Aber Pflanzen empfinden ja nichts.
In dem strengen weißen Licht traten die Bäume, die Sträucher und das seltsam reglose, bleiche Gras plastisch und deutlich aus dem Dunkel hervor.
Nicht die geringste Bewegung … Totenstille…
Wie ein gewundener Korridor zog sich der geheimnisvolle Weg in die Ferne.
Vorsichtig fuhr der Geländewagen weiter. Die tiefen Spuren seiner Raupenketten drückten der Venuslandschaft einen irdischen Stempel auf.
Was werden die Bewohner des Planeten über diese für sie unerklärlichen Spuren denken, wenn sie bei Einbruch der Nacht den vertrauten Weg entlangkommen? Werden sie ihre Bedeutung verstehen? Ist der Gedanke für sie überhaupt faßbar, daß Bewohner einer anderen Welt die Venus besucht haben? Oder können sie sich, weil der Sternenhimmel ihres Planeten immer von einem Dickicht nie auseinandertretender Wolken verhüllt ist, gar nicht vorstellen, daß es außer der ihren noch andere Welten gibt und daß sie nicht die einzigen vernünftigen Wesen im All sind?… Wie können sie überhaupt die Existenz des Alls ahnen, wenn keiner von ihnen je die Sonne oder die Sterne gesehen hat? … Sie werden vielleicht die Spuren des Kettenfahrzeugs für die Spuren eines unbekannten Tieres halten. Selbst wenn sie solchen Tieren bisher nie begegnet sind, wird dieser Gedanke sich aufdrängen.
Professor Balandin malte es sich bildlich aus… In nächtlicher Finsternis beugen sich riesengroße Schatten über die Spuren, machen sich gegenseitig auf sie aufmerksam und reden in einer fremden Sprache miteinander. Forschend richten sich ihre Augen in das Waldesdickicht, um das unbekannte wilde Tier zu suchen.
Er stellte sie sich als Zweibeiner vor mit Augen, die im Dunkeln wie Raubtieraugen grünlich funkeln.
Wenn nun plötzlich die Herren des Waldes aus dem Dunkel treten? Geschöpfe, die imstande sind, mit bloßen Händen (oder dem, was ihnen als Hand dient) Felsbrocken zu bewegen und Bäume umzubrechen. Wenn sie nun vor dem Scheinwerferlicht gar keine Angst haben?
Was wird es ihnen ausmachen, den Gelandewagen umzukippen, die Scheiben einzuschlagen und die Türen aufzureißen?
Wurde es den Männern da noch gelingen, die Kameraden durch Funkspruch zu verständigen?
Balandin warf unwillkürlich einen Blick auf das Funkgerät, um sich zu überzeugen, daß es in Ordnung war.
Ruhig leuchtete das grüne Lämpchen des Indikators in der dunklen Kabine. Da flammte neben ihm ein rotes Lämpchen auf — ein Anruf.
„Ich höre“, sagte Belopolski in alltäglichem Tonfall.
„Ein Gewitter zieht auf“, teilte Melnikow mit. „Und wie es scheint — ein schweres.“
„Von welcher Seite?“
„Von Norden. Es ist noch weit entfernt.“
„Beobachten Sie es. Sobald es am Fluß anfängt zu regnen, benachrichtigen Sie uns.“
„Gut.“ Sekundenlanges Schweigen. Dann fragte Melnikow: „Wo befinden Sie sich?“
„Im Wald.“
„Wollen Sie nicht lieber umkehren?“
„Wir schaffen es nicht bis zum Schiff. Es wird interessant und wichtig sein zu prüfen…“ Belopolski kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Das rote Lämpchen am Funkgerät erlosch, die Verbindung war unterbrochen.
„Anscheinend zieht eine außerordentlich mächtige Gewitterwand auf“, sagte er. „Toporkows Barometer zeigt ein Gewitter fünfzehn Minuten vorher an. So schnell ist die Verbindung noch nie abgebrochen. Also muß die Luft schon sehr stark ionisiert sein.“ Belopolskis Stimme verriet nicht die geringste Erregung. Er redete wie gewöhnlich, als hielte er ein Selbstgespräch.
Balandin gab keine Antwort. Was sollte er auch antworten?
Sie würden es tatsächlich nicht mehr schaffen, an Bord zurückzukehren. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich auf die Festigkeit ihres Fahrzeugs und auf den Schutz der Baumkuppel zu verlassen.
Das Kettenfahrzeug fuhr langsam weiter.
Im Licht seiner Scheinwerfer sah man immer die gleichen Bäume, den gleichen Wald. Der Weg beschrieb wunderliche Zickzacklinien, verengte sich aber nicht. Nach wie vor schob sich eine Mauer aus Sträuchern, die mit weißem Gras verwoben waren, bis dicht ans Fahrzeug.
So vergingen zehn Minuten.
Plötzlich hielt Belopolski an. Einen Augenblick spähte er forschend in den Wald, dann streckte er den Arm aus und stellte die Scheinwerfer ab.
„Schauen Sie nur!“ sagte er beinahe flüsternd.
Nach dem hellen Licht fand Balandin, es herrsche besonders tiefe Finsternis. Er schloß sekundenlang die Augen.
„Schauen Sie nur!“ sagte Belopolski ein zweites Mal. „Was ist das?“ Der Professor blickte nach vorn und nach beiden Seiten, sah aber nichts. Dunkel ringsum.
„Wohin soll ich sehen?“ fragte er und erkannte nicht einmal seinen Gefährten. „In welche Richtung?“
„Wohin Sie wollen“, antwortete Belopolski. „Es ist überall!“
„Was für ein ›Es›?“
Keine Antwort.
Balandin fühlte, daß sein Genosse ganz unter dem Eindruck einer Erscheinung stand, die er selbst noch nicht wahrgenommen hatte. Erst allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit.
Da merkte er auf einmal, daß es gar nicht stockfinster war.
Immer klarer unterschied der Professor die Stämme der Baume. Ein seltsam zitterndes Licht beleuchtete sie. Es wurde immer heller, aber nirgends war die Quelle jenes Lichts zu entdecken.
Balandin überzeugte sich mit einem Blick durchs Plastedach, daß die Kronen der Bäume im Dunkel verschwanden. Angestrahlt wurden nur die Stämme. Die Sträucher und der Weg waren ebenfalls nicht zu sehen.
Dann bemerkte er, daß die Stämme verschieden beleuchtet wurden. Von den einen war nur der untere Teil, von anderen die Mitte und von einigen nur die rechte oder die linke Hälfte zu sehen, während die andere Hälfte unsichtbar blieb.
Verblüfft musterte der Professor den Wald und wußte nicht, wie er sich diese Erscheinung erklären sollte.
„Sie leuchten aus sich heraus!“’ Der Gedanke kam ihm ganz plötzlich.
„Ja, das Licht kommt aus den Stämmen selbst“, antwortete Belopolski. „Aber es ist ein sonderbares Licht. Es macht nur die Stämme der Bäume sichtbar, beleuchtet aber keine anderen Gegenstände. Doch nein…, ich kann undeutlich einen Strauch erkennen.“ Hat Konstantin Jewgenjewitsch aber Augen! dachte Balandin.
— Wie konnte er bloß das schwache Licht bemerken, als die Scheinwerfer noch eingeschaltet waren?
Die Bäume wurden noch deutlicher sichtbar. Im Innern der Stämme schien eine unerklärliche Flamme, deren Liehe’die Rinde durchdrang, immer stärker entfacht zu werden und zu lodern. Stellenweise ging das rosige Licht in dunkleres Rot über.
Das flimmernde Leuchten wurde so stark, daß es den Augen weh tat.
Plötzlich sah es aus, als ob sich der ihnen am nächsten befindliche Baum mit einem zitternden Netz blendend weißer Fäden überzog. Wie Rinnsale weißglühenden Metalls flossen sie den Stamm entlang und verschwanden im Boden.
Darauf erlosch das Licht des Baumes schlagartig. Die soeben noch grellrote Säule entzog sich den Blicken und war vor dem leuchtenden Hintergrund der anderen Bäume nur noch als schwarze Silhouette zu erkennen. Nach einer Weile jedoch flammte das innere Leuchten abermals auf, zuerst rosig, dann immer mehr in Rot übergehend.
Der geheimnisvolle Vorgang wiederholte sich immer häufiger, bald mit dem einen, bald mit dem anderen Baum. Es schien, als versuche jemand, das in den Stämmen lodernde Feuer zu löschen, doch es loderte nach wenigen Augenblicken stets aufs neue mit gewachsener Kraft wieder empor.
„Gut, daß unser Wagen nicht aus Metall gebaut ist“, sagte Belopolski leise. „Und dabei ist das noch nicht das Gewitter, sondern erst sein Präludium.“ Balandin hatte gerade das gleiche gedacht. Es war klar, daß diese ganze Phantasmagorie durch die Elektrisierung der Luft hervorgerufen wurde. Die Rinde der Bäume leitete offenbar den Strom weiter. Diesem Umstand mußte man es wohl zuschreiben, daß die Stämme leuchteten. In der Baumrinde sammelte sich Elektrizität, und sie entlud sich in die Erde, sobald die Konzentration zu groß wurde.