Als sie fast vier Stunden stromaufwärts gefahren waren, übermittelten die Hydrographen ein fernes Dröhnen an das Steuerpult. Es klang so, als näherte das Boot sich einem Wasserfall.
Das Boot fuhr langsamer.
Die Ufer rückten immer näher zusammen. Der Fluß verengte sich, und die Strömung wurde reißender.
Ungefähr drei Kilometer fuhr das Boot noch vorsichtig weiter. Das Gedröhn wurde immer lauter. Schließlich erblickten die Männer seinen Ursprung.
Eine Barriere aus riesigen Felsblöcken versperrte den Fluß, der an dieser Stelle höchstens dreihundert Meter breit war.
Brüllend schoß das Wasser zwischen den Felsblöcken hindurch und tanzte in tausend schäumenden Strudeln. Sprühender Gischt verhüllte die nähere Umgebung mit Nebelschleiern.
„Gewöhnliche Stromschnellen“, murrte Melnikow.
Die Genossen hörten aus seinen Worten die Enttäuschung.
Was hatte er zu sehen gehofft?
„Damit ist unsere Flußfahrt zu Ende“, sagte Balandin. „Hier kommen wir mit unserem Boot nicht hindurch.“
„Ich finde, wir können gerade hier am besten an Land gehen.
Was meinen Sie dazu, Boris Nikolajewitsch?“ fragte Saizew.
„Ja, gerade hier“, antwortete Melnikow und betonte besonders das letzte Wort.
Er schien sehr unzufrieden zu sein.
Saizew steuerte auf das Nordufer zu, das bedeutend flacher als das Südufer war. Die Maschinen machten nur noch langsame Fahrt, so daß das Boot von der Strömung stark abgetrieben wurde.
Der Wald reichte fast bis an den Fluß, nur ein schmaler Wiesenhang trennte ihn vom Wasser.
„Zwei Mann gehen an Land“, sagte Melnikow. „Sinowi Serapionowitsch und ich. Den Filmapparat nehme ich selber mit“, setzte er hinzu, als er sah, daß Wtorow etwas einwenden wollte.
Gennadi Andrejewitsch seufzte nur tief. Zu seinem Kummer beherrschte der Stellvertretende Expeditionsleiter die Kunst des Filmens ausgezeichnet. Er mußte sich stillschweigend fügen.
Es gelang, das Boot dicht ans Ufer zu fahren. Für ein Schiff, das nicht mehr als anderthalb Meter Tiefgang hatte, bedeutete das keine Schwierigkeit.
„Behalten Sie das Barometer im Auge“, sagte Balandin. „Sobald es Ionisation anzeigt, warnen Sie uns sofort!“
„Machen Sie sich keine Sorgen! Wir verständigen Sie rechtzeitig. Aber entfernen Sie sich nicht so weit vom Boot.“ Durch das Doppelluk stiegen Balandin und Melnikow ins Freie. Das Ufer war so nahe, daß man mühelos hinüberspringen konnte. Bevor die Männer den Sprung wagten, sahen sie sich den Strand genau an.
„Scheint kein Schlamm zu sein“, sagte Melnikow. „Aber legen Sie mir für alle Fälle das Sicherungsseil an. Ich springe als erster.“
„Das wird am besten sein.“ Balandin nickte.
Melnikow sprang. Er versank bis zu den Knöcheln, und unter dem Gras hervor spritzte Wasser. Er trat schnell zur Seite und ging zu einer trockenen Stelle.
„Springen Sie, Professor!“
„Einen Augenblick!“ sagte auf einmal Wtorow über Sprechfunk. „Warten Sie doch, Boris Nikolajewitsch!“ sagte er vorwurfsvoll. „Wenn Sie schon meine Funktion übernehmen, dann üben Sie sie richtig aus. Filmen Sie Sinowi Serapionowitsch, wie er an Land springt!“
„Beruhige dich!“ erwiderte Melnikow. „Ich bin doch gerade deswegen als erster gesprungen.“ Er lachte im stillen, weil er in Wahrheit die Kamera auf seiner Brust ganz vergessen hatte, und beeilte sich, den heiligen Wunsch des Kameramannes der Expedition zu erfüllen.
Die gigantischen Bäume, deren Wipfel in den Himmel zu reichen schienen, waren nun so nahe, daß die Männer sie genau betrachten konnten.
Sie hatten nichts mit den Korallenbäumen gemein, die auf der Insel wuchsen! Es waren richtige Bäume, riesenhafte Vertreter der Pflanzenwelt. Die Stämme, die am Boden bis zu drei Meter Durchmesser hatten, waren von einer glatten rötlichen Rinde mit dunkelroten Flecken bedeckt. Die Äste trugen lange Blätter und setzten so hoch an, daß man nicht hinaufgelangen konnte. Zwischen den Bäumen wucherte orangefarbenes Gebüsch, das sich mit einem besonderen totenbleichen und mannshohen Gras verflocht. Die Zweige der Sträucher waren mit Dornen gespickt.
Den beiden Kosmonauten fiel sofort eine Eigenart dieser Bäume auf, die sie von den irdischen Arten unterschied. Während die Bäume auf der Erde, bildlich gesprochen, „auf einem Bein“ standen, besaßen die Bäume der Venus deren mehrere.
Fünf, sechs und bisweilen noch mehr Stämme vereinigten sich in einer Höhe von dreißig, vierzig Metern über dem Boden und verzweigten sich erst dann in größerer Höhe, wobei sie wunderliche Gewölbe bildeten.
„Einen solchen Baum kann kein Wirbelsturm entwurzeln“, sagte Melnikow sinnend. „Aber wir haben von der ›KS 2‹ aus doch schwimmende Bäume gesehen.“
„Vielleicht sind sie stromaufwärts nicht so grandios?“ Melnikow ging langsam auf die Stromschnellen zu.
Balandin merkte, daß sein Begleiter mit einem Gedanken rang, der ihm keine Ruhe ließ, und beschloß, ihn bei nächster Gelegenheit zu fragen.
Von der Stelle, an der das Boot festgemacht hatte, war es bis zu den Stromschnellen ein gutes Stück zu laufen. Der Professor glaubte, sie würden, falls es gewitterte, das Boot nicht so schnell erreichen, und sagte es Melnikow.
„Ich denke, wir würden es schaffen. Toporkows Barometer zeigt eine Viertelstunde vorher an, wenn ein Gewitter aufzieht.
Und falls wir es nicht schaffen…“ Melnikow wies mit der Hand auf den Wald, der ganz nahe war. „Schauen Sie sich an, wie dicht die Stamme beieinanderstehen. Sie bilden gemeinsam mit den Ästen ein undurchdringliches Dach. Meiner Meinung nach kann man sich unter ihnen vor den Wolkenbrüchen schützen.“
„Und wenn nicht?“ Melnikow blieb stehen und sah Balandin an.
„Wenn Sie das Risiko fürchten“, sagte er schroff, „dann kehren Sie an Bord zurück.“
„Mir scheint, ich habe Ihnen keine Veranlassung gegeben, mich für einen Feigling zu halten!“ Der Professor war beleidigt.
„Das habe ich nicht gesagt. Aber die Auffassung der Menschen vom Vernünftigen ist verschieden. Wir müssen demnächst den Wald gründlich untersuchen. Den Geländewagen können wir dazu nicht gebrauchen, wie Sie sehen. Also müssen wir zu Fuß in ihn eindringen. Einer muß als erster erproben, ob der Wald Schutz vor Gewittern bietet oder nicht. Ich will es tun.
Aber Sie haben wohl recht — ich sollte mich lieber allein der Gefahr aussetzen. Gehen Sie zurück!“
„Ich lasse Sie nicht allein“, sagte Balandin bestimmt.
„Nun — dann gehen wir weiter.“ Konstantin Jewgenjewitsch würde ein solches Experiment nicht billigen, dachte Balandin, während er Melnikow folgte.
Sie erreichten eine kleine Anhöhe, von der aus die Stromschnellen gut zu überblicken waren.
Stromaufwärts verbreiterte sich der Fluß wieder. Schier ins Unendliche erstreckte sich die öde Wasserwüste.
Melnikows Blick heftete sich auf das gegenüberliegende Ufer.
„Dort vorn am Ufer, an den ersten Steinen … sehen Sie dort nichts?“ Der Professor spähte in die angegebene Richtung. Er hatte nicht so scharfe Augen wie Melnikow. Trotzdem entdeckte er einen orangeroten Hügel, der vor dem dichten Wald schlecht zu erkennen war.
„Das ist sicherlich eine Gruppe von Büschen“, sagte er.
„Keinesfalls. Das ist ganz etwas anderes. Gehen wir an Bord zurück.“ Ohne auf Antwort zu warten, kehrte Melnikow um. Er hatte es sehr eilig.
Bestimmt wollte er ans andere Ufer fahren. Und tatsächlich, kaum waren die beiden wieder an Bord, da befahl Melnikow, noch ehe er durch das Luk geschlüpft war, Saizew solle auf die andere Seite des Flusses fahren.
Am südlichen Ufer wuchs ebenfalls Wald. Der mit gelbbraunem Gras bewachsene Uferstreif wirkte jedoch bedeutend breiter, und der Waldrand schien weiter vom Fluß entfernt zu sein. Alles war hier weiträumiger und völlig trocken. Der Hügel, den die beiden Männer vom anderen Ufer aus gesehen hatten, entpuppte sich von nahem als ein Haufen übereinandergestürzter Bäume.