„Konstantin Jewgenjewitsch, wissen Sie noch: Als wir mit der ›SSSR-KS 2‹ flogen, glaubten wir, auf dem Festland der Venus gäbe es keine Stelle, die sich für eine Raumschifflandung eignet.
Doch es gibt solche Stellen in Hülle und Fülle.“
„Ja, da haben wir uns geirrt“, bestätigte Belopolski. „Aber das ist kein Wunder. Um einen Planeten kennenzulernen, genügt es nicht, ihn kurze Zeit zu überfliegen. Wir sind jetzt schon zwölf Tage hier und wissen trotzdem noch nicht viel. Die Venus bereitet uns eine Überraschung nach der anderen. Und die größte Überraschung steht uns noch bevor… Auf dem See.“ Das letzte Wort hatte er fast geflüstert, und Melnikow sah in seinem Gesicht abermals Erregung aufflackern.
„Warum haben Sie uns nicht auf dem See landen lassen?“ Belopolski ließ sich Zeit mit der Antwort. Er schien unschlüssig.
„Wissen Sie, mir ist da so ein Gedanke gekommen“, sagte er zögernd und beinahe zaghaft. „Ein sehr merkwürdiger Gedanke … Dieser See…“
„Was ist mit ihm?“
„… ist gar kein See. Genauer gesagt — er ist nicht das, was wir gewöhnlich darunter verstehen.“ Ohne seine Worte näher zu erklären, verließ der Kommandant die Kajüte.
„Was wollte er damit sagen?“ fragte Balandin.
„Ich weiß es wahrhaftig nicht“, gestand Melnikow verstört.
„Ich habe keine Ahnung.“
„,… ist gar kein See’“, wiederholte der Professor. „Sonderbar! Meiner Meinung nach ist das ein ganz gewöhnlicher Waldsee, wenn man von dem Wehr und den Stapeln am Ufer absieht. Aber der See selbst…“ Sie unterhielten sich über Sprechfunk. Melnikow sah seinen Gesprächspartner nicht, malte sich aber aus, wie Balandin verständnislos die Schultern hob.
„Konstantin Jewgenjewitsch hat sicherlich etwas entdeckt, was… wir müssen uns bei ihm eingehend erkundigen.“
„Das führt zu nichts!“ sagte Melnikow überzeugt. „Er wird es nicht verraten.“ Der Professor versuchte trotzdem zu erfahren, was der Expeditionsleiter hatte andeuten wollen. Wie nicht anders zu erwarten, erreichte er nichts.
„Es wird sich bald zeigen“, antwortete Belopolski. „Man darf nicht voreilig Schlüsse ziehen.“
„Ich bin sicher, daß er etwas weiß“, sagte Balandin, als er von seinem ergebnislosen Erkundungsvorstoß zurückkehrte.
„Aber schlagt mich tot — ich kann mir nicht vorstellen, was es sein könnte.“
„Wir werden es schon noch erfahren“, tröstete ihn Melnikow.
Es war vier Uhr Moskauer Zeit. Auf der Venus näherte sich die lange Nacht, die elf Erdentage und elf Erdennächte währen würde.
In den Klauen des Gewitters
Bis zum Sonnenuntergang blieben noch zehn Stunden Zeit, und auch danach würde es nicht sofort ganz finster werden. Die Venus dreht sich so langsam um ihre eigene Achse, daß sich die Abenddämmerung sehr in die Länge zieht. Nacht konnte es im Grunde erst in fünfzig Stunden werden. Diese Zeit galt es zu nützen.
Kaum war die „SSSR-KS 3“ an ihrem neuen Standplatz angelangt, da gingen Melnikow und Korzewski von Bord, um das Ufer zu untersuchen und festzustellen, ob der Geländewagen eingesetzt werden könnte. Würde eine Exkursionsgruppe die anderthalb Kilometer bis zu den Stromschnellen zu Fuß zurücklegen, setzte sie sich der Gefahr aus, von einem Gewitter überrascht zu werden. Melnikows Vermutung, man könne sich unter den Gewölben des Waldes vor den Regengüssen schützen, bedurfte erst einer Prüfung.
Die beiden Sternfahrer überzeugten sich mühelos davon, daß der Boden am Ufer fest genug war. Es bestand keine Gefahr, daß der Geländewagen mit seinen Raupenketten versinken würde. Unter dem orangebraunen Grasteppich lag eine feste Sandschicht. Ob dies gewöhnlicher Sand war, blieb vorerst ungewiß, aber eins stand fest — die Expeditionsmitglieder konnten den Geländewagen benutzen. Und das war im Augenblick die Hauptsache.
Ganz in der Nähe hielten sich die unbekannten Bewohner der Venus auf, die allem Anschein nach sehr kräftig und an die Finsternis der Nacht gewöhnt waren.
Wie würden sie sich den Eindringlingen gegenüber verhalten?
Wenn sie, wie Melnikow annahm, Wilde waren, mußte mit feindseligen Handlungen von ihrer Seite gerechnet werden. Die Astronauten beabsichtigten aber nicht, von der Waffe Gebrauch zu machen. Sollten sie überfallen werden, würden ihnen die Geländewagen sicheren Schutz bieten.
Um die für die Nacht vorgesehene Arbeit zu leisten, standen den Männern öftere Ausflüge von Bord bevor. Außerdem waren sie fest entschlossen, die Herren dieses Planeten näher kennenzulernen. Das ließ sich nur nachts einrichten. Eine Exkursion zu den Stromschnellen und vielleicht auch noch zum See barg aber bei völliger Finsternis große Gefahren in sich. Sumpfiges Gelände, das bei den häufigen Regenfällen etwas ganz Natürliches gewesen wäre, hätte die Lösung dieser Aufgabe noch erschwert.
Doch der Uferstreifen glich nicht im geringsten einem Sumpf.
Er war fest und offenbar trocken.
„Ich halte das für ganz gewöhnlichen Sand“, erklärte Korzewski. „Und er liegt in einer sehr dicken Schicht. Andernfalls würde er nicht das ganze Regenwasser aufsaugen können.“
„Diese Eigenschaft besitzt nicht nur Sand“, antwortete Melnikow. „Das Ufer fällt vom Wald nach dem Wasser zu ab. Das meiste Regenwasser kann also in den Fluß abfließen, und nur den Rest nimmt der Boden auf.“
„Das könnte auch sein“, pflichtete ihm der Biologe bei.
An Bord zurückgekehrt, meldeten sie Belopolski das Ergebnis ihrer Erkundung. Dieser ließ sofort einen Geländewagen fahrfertig machen. Eine halbe Stunde später stand das eine Kettenfahrzeug schon vor der unteren Luftschleuse.
Das Raumschiff hatte Geländewagen verschiedener Größe an Bord. Es wurde beschlossen, zur ersten Ausfahrt den leichtesten und schnellsten zu nehmen.
Belopolski wollte sich die Stromschnellen und die Holzstapel am Ufer persönlich ansehen, aber weil er nicht zur gleichen Zeit wie Melnikow das Schiff verlassen durfte, sollte ihn Professor Balandin begleiten. Weder er noch Konstantin Jewgenjewitsch verstanden, mit der Filmkamera umzugehen. Deswegen gab Wtorow ihnen Fotoapparate mit.
„Machen Sie soviel Aufnahmen wie möglich!“ bat er. „Jedes Foto ist von unschätzbarem Wert!“
„Ja, ja, das wissen wir.“ Balandin lächelte. „Ich verspreche Ihnen, daß ich den ganzen Film verknipse.“
„Vielleicht wäre in dem Wagen noch ein Plätzchen frei?“ Wtorow sah den Kommandanten bittend an.
„Sie werden noch zur rechten Zeit hinauskommen“, entgegnete Belopolski barsch. „Diese Fahrt wird nicht die letzte sein.“ Wie immer verzögerten Gewitter die Abfahrt. Die Kosmonauten hatten sich schon an die häufigen Regengüsse gewöhnt, wenngleich ihre Geduld diesmal hart auf die Probe gestellt wurde. Drei Stunden lang löste ein Gewitter das andere ab und raubte ihnen kostbare Zeit. j Aber die erzwungene Verzögerung brachte auch einen gewissen Nutzen. Sie überzeugten sich davon, daß der absichtlich im Freien abgestellte Geländewagen dem Druck der Wassermassen standhielt und die Männer sich in ihm gegen die Gewitter schützen konnten. Während sie in den kurzen Pausen zwischen den Gewittern vom Observatorium aus das Gelände beobachteten, stellten sie auch fest, daß Melnikows Vermutung zutraf. Das Wasser floß entsprechend dem natürlichen Gefälle zum Fluß ab; es bestand keine Gefahr, daß der Boden ringsum sich in einen Sumpf verwandeln würde.
Sobald Toporkows Barometer anzeigte, daß die Luft keine Elektrizität mehr enthielt, verließen Belopolski und Balandin ohne Zögern das Schiff und setzten sich in den Geländewagen.
Er war so niedrig, daß sie die individuelle Sprechfunkanlage mit akustischen Verstärkern vertauschen mußten. Die Antennen ihrer Gasschutzanzüge paßten nicht in den Wagen hinein.