Außer Pikrinsäure enthielt der Sanitätskasten für diese Fälle keine Mittel. Er war nur für Erste Hilfe gedacht. Belopolski wußte nicht, was bei einer solch schweren Verbrennung zu tun war.
Er legte dem Professor einen neuen Verband an.
Qualvoll zogen sich die Minuten des Wartens in die Länge.
Um die Energie der Akkumulatoren zu sparen, schaltete Belopolski die Kabinenbeleuchtung aus. Das Leuchten der Hauswände genügte.
Vor zwei Stunden waren sie aus der Ohnmacht erwacht. Eine halbe Stunde warteten sie nun schon in dem Würfelhaus, aber kein Laut drang zu ihnen. Weit und breit schien alles ausgestorben zu sein. Tiefe Stille herrschte in dem „Haus“.
Aber die „Schildkröten“ hätten ihre Gefangenen doch nicht so weit getragen, um sie dann in diesem Blockhaus sich selbst zu überlassen. Es mußte doch jemand kommen. Aber wer und wozu? Was würde mit ihnen geschehen?
Belopolski klinkte die Tür auf und stieg aus.
Der kleine Geländewagen besaß keine Luftschleuse. Seit sie das Raumschiff verlassen hatten, trugen sie unausgesetzt ihre Gasmasken. Im Innern des Wagens war die gleiche Luft wie draußen.
Auf den runden Stämmen konnte man schlecht stehen. Die Schuhsohlen rutschten an dem glatten Holz ab.
Belopolski trat zur Wand und versuchte, einen Schlitz zu entdecken, durch den er nach außen blicken könnte. Aber die Stämme waren sehr fest zusammengefügt. Jeden Augenblick bereit, vor den Venusianern in den Wagen zu flüchten, untersuchte er vorsichtig den Raum. Als er zur Tür kam, sah er, daß keine Treppe hinabführte. Der Abstieg bestand ebenfalls nur aus Stämmen. Man konnte sich kaum vorstellen, wie die Reptilien mit ihrer schweren Last auf ihnen hatten hinaufgehen können.
Die quadratische Türöffnung war drei Meter breit.
Nachdem Belopolski seinen Rundgang beendet hatte, kehrte er zum Wagen zurück.
Abermals verging eine Stunde. Niemand kam. Das befremdete und beunruhigte die Männer. Hatten die „Schildkröten“ sie etwa hier eingekerkert, um sie sterben zu lassen?
Die Stille schien unheilkündend.
„Solange wir nicht wieder ins Wasser getragen werden“, sagte Belopolski, nur um das drückende Schweigen zu brechen, „können wir uns mit den Atemmasken begnügen. Dadurch sparen wir Sauerstoff, strecken den Vorrat auf fünf bis sechs Tage. Aber wir haben keine Lebensmittel bei uns außer der eisernen Ration, und die ist nicht sehr groß. Trotzdem schlage ich vor: Wir starken uns jetzt!“
„Das durfte nicht schaden.“ Balandin war einverstanden.
Aber kaum hatten sie die eiserne Ration ausgepackt, da hörten sie ein Geräusch wie das Tappen von Riesenfußen.
Hastig schloß Belopolski die Wagentür.
Sie sahen an der Tür den häßlichen Kopf einer „Schildkröte“ auftauchen. Dann schob sich ihr Riesenleib herein. Das Tier trat in die Mitte des Raumes.
Es trug einen langen, schmalen Gegenstand auf den Pranken.
In dem rosigen Halbdunkel konnten die Männer nicht erkennen, was es war. Die „Schildkröte“ legte ihre Last auf den Fußboden und verschwand.
Belopolski und Balandin trauten ihren Augen nicht — sie erkannten in dem Gegenstand einen Menschen in einem Gasschutzanzug.
Es war der Geologe der Expedition, Wassili Wassiljewitsch Romanow.
Nacht
Am 24. Juli ging der Venusabend zur Neige. Wie schon vermutet, hatte die Dämmerung nach Sonnenuntergang beinahe fünfzig Stunden gedauert.
Bereits vom Morgen des 24. Juli an — die Astronauten maßen die Zeit nach der Uhr der Erde — verdichtete sich das Dunkel zusehends. Gegen achtzehn Uhr trat die Nacht vollends in ihre Rechte.
Aber diese Nacht war bei weitem nicht so dunkel wie erwartet. Wenn Paitschadse nicht gesagt hätte, sie sei bereits angebrochen, so wären alle wahrscheinlich der Meinung gewesen, es sei noch Abend. Nichts war zu beobachten, was der tiefen Finsternis entsprach, die doch eigentlich auf der Oberfläche des Planeten hätte eintreten müssen unter den Bedingungen einer dicken Wolkendecke. Von den Fenstern des Observatoriums aus sahen die Männer immer noch den Fluß und den Wald, und in der Ferne konnten sie sogar die Umrisse der Stromschnellen erkennen. Die Beleuchtung erinnerte an eine Nacht auf der Erde, wenn der Mond im ersten Viertel steht.
„Unsere theoretischen Berechnungen sind somit bestätigt“, frohlockte Paitschadse. „Die Helligkeit des Nachthimmels der Venus ist dank der Nähe zur Sonne fünfzigmal stärker als auf der Erde und beträgt ein Fünftel des Vollmondlichts. Wir haben uns nicht geirrt.“ Die Kosmonauten bereiteten die Nachtarbeit vor. Viele verschiedenartige Aufgaben waren zu lösen. Es galt, eine ganze Reihe fotometrischer Messungen zu verschiedenen Zeitpunkten der Nacht vorzunehmen und die Schwankungen der Boden- und Lufttemperaturen in verschiedenen Höhen und zu verschiedenen Zeiten — zu Beginn und am Ende der Nacht sowie um Mitternacht — graphisch darzustellen. Außerdem mußte die Intensität der kosmischen Strahleneinwirkung auf den Planeten untersucht und die innere Struktur der Venus mit Radargeräten erforscht werden. Unendlich viele, nicht minder wichtige Aufgaben harrten der Lösung. Ein Teil sollte in dieser, der Rest in der nächsten Nacht gelöst werden. Zwei Venustage wollte die „SSSR-KS 3“ auf dem unerforschten Planeten bleiben.
Keine dieser Arbeiten konnte im Innern des Schiffes geleistet werden. Die Männer mußten ihre Apparaturen ans Ufer bringen und Stunde um Stunde bei ihnen verweilen. Obwohl viele Prozesse automatisch abliefen, überwachten die Wissenschaftler die Geräte; sie wollten vermeiden, daß auch nur das geringste mißlang. Die Venusianer hatten schon bewiesen, daß sie den fremden Eindringlingen feindlich gesinnt waren, und während der Nacht konnte sich jeden Augenblick einer von ihnen dem Schiff nähern. Es würde diesen Geschöpfen mit ihrer gewaltigen Körperkraft leichtfallen, die zerbrechlichen Apparate der Menschen zu zerstören.
Alle Vorsichtsmaßnahmen waren getroffen. Im Umkreis von hundert Metern wurde das Ufer von grellem Scheinwerferlicht überflutet. Niemand konnte sich den Arbeitsplätzen nähern, ohne rechtzeitig bemerkt zu werden. Jedes Besatzungsmitglied, das von Bord gehen mußte, wurde von zwei gut bewaffneten Genossen begleitet, die einen Überfall abwehren konnten.
Allerdings glaubte keiner der Wissenschaftler an einen Überfall der Reptilien. Der Sicherungsdienst wurde nur auf alle Fälle eingerichtet, damit sich hinterher niemand Vorwürfe zu machen brauchte.
Die Suche nach Belopolskis Geländewagen in der Tiefe des Sees hatte eindeutig bewiesen, daß das Scheinwerferlicht ein völlig ausreichender Schutz war. Auf die Sehorgane der an die Finsternis gewöhnten Wasserbewohner wirkte das Licht offenbar ganz unerträglich.
Gewitter störten die Arbeiten jetzt fast gar nicht mehr. Sie zogen seit Einbruch der Nacht immer seltener auf und wurden bedeutend schwächer, es goß eigentlich nur noch.
Wenn sich die ganze Besatzung an Bord befand, erloschen die Scheinwerfer, und über das Raumschiff breitete sich das sichtige Dunkel. Dann richteten sich die Nachtferngläser und die Strahlen der Radarprojektoren auf die Umrisse der fernen Stromschnellen. Die Stapel sahen noch genauso aus wie bei Tage, die Seebewohner hatten sie nicht angerührt.
Mehrmals schalteten die Astronauten überraschend einen Scheinwerfer ein und richteten seinen Strahl auf den nahen Waldrand. Aber sie entdeckten dort nicht das Geringste.
„Sie haben Angst vor unserem Schiff“, sagte Melnikow, „und trauen sich nicht nahe heran. Unsere Anwesenheit hindert sie, in gewohnter Weise ihre Nachtarbeit zu verrichten.“ Das klang sehr wahrscheinlich. Das gigantische Raumschiff, das da plötzlich am Flußufer lag und dessen Herkunft und Zweck für sie unerklärlich war, mußte auf die Venusianer geheimnisvoll und furchterregend wirken.