Es blieb nur zu vermuten, daß alle diese Tiere mit der Ebbe auf die hohe See hinausschwammen.
Aber trotz des erfolglosen Fischfangversuches konnten die Sternfahrer mit den Ergebnissen ihrer Arbeit zufrieden sein. Sie hatten innerhalb von sechs Tagen Entdeckungen gemacht, die alle bisherigen Vorstellungen vom Leben auf diesem Planeten, zumindest was die Ozeane betraf, über den Haufen warfen. Die Korallen, die Schwämme und die vorerst noch rätselhaften „Bänder“ waren keine embryonalen Lebenskeime mehr, sondern voll ausgebildete Organismen mit einer komplizierten Struktur.
Und die unbekannten Fische, die ihnen als Nahrung dienten, mußten auf einer noch höheren Stufe der Evolution stehen.
Die Korallen und Schwämme auf der Venus glichen denen auf der Erde, aber über diesen auf den ersten Blick merkwürdig scheinenden Umstand wunderten sich weder Balandin noch Korzewski. Das Wasser im Ozean war gewöhnliches Wasser und unterschied sich nicht von dem Meerwasser der Erde. Auf Planeten, die einander nahe waren, mußte das Leben in annähernd gleicher Weise entstehen und konnte bei den niederen Formen sogar miteinander identisch sein. Der sehr schwache Formalingehalt in den Gewässern der Venus konnte die Entfaltung des Lebens nicht behindern.
Das größte Rätsel, für das sich vorläufig keine wissenschaftliche Erklärung fand, blieben die seltsamen Eigenschaften der grellroten Lianen. Sie gehörten zweifellos zur Pflanzenwelt, erinnerten aber dadurch, daß sie bewußt auf Berührung reagierten, an Tiere. Es gelang den Forschern, zwei dieser vermeintlichen Lianen vom Stamm zu lösen, ohne sie zu zerstückeln, und in einem Behälter mit Spiritus zu verschließen. Die rätselhaften Pflanzentiere sollten auf der Erde gründlich studiert werden.
Selbstverständlich beschäftigte auch das geheimnisvolle Lineal nach wie vor die Gedanken der Expeditionsmitglieder und verursachte hitzige Streitgespräche. Daß es künstlich entstanden war, konnte nicht bezweifelt werden. Folglich gab es entweder vernunftige Lebewesen auf der Venus, oder solche Wesen hatten vor der Landung von „SSSR-KS 3“ die Venus besucht. Die letztere Vermutung wurde von Melnikow und Korzewski unterstutzt. Professor Balandin dagegen behauptete, das Lineal sei von Bewohnern der Venus hergestellt und verloren worden.
„Wir werden ihnen auf dem Kontinent sicher begegnen“, sagte er.
Belopolski äußerte seine Zweifel nicht, und daher erfuhr niemand seine Gedanken.
Überall versuchten die Astronauten Spuren vernünftiger Lebewesen zu entdecken, aber sie fanden nichts. Anscheinend war die Insel nie bewohnt gewesen. Wenigstens nicht in der Gegend, in der das Schiff lag. Alle, die den Gedanken verfochten, daß die Venus bewohnt sei, setzten große Hoffnung auf die vorbereitete Luftaufklärung. Vielleicht würde es vom Flugzeug aus gelingen, Spuren vernunftgelenkten Schaffens zu entdecken, die sich auch über die letzte Überflutung der Insel durch den Ozean hinweg erhalten hatten. Das Lineal konnte nicht vom Himmel gefallen sein, jemand mußte es hergestellt und verloren haben, mochte das auch schon ein Jahr zurückliegen — es war geschehen und bezeugte unwiderleglich das Wirken von Vernunft.
„Auf der Insel kann es keine Bauwerke geben“, widersprach ihnen Korzewski, „und zwar deshalb nicht, weil sie zu bestimmten Zeiten regelmäßig im Wasser versinkt. Allem Anschein nach ist die Venus für die Herausbildung vernünftigen Lebens ungeeignet. Für mich steht jedenfalls fest, daß dieser Planet keine vernunftbegabten Bewohner besitzt. Das Lineal haben Kosmonauten verloren.“
„Dann müßten wir Spuren von der Landung eines Raumschiffes finden.“
„Es kann weit von hier gelandet sein.“
„Und wie ist dann das Lineal in die Bucht geraten?“
„Die Wellen der Flut und der Wind haben es hierhergetrieben.“
„Wenn tatsächlich von einem anderen Planetensystem aus ein Raumschiff hierhergeflogen ist“, sagte Balandin, „dann hätte es auch unsere Erde angesteuert.“
„Nicht unbedingt“, entgegnete Melnikow, „es ist nicht so einfach, einen Planeten zu finden, noch dazu solch einen kleinen.
Sie sind zufällig auf die Venus gestoßen, haben die Erde nicht bemerkt und dann den Rückflug in ihre Heimat angetreten.“ Alle diese Auseinandersetzungen waren im Grunde völlig zwecklos. Beide Seiten konnten mit gleichviel Grund annehmen, sie hätten recht. Das Rätsel des Lineals ließ sich nicht lösen, bevor der Planet nicht eingehend erforscht war.
Ähnlich wie Belopolski zog auch Paitschadse es vor, zu schweigen. Wenn er geradezu gefragt wurde, gab er ausweichende Antworten wie: „Das mag schon sein“ oder „Das ist kaum anzunehmen.“
Am Sechzehnten sollte der erste Probeflug über der Insel unternommen werden. Die Männer warteten, bis es für Venusverhältnisse etwas aufklarte, dann schoben sie das Flugzeug ins Wasser.
Melnikow saß am Steuerknüppel, Wtorow hatte sich in einen Passagiersessel gesetzt. Die Triebwerke heulten auf, und der silbergleißende Vogel glitt, einen Schaumstreif hinter sich herziehend, über die spiegelglatten Wasser und erhob sich in die Lüfte.
Auf Wtorows Bitte hin kreiste Melnikow einmal über dem Fjord. Gennadi Andrejewitsch wollte das Schiff fotografieren, wie es unten am Ufer lag. Die lange stählerne Zigarre mit der komplizierten Richtantenne, die das Vorschiff überragte, war deutlich zu erkennen. Toporkow sandte jeden Tag Funksprüche an die Erde, und die Antenne wurde gar nicht mehr eingefahren.
Nebel behinderte die Sicht. Trotzdem konnte man noch viele Einzelheiten der Landschaft erkennen. Melnikow dachte daran, daß sie in ein paar Tagen die Insel nicht mehr von oben würden betrachten können. Der Dunst, der von der Wasseroberfläche aufstieg, verdichtete sich von Stunde zu Stunde.
Um die Genossen unten auf dem Schiff zu grüßen, schaukelte das Flugzeug mit den Tragflächen, dann stieg es auf dreihundert Meter. Von dieser Höhe aus konnte man die ganze Insel gut überblicken. Sie hatte die Form eines fast rechtwinkligen Dreiecks.
Der Wind trieb nach wie vor düstere Wolken vor sich her, überall wälzten sich schwarze Regenwände und zuckten Blitze. Vom Schiff aus wurde gefunkt, daß Gewitterfronten noch nicht in bedrohlicher Nähe seien, sich aber von allen Seiten der Insel zu nähern schienen.
Das Flugzeug flog an der Küste entlang. Zur Linken breitete sich der mit weißen Wellenkämmen bedeckte unendliche Ozean, zur Rechten der orangerote vermeintliche Wald, hinter dem wiederum die Wasserebene schimmerte.
Das Ufer sah die ganze Zeit gleich aus. Hoch, abschüssig, von Korallenbäumen gekrönt. Viele Buchten schnitten ins Land. Sie waren gewöhnlich sehr schmal und erinnerten an Erdspalten.
Die Geschwindigkeit war zu groß, als daß die beiden Männer im Flugzeug Einzelheiten hätten ausmachen können. Ein Hubschrauber wäre für ihre Zwecke nützlicher gewesen, aber mit solchen speziell zur Geländeerkundung geeigneten Maschinen war die Expedition nicht ausgerüstet; es wäre für einen Hubschrauber auch allzu gefährlich gewesen, mit einer Gewitterfront zusammenzutreffen. Seine relativ geringe Wendigkeit und Geschwindigkeit sowie die langen Blätter seiner Luftschrauben konnten ihm leicht zum Verhängnis werden. Ein schnelles, manövrierfähiges Düsenflugzeug ohne Luftschraube war unter den Bedingungen der Venus am sichersten.
Als die Maschine die Südspitze der Insel erreicht hatte, drehte Melnikow auf Kurs Nordwest und folgte weiter den Windungen der Inselküste.
Das durchsichtige Plastedach bot für das Fotografieren kein Hindernis, und Wtorow machte eine Aufnahme nach der anderen. Der Wind kam nun von vorn. Seine Stärke ließ sich am Sinken der Fluggeschwindigkeit ablesen.
Als weißer Streifen war in der Tiefe die Brandung zu erkennen. Die vom Wind gepeitschten Wellen stürmten grimmig gegen das Steilufer und zerschellten zu diamantenem Staub.