beobachteten die Astronauten ihre fremde Umgebung.
„Das ist ja Leben! Überall wimmelt es von Leben!“ stieß Korzewski atemlos hervor.
Alle sahen nun, daß der Wald voller Bewegung war.
Die zahllosen angeblichen Lianen atmeten, und auch die bunten Fransen an den seltsamen Röhren schwangen sich wiegend hin und her. Von Zeit zu Zeit hoben sich langsam einige ihrer Härchen wie Fühler, die Beute suchten. Im Innern der rosafarbenen Stämme stiegen dunkle Punkte nach oben wie etwa im Wasser eine Kette von Luftbläschen. Die roten Bänder, die sich am Boden breiteten, regten sich ebenfalls. Manchmal schien elektrischer Strom in ihnen zu pulsen — krampfhaft zuckten dann ihre Stacheln, und die Bänder krümmten sich wie im Schmerz und erstarrten alsdann wieder in der neuen Lage.
„Dort kann kein Mensch gehen“, erklärte Wtorow.
Der Boden, dem all diese eigentümlichen Gewächse entsprossen, war gar nicht zu sehen. Bis zum Rand des Steilhanges breitete sich der lebende Teppich.
„Und wir haben gedacht, auf der Venus gäbe es kein Leben“, bemerkte Balandin, „aber sehen Sie nur — da liegt es vor uns…“
„Ich verstehe das nicht“, sagte Korzewski plötzlich. „Dies sind doch Seetiere, die im Wasser leben müßten. Sehen Sie sich die fleischigen Röhrchen mit dem Fühlerkranz an! Das sind haargenau irdische Aktinien. Ich bin überzeugt, daß sie eine Mundoffnung besitzen. Aber was für eine Nahrung können sie aus der Luft beziehen? Und diese langen Nadeln? Das sind typische Seetierorganismen. Und die Korallenbäume? Wir stehen sozusagen auf einem Meeresgrund, der sich plötzlich aus den Fluten gehoben hat. Auch die Schwämme — woher sollten sie auf dem Trockenen kommen? Vielleicht sind die Wolkenbrüche daran schuld?“ fragte er plötzlich sich selbst. „Nein, nein! Die würden nicht genügen. Diese ganze Gegend muß vor gar nicht langer Zeit noch von einem Ozean bedeckt gewesen sein.“
„Aber warum ist der Ozean plötzlich versiegt?“ fragte Toporkow.
Belopolski hatte die Brauen zusammengezogen und dachte angestrengt nach. Korzewskis Worte vom aufgetauchten Meeresgrund hatten in ihm einen Gedanken wachgerufen, der ihm aber sogleich wieder entschlüpft war, und er versuchte sich nun auf ihn zu besinnen. Toporkows Frage diente seinem Gedächtnis als Anstoß.
„Jetzt weiß ich es!“ rief er aus. „Ganz bestimmt ist es so! Es ist Ebbe eingetreten!“ erklärte er seinen Gefährten, die ihn verdutzt ansahen. „Die Sonne steht zur Zeit am östlichen Horizont. Sie hat die Ebbe bewirkt. In der Nacht wird dieses Ufer wieder von der Flut überspült werden.“
„Das klingt wie eine Entschlüsselung des Geheimnisses“, sagte Korzewski. „Eine derartige Deutung könnte vieles erklaren, denn die Nacht dauert auf der Venus sehr lange.“
„Also wird hier gegen Abend wieder Ozean sein?“ fragte Toporkow. „Was werden wir dann tun?“
„Es wird dunkel!“ rief Knjasew warnend.
Ein Gewitter nahte.
Alle zogen sich schleunigst in die Luftschleuse zurück, und Belopolski schloß die Tür. Kaum hatte er das getan, als heftiger Donnerschlag und Geknatter, die in ein gleichbleibendes Grollen übergingen, anzeigten, daß sich der nächste Regenguß über das Raumschiff ergoß.
„Die Gewitter lassen uns keine Ruhe“, sagte Belopolski.
„Wenn uns ein Gewitter unter freiem Himmel überraschen sollte, wird es uns schlecht ergehen.“ Niemand antwortete auf diese berechtigte Bemerkung Wtorows.
„Wo seid ihr?“ fragte Melnikow von der Zentrale aus.
„In der Luftschleuse. Wird es noch nicht wieder heller?“
„Nichts zu sehen. Die Bildschirme sind schwarz.“ Geduldig mußten die Männer das Ende des Gewitters abwarten. Es lohnte nicht, noch einmal die lange Prozedur über sich ergehen zu lassen, die mit dem Eintritt ins Schiffsinnere verbunden war. Das Gewitter konnte jeden Augenblick abziehen.
Tatsächlich war es zwanzig Minuten später vorüber. Die Tür wurde wieder geöffnet.
„Was mich am meisten wundert“, sagte Korzewski, „ist der Umstand, daß man nirgends Pfützen sieht. Eine derartige Sintflut müßte doch Spuren hinterlassen.“
„Die Pfützen könnten unter diesem roten Teppich stehen“, äußerte Toporkow unsicher. „Vielleicht ist dort ein richtiger Sumpf.“ Das Bild der Landschaft hatte sich nicht verändert, aber es fiel sofort auf, daß sich die vorher kaum wahrnehmbare Bewegung am Ufer verstärkt hatte. Häufiger atmeten die Lianen, schneller bewegten sich die Härchen der Aktinien, und krampfhafter wanden sich die Bänder am Boden.
„Ein weiterer Beweis dafür, daß die Heimat dieser Organismen das Wasser ist!“ Der Biologe triumphierte. „Sie haben sich nicht getäuscht, Konstantin Jewgenjewitsch!“
„Na, dann gehen wir einmal an Land!“
„Einen Augenblick!“ bat Wtorow, als er sah, daß Belopolski den Landesteg betreten wollte. „Erlauben Sie, daß wir Sie für alle Fälle anseilen.“
„Ja, das wäre angebracht.“
„Gennadi Andrejewitsch denkt als Alpinist immer an solchen Zauber“, sagte Toporkow lächelnd.
Vom Ende eines starken Seils umwickelt, das Wtorow in seinen muskulösen Händen hielt, schritt Belopolski über den Landesteg. Er blieb einen Augenblick stehen und überlegte, wohin er zuerst treten wollte. Behutsam setzte er den Fuß zwischen zwei rote Bänder. Dann tat er einen weiteren Schritt.
„Wasser ist nicht hier“, sagte er. Im selben Augenblick versank er auch schon in der Tiefe.
Das Seil spannte sich ruckartig. Wtorow wankte keine Sekunde. Mit wenigen Handgriffen zog er Belopolski auf den Steg zurück.
„Da sehen Sie, wozu solch ein Zauber gut ist“, sagte er spöttisch zu Toporkow.
Korzewski half Konstantin Jewgenjewitsch auf die Beine. Die Hose seiner Kombination war etwas beschmiert, aber völlig trocken. Also war Belopolski nicht ins Wasser gefallen.
„Meine Sohle ist auf der harten, schrägen, festen Oberfläche abgerutscht“, sagte er. „Ich glaube, der Boden ist hier porös.
Das erklärt, warum sich das Wasser nicht staut. Es läuft durch die Erdporen in die Bucht ab.“
„Lassen Sie mich einmal versuchen.“
„Nein, ich gehe.“ Er trat abermals an den Rand des Laufsteges und tastete mit der Spitze seines Elektrovibrators den Boden ab.
„Halten Sie gut fest!“ bat Toporkow besorgt.
Wtorow sah ihn grienend an.
Sicher, wenn auch sehr langsam, schritt Belopolski voran und untersuchte sorgfältig den Weg vor sich. Oft versank sein Vibrator in der Tiefe. Daran ließ sich erkennen, daß er auf einem unsichtbaren Pfad schritt, der zwischen Gruben von unbekannter Tiefe verlief. Vielleicht reichten sie gar bis zur Oberfläche der Bucht hinab.