Zehn lange Minuten blieb die Lage unverändert. Der ohrenbetäubende Lärm, das Rauschen des Wasserfalls und des Regens, die in der Nahe grellen, jenseits der Wasserwand aber trüben Blitze — all das hatten sie schon viele Male gesehen, und es nötigte ihnen keine besondere Achtung mehr ab. Sie warteten ungeduldig auf das Ende und waren überzeugt, das Gewitter werde ebenso überraschend abziehen, wie es sie überfallen hatte. So war es bisher immer gewesen, an ein solches Finale waren sie gewöhnt, und so würde es auch diesmal kommen.
Die Venus hatte es sich aber anscheinend in den Kopf gesetzt, ihnen eine neue Überraschung zu bereiten, ihnen ein übriges Mal zu beweisen, daß sie vieles zu bieten hatte, was den Menschen der Erde noch nie begegnet war.
Belopolski und Balandin beobachteten staunend, daß der Regen diesmal abflaute — im allgemeinen endete er plötzlich.
Sie erlebten ein Gewitter ganz anderer Art. Es jagte nicht ungestüm über sie hinweg, sondern hielt sich lange, wurde aber immer schwächer. Seltener und leiser polterte der Donner, seltener und matter zuckten die Blitze. Die Finsternis wich einem trüben Dämmerschein. Unvermittelt lief das Wasser vom Ufer ab und befreite das Seegras. Minuten vergingen, und die Männer stellten verdutzt fest, daß sie nichts weiter als einen ganz gewöhnlichen Wolkenbruch erlebt hatten, wie sie ihn von der Erde her kannten. Eine Zauberkraft schien sie blitzschnell von der Venus in die Heimat versetzt zu haben.
Es wurde so hell, daß sie das Ufer des Sees, auf dessen Oberfläche in dichter Folge winzige Fontänen emporschossen, überschauen konnten.
„Genießen Sie das Erlebnis in vollen Zügen!“ sagte Belopolski. „Die Überraschungen nehmen kein Ende.“
„Ich hätte nie gedacht, daß wir auf der Venus einen gewöhnlichen Regen erleben würden.“
„Wenn das Gewitter auch vorüber ist, bedeutet das für uns noch keine Erleichterung.“ Belopolski wies nach hinten auf den Wald.
Der Wasserfall, der von den Wipfeln herabstürzte, hörte nicht auf. Er war bloß nicht mehr so ungestüm und stürmisch.
Zwischen dem Geländewagen und dem Wald hing ein durchsichtiger Wasservorhang, durch den verschwommen Bäume und Sträucher zu erkennen waren. So dünn diese Sperre indes auch sein mochte, der schmale Zugang zu dem Waldweg blieb dennoch unsichtbar.
„Wir müssen versuchen, ihn zu finden“, sagte Belopolski.
„Dieser Regen kann Stunden dauern.“ Energisch ergriff er die Steuerhebel. Er langte nach dem Starterknopf und — erstarrte, die Augen betroffen auf den dunstverhangenen See gerichtet.
Augenblicklich vergaß auch Balandin seine quälenden Schmerzen im Bein und beugte sich mit dem ganzen Oberkörper weit vor — dicht am Ufer bewegte sich etwas Dunkles im Wasser, dann erhob es sich und kam heraus.
Durch das dichte Netz der Regenfäden sahen die Männer die verschwommene Silhouette eines riesenhaften formlosen Körpers. Er schien über drei Meter groß zu sein. Das gespenstische Halbdunkel machte es unmöglich, Genaueres zu erkennen.
Der Professor wollte schon die Hand ausstrecken, um den Scheinwerfer einzuschalten, aber Belopolski hielt seine Hand fest.
„Das erübrigt sich!“ flüsterte er. „Erschrecken Sie ihn nicht!
Das sind sie!“ Atemlos vor Erregung sahen die Astronauten, wie dem ersten Venusbewohner ein zweiter folgte. Dann stiegen nacheinander noch drei weitere aus dem Wasser.
Fünf nebelhafte Gestalten trotteten auf das Fahrzeug zu.
„Sie sehen uns“, stieß Balandin mit erstickter Stimme hervor.
„Natürlich sehen sie uns“, gab Belopolski sonderbar ruhig zur Antwort.
Drei Schritte trennten die Venusbewohner von den Menschen.
Nun waren deutlich die dicken Beine, der mächtige ellipsoide Leib und der dreieckige Kopf des ersten dieser Geschöpfe zu erkennen. Die übrigen vier gingen um den Wagen herum, sie wollten ihn offenbar von allen Seiten umstellen.
Was dachten sie von diesem Fahrzeug? Wofür hielten sie es?
Die langsamen Bewegungen der Kolosse wirkten auf die beiden Menschen wie eine Drohung. Es gab nur noch eins: fliehen, nichts als fliehen!
Alles geschah in Sekundenschnelle.
Belopolski erwachte aus seiner Erstarrung und griff nach den Bedienungshebeln. Aber es war schon zu spät. Die Venusianer stürzten sich auf den Geländewagen.
Er wurde mit einem einzigen Ruck hochgehoben. In verhängnisvoller Weise bestätigte sich die Vermutung der Menschen, daß die Venusbewohner ungeheuer stark seien.
Mit einer verzweifelten Anstrengung langte Belopolski nach dem Starterknopf und schaltete den Motor ein.
Die Raupenketten zitterten, rührten sich aber nicht von der Stelle.
Was bremste sie? Waren die Venusianer etwa stärker als der Motor?
Auf ihren Händen trugen die fünf rätselhaften Wesen die anderthalb Tonnen schwere Maschine schnell zum See.
„Leben Sie wohl, Sinowi Serapionowitsch“, flüsterte Belopolski.
„Leben Sie wohl!“ raunte der Professor. „Das ist das Ende…“ Eine Minute zu spät Andrejew, Knjasew und Wtorow erfuhren erst über Funk von den Genossen im Raumschiff, daß ein Gewitter tobte. Sie hörten es zwar donnern, aber auf die Schneise, die ihr Geländewagen befuhr, fiel nicht ein Tropfen Regen.
Wie Toporkow berichtete, war das Gewitter ganz überraschend aufgezogen. Das Barometer hatte es vorher nicht angekündigt. Mehr noch — die Funkverbindung wurde diesmal nicht unterbrochen. Regen deckte zwar Wald und Schiff zu, aber man konnte mit dem Geländewagen sprechen wie bei klarem Wetter.
Das hatten sie auf der Venus noch nie erlebt. Der Planet schien absichtlich seinen Gästen zwei für sie neue Arten von Gewitter vorzuführen: erst ein außerordentlich stark mit Elektrizität geladenes und nun eines von genau entgegengesetzter Art.
„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, sagte Igor Dmitrijewitsch.
„Tragen Sie dieses Rätsel unter Nummer achtzehn ein“, gebot Wtorow in spöttischem Ton.
„Was heißt denn hier achtzehn?“ Toporkow seufzte tief. „Das nimmt und nimmt kein Ende!“ Die von Balandin und Belopolski beobachteten Lichteffekte fehlten bei diesem Gewitter. Die drei Männer wunderten sich natürlich nicht darüber, sie wußten und ahnten ja nicht einmal etwas von dieser Erscheinung. Sie wunderten sich über etwas anderes. Ihnen war mitgeteilt worden, daß über ihnen ein Gewitter tobe, das dann in einen gewöhnlichen Regen überging, aber im Wald blieb es nach wie vor völlig trocken. Auch die Besatzungsmitglieder, die an Bord geblieben waren, teilten die Verständnislosigkeit.
„Ist das Laub etwa so dicht, daß es solch einen starken Regen abzufangen vermag?“ fragte Korzewski nachdenklich. „Das dürfte doch wohl kaum stimmen!“
„Aber es ist eine Tatsache“, entgegnete ihm Wtorow. „Der Weg ist knochentrocken, und kein einziger Regentropfen fällt darauf.“
„Abermals — ein Rätsel!“ Der Biologe stöhnte.
Im selben Augenblick sperrte plötzlich eine Wasserwand den Weg. Sie erschien so überraschend, daß Knjasew kaum noch den Motor abstellen und auf die Bremse treten konnte. Zwei, drei Sekunden später wären sie mit voller Geschwindigkeit in diese eigentümliche Sperre hineingerast, ohne zu wissen, was sie dahinter erwartete.
Im starken Licht der Scheinwerfer wirkte der rätselhafte Vorhang durchsichtig. Trotzdem war nicht zu erkennen, was sich hinter ihm befand. Endlich begriffen die Männer, daß das Wasser von oben, wie von einem glatten Dach, dem die Dachrinne fehlt, herabstürzte.
„Der Vorhang scheint sehr dünn zu sein“, bemerkte Wtorow.