Ende!“ Atemlose Stille.
Im Raumschiff am Fluß und im Raupenfahrzeug am See fiel kein Wort. Auch in der Atmosphäre herrschte völlige Stille, als fühlte die Venus mit den trauernden Menschen. Kein ferner Donner grollte, kein Baum rauschte im Wind mit seinem Wipfel. Versteint lag der See, kein Grashalm raschelte.
Oder bildeten sich die Menschen das nur ein?
„Bleibt dort am See! Falls ein Gewitter kommt, zieht euch zum Waldrand zurück. In einer halben Stunde ist der Amphibienwagen bei euch.“ Wer hatte das gesagt? Melnikow? Sie hatten seine Stimme nicht wiedererkannt.
Der Amphibienwagen! Ja, an Bord des Raumschiffes befand sich ein Schwimmfahrzeug. Aber was könnte es helfen?
Und wer würde fahren? Melnikow natürlich nicht. Der war nun der einzige Kommandant des Schiffes. Er durfte bis zum Schluß, bis zur Landung auf der Erde, nicht mehr von Bord gehen. Und weder Paitschadse noch Saizew oder Toporkow durften das Schiff verlassen; denn ohne sie konnte es die Rückreise nicht antreten. Also kamen nur noch Korzewski und Romanow in Frage.
Die Zeit schien stillzustehen. Die Männer merkten gar nicht, daß zwanzig Minuten vergangen waren.
„Der Schwimmwagen ist zu euch unterwegs“, meldete Toporkow. „Boris Nikolajewitsch hat angeordnet, daß Knjasew und Korzewski die Erkundung durchführen. Seid so vorsichtig wie möglich!“
„Wo ist Boris Nikolajewitsch?“ fragte Wtorow.
„Er kommt gleich zurück. Braucht ihr ihn?“
„Nein, ich meine bloß so.“
„Worum handelt es sich?“ fragte Melnikow. Er war anscheinend gerade in die Funkkabine zurückgekehrt. „Was wollen Sie, Gennadi Andrejewitsch?“
„Nichts weiter. Entschuldigen Sie, Boris Nikolajewitsch!“
„Wollen Sie an der Erkundung teilnehmen?“
„Ich dachte…“
„Sie haben richtig gedacht.“ Melnikow sprach anders als sonst, er betonte jeden Buchstaben. „Es gibt keinen Grund, der uns dazu bestimmen dürfte, unsere Arbeit auf der Venus zu unterbrechen. Haben Sie die Kamera bei sich?“
„Ja.“
„Ich erlaube Ihnen, Korzewski zu ersetzen.“ Aus dem Wald schoß ein langer Scheinwerferstrahl, der zusehends heller wurde. Der Amphibienwagen, obwohl selber noch nicht zu sehen, näherte sich rasch dem See.
Plötzlich erscholl abermals Toporkows Stimme.
„Stanislaw Kasimirowitsch, halten Sie an!“ sagte er. „Fahren Sie unter die Bäume! Ein Gewitter zieht auf.“
„Schon — wieder!“
„Wann wird das endlich aufhören?“ fragte Knjasew wütend.
„Wenn wir die Venus verlassen.“ Es donnerte, von den Baumkronen stürzte der mächtige Wasserfall herab, und das Ufer verwandelte sich wieder in einen schäumenden Strom. Aber die Lichteffekte blieben diesmal «us.
Außer Belopolski und Balandin kannte also noch keiner die rätselhafte Erscheinung.
Endlich zogen die Gewitterfronten ab, und die Funkverbindung lebte wieder auf.
„Die Erkundungsaufgabe lautet“, begann Melnikow im selben Augenblick, „den Geländewagen auf dem Grund des Sees suchen, feststellen, in welcher Tiefe er sich befindet und ob eine Möglichkeit besteht, ihn an Land zu ziehen. Schnell, aber äußerst vorsichtig handeln. Die Kabine des Geländewagens ist hermetisch geschlossen, und wenn die ›Schildkröten‹ sie nicht eingedrückt haben, leben Belopolski und Balandin noch. Das Raumschiff kann jederzeit starten und zum See fliegen. Beeilt euch, Genossen!“ Wie hatten sie nur vergessen können, daß das Wasser in den Geländewagen nicht eindringen würde? Sie hatten ihre Genossen schon für tot gehalten, aber in Wirklichkeit durften sie ja noch hoffen. Allein Melnikow war besonnen geblieben und hatte sich den Blick für die Tatsachen nicht trüben lassen.
Die Hoffnung gab ihnen neue Kraft. Die Wagen fuhren aus dem Wald bis dicht ans Wasser. Knjasew und Wtorow lösten Romanow und Korzewski im Schwimmwagen ab.
Der Schwimmwagen war wie das Unterseeboot ganz aus durchsichtiger Plaste gebaut. Sogar die Raupenketten bestanden aus dem gleichen Material. Für zwei Personen berechnet, leicht und beweglich, konnte dieser Wagen fahren, schwimmen und mit Hilfe von ausfahrbaren Flossen, die den Tragflächen eines Segelflugzeuges ähnelten, unter Wasser tauchen. Die erreichbare Tauchtiefe betrug zwar nur sieben, acht Meter, aber die Astronauten vermuteten, daß auch die „Schildkröten“ nicht tiefer unter der Wasseroberfläche leben könnten.
Die Amphibien der Erde suchen nie größere Tiefen auf, weil der Wasserdruck mit jedem Meter zunimmt. Andererseits können Tiefseeorganismen nicht an der Oberfläche leben, weil sie dort platzen würden. Warum sollte es auf der Venus anders sein? Da die Venusianer aufs Trockene kamen, konnten sie keinesfalls Bewohner der Tiefen sein.
Die Schildkröten der Erde können schwimmen. Besaßen ihre riesigen Verwandten auf der Venus die gleiche Fähigkeit? Die Beantwortung dieser Frage war von ungeheurer Bedeutung.
Konnten sie nur laufen, drohte dem Amphibienfahrzeug keine Gefahr. Andernfalls aber konnte es ihm ebenso wie Belopolskis Geländewagen ergehen. Dann wären statt zwei sogar vier Opfer zu beklagen.
„Ich habe mich mit Boris Nikolajewitsch darüber beraten“, sagte Korzewski, „und wir sind zu dem Schluß gelangt, daß der Schwimmwagen den Reptilien entgehen kann, falls sie ihn im Wasser angreifen. Auf keinen Fall werden sie schneller schwimmen als er.“
„Seid so vorsichtig wie möglich“, legte Melnikow dem jungen Knjasew zum Schluß noch einmal ans Herz. „Bei der geringsten Gefahr sofort an Land kommen!“ Vom Raumschiff waren mit Sprengpatronen geladene SchnellIcuergewehre mitgebracht worden. Korzewski und Romanow stiegen aus, um nötigenfalls mit ihrer Hilfe einen Angriff auf das Amphibienfahrzeug abzuwehren. Wenn kein Gewitter aufzöge, würden sie so lange am Wasser Wache halten, bis Knjasew und Wtorow wieder in Sicherheit waren. Was geschehen sollte, lails doch ein Gewitter käme, wagte keiner sich auszumalen.
Andrejew blieb im Geländewagen. Er war für die Funkverbindung mit Knjasew und dem Raumschiff verantwortlich und sollte außerdem, wenn Reptilien an Land kämen, diese mit Scheinwerferlicht empfangen.
„Meiner Meinung nach ist Licht die beste Waffe gegen sie“, iagte Korzewski. „Man darf nicht vergessen, daß ihre Augen an Dunkelheit gewöhnt sind.“ Ohne zu zögern, ließ Knjasew den Motor an. Plätschernd fuhr das Amphibienfahrzeug ins Wasser. Die am Ufer Zurückbleibenden sahen, wie die Unterwasserflächen ausgefahren wurden, sich neigten und das Fahrzeug unter Wasser drückten. Das Kielwasser hinterließ auf der glatten Oberfläche des Sees eine schäumende Spur. Einen Augenblick war in dem trüben Halbdunkel unter Wasser noch das Plastedach zu erkennen, dann verschwand es. In der Tiefe flammte Licht auf, Knjasew hatte den Scheinwerfer eingeschaltet. Der helle Fleck entfernte sich langsam vom Ufer.
Qualvoll zogen sich die Minuten in die Länge. Jeden Augenblick erwarteten die drei Männer, daß der Schwimmwagen wiederauftauchen und, von gigantischen „Schildkröten“ verfolgt, in voller Fahrt an Land flüchten würde. Ob das Feuer ihrer Gewehre die Venusianer aufhalten würde? Konnten irdische Geschosse den Riesenleibern etwas anhaben? Würde das Scheinwerferlicht sie erschrecken?
Ohne den See aus den Augen zu lassen, beobachteten die drei Männer den hellen Fleck in der Tiefe. Er entfernte sich langsam und verblaßte. Dann verschwand er vollends. Offenbar war der Amphibienwagen noch tiefer getaucht.
Im Raumschiff verfolgten Melnikow und Toporkow in der Funkkabine unablässig das Ionometer. Bang dachten sie an die Möglichkeit eines Gewitters, und jeder flehte im stillen den Himmel der Venus um Mitleid an.
Ein langes Gewitter war das Schrecklichste, was ihnen widerfahren konnte. Die herniederprasselnden Wassermassen würden das Amphibienfahrzeug im See festhalten und den Venusianern ausliefern. Eine Gewitterfront wie jene, an der das Flugzeug gescheitert war, würde den Tod bedeuten.