Sie erinnerten sehr an eine Menge neugieriger Müßiggänger. Nur daß diese Müßiggänger keine Menschen, sondern wilde Tiere waren.
„Ja“, antwortete Belopolski, „sie verwenden sie nicht als Baumaterial, wie wir gedacht haben, sondern als natürliche Laternen.“
„Wie schade, daß wir dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen!“ Konstantin Jewgenjewitsch gab keine Antwort. Balandin sah, wie sein Genosse hastig das Notizbuch hervorzog, es dicht an die Instrumententafel hielt und in ihrem bläulich matten Lichtschein hastig etwas aufschrieb. Der Professor verstand, daß Belopolski den Genossen, die obengeblieben waren, einen Brief schicken wollte. Aber wie wollte er dies tun?
„Ich werde diesen Zettel in ein Fläschchen unseres Sanitätskastens stecken“, erklärte Belopolski. „Sobald wir wissen, daß unser Ende gekommen ist, öffnen wir die Tür und werfen es hinaus. Das leere Fläschchen wird an die Oberfläche emporschnellen, und dort werden die Genossen es finden.“ Der Professor nickte. Dies war wirklich die einzige Möglichkeit, die sich ihnen noch bot.
Unermüdlich gingen die „Schildkröten“ weiter. Belopolski hatte den Eindruck, sie steuerten geradewegs auf das gegenüberliegende Ufer zu. Ihre Absichten blieben unklar. Was wollten sie dort tun? Warum machten sie mit den Menschen nicht unterwegs im Wagen kurzen Prozeß?
Im rosigen Licht der hölzernen „Lampen“ sahen die Gefangenen, daß sich immer mehr Seebewohner ihrem Zug anschlossen.
Mindestens hundert „Schildkröten“ gaben dem Geländewagen das Geleit.
„Sehen Sie nur — was ist denn das dort vorn?“ sagte Balandin.
Weit vor ihnen zeichnete sich im Dunkel ein heller Fleck ab.
Je naher sie kamen, desto heller wurde er. Die „Schildkröten“ gingen direkt auf ihn zu.
Bald erkannten die Astronauten etwas, was an einen leuchtenden Torbogen erinnerte.
Noch einige Dutzend Schritte, und sie standen dicht davor.
Der Bogen bestand aus ebensolchen Stämmen, wie sie am Ufer gestapelt waren und auf dem Seegrund in Haufen umherliegen. Zu einem Halbkreis zusammengefügt, umrahmten sie den Eingang zu einem Tunnel, der anscheinend tief ins Innere des südlichen Seeufers führte. Die Wände des Tunnels waren ebenfalls mit Baumstämmen verschalt, so daß er wie ein leuchtender Gang in Ungewisse Fernen wirkte, die sich im rosigen Dunkel verbargen. Der Tunnel stand voll Wasser.
Die „Schildkröten“ durchschritten den Torbogen und verschwanden in dem merklich aufwärts führenden Gang.
Das Licht, das von den Baumstämmen ausging, färbte das Wasser rosa. Es war so hell, daß Belopolski und Balandin mühelos die kleinsten Einzelheiten erkennen konnten. Die Menge der „Schildkröten“, die ihnen das Geleit gab, glich bei dieser Beleuchtung mit ihren rosigen Leibern und roten Panzern einem phantastischen Gespensterzug. Allmählich erlosch in ihren Augen das gelbe Feuer.
Während diejenigen Reptilien, die das Raupenfahrzeug trugen, auf zwei Beinen in aufrechter Haltung gingen, liefen die meisten anderen auf allen vieren.
Der Tunnel war sehr lang. Sein Ende war noch nicht abzusehen.
„Es dürfte kaum anzunehmen sein, daß dies ein künstlicher Tunnel ist“, sagte Belopolski. „Er stammt sicherlich von einem Wasserdurchbruch.“
„Wer weiß, ob diese Geschöpfe so etwas nicht auch fertigbringen!“ antwortete Balandin. „Alles ist möglich. Aber wir werden es bald erfahren.“ Vor ihnen zeichneten sich in der rosigen Dämmerung allmählich schärfere Konturen ab. Endlich tat sich ein riesiger Raum auf, der im ersten Augenblick völlig leer wirkte.
Die „Schildkröten“ stiegen aus dem Wasser.
Sie befanden sich in einer gewaltigen Höhle, die tief in das südliche Steilufer hineinreichte, so weit, daß man das Ende nicht erkennen konnte. Zu Häupten hing ein steinernes Gewölbe. Schwacher Lichtschein erhellte den unterirdischen Saal.
Von wo er ausging, war nicht zu entdecken.
Der Boden war völlig trocken. In geraden Reihen standen sonderbare Würfel nebeneinander. Sie bildeten so etwas wie Straßen aus Häusern ohne Fenster. Die Würfel waren anscheinend aus Holz, aber diese Balken leuchteten nicht. Vielleicht verlor sich ihr Leuchten auch in dem Dämmerschein, der die ganze Höhle erfüllte.
„Das also ist ihre Stadt!“ sagte Belopolski zufrieden.
„Es scheint so.“ Balandin nickte.
Die Reptilien gingen mitten auf einer der Straßen. Oft tauchten hier und dort flüchtige Gestalten auf, die nicht genau zu erkennen waren. Ihrer Größe nach zu urteilen, waren es keine „Schildkröten“.
Die hölzernen Würfel stellten anscheinend die Häuser der unbekannten Bewohner dieser unterirdischen Stadt dar. Aber für die riesigen „Schildkröten“ waren derartige Wohnungen ziemlich eng.
Der Tunnelausgang blieb weit zurück. Unverdrossen setzte die „Schildkröten“ menge ihren Weg fort Endlich blieb sie stehen. Die Reptile traten an die Wand unes „Hauses“ heran und gingen abwärts. Wohin? Fünf Meter geradeaus. Dann wieder aufwärts. Und dann sahen sich die Menschen im Innern des eigenartigen Bauwerks. Die „Schildkröten“ gingen noch einige Schritte und setzten dann das Kettenfahrzeug behutsam auf den balkengefügten Fußboden.
Unter schwierigen Bedingungen hatten sie den Geländewagen, der anderthalb Tonnen wog, zweieinhalb Kilometer getragen, was ein weiteres Mal ihre ungeheuren Kräfte bewies.
Nacheinander verließen sie das Haus auf dem gleichen Wege, auf dem sie hereingekommen waren.
„Da sitzen wir also im Gefängnis“, stellte Belopolski fest, und ich bin doch nicht dazu gekommen, unsere Flaschenpost abzuschicken. Es dürfte uns wohl kaum noch glücken.“ Aufmerksam hielten sie Umschau.
Der Bau war völlig leer. Es gab darin keine Zwischenwände.
Er bestand offenbar nur aus einem einzigen „Zimmer“, besaß keine Fenster und keine Decke.
Wenn man das Haus von der „Straße“ aus betrachtete, sah es wie ein Würfel aus. In Wirklichkeit waren es einfach vier Wände von etwa sieben Meter Höhe.
Die beiden Sternfahrer hielten diese Bauweise der Häuser für logisch durchdacht. Über der „Stadt“ gab es keinen Himmel, und ihr drohten also weder Regen noch Wind. Vorteilhaft wurden Decke und Dach durch das steinerne Gewölbe der Höhle ersetzt. Der Fußboden war aus Balken gefügt. Die Tür — wenn man diesen Eingang so nennen wollte — befand sich in einer Ecke. Wände und Fußboden strahlten rosiges Licht aus.
Zwanzig Minuten warteten die Menschen stumm, ob ein Venusianer erschiene, aber die Zeit verging, und niemand suchte sie auf.
„Wie lange reicht unser Sauerstoff?“ fragte Balandin.
„Noch fast zwei Tage. Aber was tut das schon? Es bedeutet nur eine Verlängerung der Agonie.“
„Könnten wir hier nicht entfliehen?“ Belopolski zuckte mit den Schultern.
„Schmerzen Ihre Beine noch sehr?“ fragte er, anstatt zu antworten.
„Was tut das schon“, erwiderte Balandin mit den Worten des Kommandanten, „ich habe sie vergessen.“
„Egal — solange uns Zeit bleibt, muß der Verband gewechselt werden. Wer weiß, was uns noch bevorsteht.“ Belopolski schaltete die Kabinenbeleuchtung ein. Vorsichtig nahm er die Binde ab und musterte stirnrunzelnd die verbrannten Knie. An den Rändern der aufgequollenen Brandblasen war die Haut tiefrot, was auf eine schwere Entzündung hinwies.
Das kann zur Gangräne ausarten! durchfuhr es ihn. — Wie hält er das aus? Das sind doch bestimmt höllische Schmerzen!