„Vielleicht kehren wir auf die Erde zurück, ohne die Reptilien ein einziges Mal fotografiert zu haben“, sagte Wtorow. „Das würde ich mir nie verzeihen.“ Gennadi Andrejewitsch hatte Grund, mit sich unzufrieden zu sein. War er den Venusianern doch begegnet. Regungslos hatten sie, vom Scheinwerfer angestrahlt, vor ihm gestanden, während er die Kamera in der Hand hielt. Eine günstigere Aufnahmebedingung war kaum denkbar.
Das Versäumte ließ sich offenbar nicht wiedergutmachen. Die seltsamen Geschöpfe würden sich kaum in die Nähe des Schiffes wagen. Von einem zweiten Versuch, am Ufer des Sees auf sie zu warten, konnte keine Rede sein. Seit Melnikow Kommandant war, hatte er kategorisch jede Exkursion untersagt. Bis zum Heimflug durfte sich kein Expeditionsmitglied mehr weit vom Schiff entfernen.
„Wir haben genug Opfer gebracht!“ sagte er zu den Genossen.
„Bei der nächsten Reise werden wir die Venusbewohner kennenlernen.“ Sosehr Wtorow auch darauf erpicht war, eine Aufnahme der Venusianer zu machen, mußte er doch zugeben, daß dieser Beschluß der einzig richtige war. Die Expedition hatte vier Mann verloren. Das war tatsächlich ein großer Verlust.
Durch einen Zufall, den man weder hatte voraussehen noch verhindern können, war Leonid Orlow auf der Arsena ums Leben gekommen. Ein Opfer eigenen Leichtsinns war Wassili Romanow geworden. Und wie schließlich Belopolski und Balandin in die Hände der Venusianer geraten und von ihnen auf den Grund des Sees getragen worden waren, wußte niemand zu sagen. Es bestand keine Hoffnung auf ihre Rettung mehr.
Der kleine Geländewagen war spurlos verschwunden. Knjasew und Wtorow hatten ächtmal mit dem Amphibienfahrzeug den Seegrund abgesucht, das Fahrzeug jedoch nirgends entdeckt.
Wohin konnten es die Ungeheuer verschleppt haben? Das blieb ein Geheimnis. Nach dem ergebnislosen achten Versuch hatte Melnikow befohlen, an Bord zurückzukehren.
„Wir haben getan, was wir konnten“, sagte er, „und mehr dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.“ Das Gewitter, das die erste Tauchfahrt des Amphibienwagens unterbrach, war zum Glück nur schwach und kurz gewesen. Aber als es endete, sahen Korzewski und Andrejew mit Entsetzen, daß ihr Kamerad,“ der nicht rechtzeitig in den Geländewagen hatte einsteigen können, nirgends mehr zu entdecken war. Offenbar hatte Wassili Romanow beim Aufprall des herniederbrechenden Regengusses das Bewußtsein verloren und war in den See gespült worden.
„Sofort suchen!“ befahl Melnikow.
Der Schwimmwagen war unversehrt geblieben. Als das Gewitter begann, tauchte Knjasew wieder unter, so daß ihm weder liegen noch Blitze etwas anhaben konnten. Die Befürchtungen, daß die Seebewohner das Fahrzeug angreifen würden, erwiesen sich als ungerechtfertigt. Die Venusianer, von denen die beiden Kundschafter auf dem Seegrund über hundert zählten, verspürten panische Angst vor den Scheinwerfern. Sobald das Licht eingeschaltet wurde, sanken sie auf den Grund und krochen ganz unter ihre Panzer, wie sie dies im Ozean auch getan hatten.
Der Schwimmwagen konnte unter Wasser umherfahren, soviel es ihm beliebte.
Als Knjasew erfuhr, daß Romanow vermißt wurde, fuhr er näher ans Ufer heran und suchte eingehend den Grund ab. Aber der junge Geologe blieb ebenso spurlos verschwunden wie Belopolskis Geländewagen.
Mit der Energie der Verzweiflung suchten sie zwölf Stunden hintereinander ihre vermißten Kameraden; sie vergaßen alles andere und lösten einander ständig ab. Von einem Ende zum anderen wurde der Seegrund abgesucht.
Vergeblich!.Sie stießen weder auf den Geländewagen noch auf den Körper Romanows. Wie sich herausstellte, war der See nicht sehr tief. Sie sahen auf dem Grund Baumstämme, die in riesigen Haufen umherlagen, entdeckten zahlreiche Arten von Wasserpflanzen und anderen Gewächsen, bemerkten aber außer den „Schildkröten“ kein einziges Lebewesen, keinen einzigen Fisch.
„Verstecken kann man den Wagen dort nicht“, sagte Knjasew.
„Wir haben ihn aber nirgends entdecken können.“
„Wo kann er denn sein?“
„Ich weiß es nicht. Im See ist er jedenfalls nicht.“ Fast gleichzeitig hatten drei Genossen den Tod gefunden.
Alle waren tief erschüttert.
„Die letzte Frist ist verstrichen!“ schrieb Melnikow am Abend des 24. Juli in sein Tagebuch. „Bis zuletzt sagte mir ein dumpfes Gefühl, daß Konstantin Jewgenjewitsch und sein Begleiter noch am Leben seien. Ich wollte und wollte die Hoffnung nicht aufgeben! Aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz bildete ich mir ein, sie würden zurückkehren. Heute ist diese fadenscheinige Hoffnung zusammengebrochen. Sogar theoretisch läßt sie sich nicht mehr halten. Alles ist zu Ende. Der Sauerstoffvorrat im Geländewagen ist erschöpft. Falls die beiden noch am Leben waren, müssen sie jetzt zweifellos tot sein. Sie haben nichts mehr zum Atmen! Was für ein schreckliches Los!
Ich wünschte — soweit ist es gekommen! — , daß die Reptilien die Wand des Wagens sofort eingedrückt, die Scheiben zertrümmert und die Kameraden getötet haben … Zu schrecklich wäre der Gedanke, daß sie zwei Tage und zwei Nächte ohne Hoffnung auf Rettung in den Händen der wilden Tiere leben mußten!
Wieviel glücklicher — was für ein Wort! — ist dagegen Romanows Schicksal! Wenn er durch den peitschenden Regen nicht sofort getötet worden ist, muß er doch sehr schnell gestorben sein. Er hatte sehr wenig Sauerstoff in seinem Behälter.
Ironie des Schicksals! Ich bedauerte es, daß der Funkverkehr mit der Erde abbrach. Jetzt segne ich diesen Umstand. Mit welchen Worten könnten wir das Vorgefallene schildern?
Natürlich ist es egoistisch, aber ich denke an Olga. Wieviel Tage mußte sie voller Sehnsucht warten, als nach unserer Lanj düng auf der Venus niemand daheim um unser Schicksal wußte.
Und jetzt sollen wir melden, daß noch drei Kameraden verunglückt sind? Nein, lieber nicht an diesen Alptraum denken!
Aber wo wurde der Geländewagen versteckt? Wohin ist Romanows Leichnam gebracht worden?
Kann man uns vorwerfen, wir hätten ungenügend nach den Vermißten geforscht? Sollten wir es nicht noch einmal versuchen? Nein, dazu bin ich nicht berechtigt. Wassili Romanow ist den ›Schildkröten‹ in die Hände gefallen. Das steht fest. Und ebenso wie den Geländewagen von K. J. haben sie ihn irgendwo versteckt. Warum haben sie das getan? Wo ist dieses Versteck? Knjasew und Wtorow behaupten, es läge kein Geländewagen auf dem Seegrund. Ein schreckliches Rätsel. Haben die Ungeheuer das Fahrzeug etwa zerstückelt und die Leiber unserer unglücklichen Kameraden zerrissen? Oder haben sie…
Was wissen wir von den Bewohnern dieses Planeten? Nichts wissen wir. Es sind ›Schildkröten!‹ Was für sonderbare und wunderliche Geschöpfe! Mir stehen sie immer noch vor Augen.
Aufdringlich. Konnten wir ahnen, daß sie, die wir vom Unterseeboot aus sahen, daß diese Amphibien die vernünftigen Bewohner der Venus, ihre Menschen sind? Selbst jetzt, da doch eigentlich die letzten Zweifel entfallen, kann ich es nicht glauben.
Korzewski behauptet, daß die ›Hände‹ der Venusianer, den Beschreibungen nach zu urteilen, kein Lineal hätten herstellen können. Sie seien einer derartigen schöpferischen Leistung nicht fähig. Sie besäßen keine Hände, sondern die Pfoten von Tieren.
Ich bin überzeugt, daß dieses Urteil zutrifft. Das Lineal haben andere gemacht.
Vielleicht sind die ›Schildkröten‹ tatsächlich nur Tiere? Ihr Benehmen allerdings gleicht nicht dem Benehmen der Tiere der Erde. Aber was besagt das? Wir haben es mit Tieren der Venus zu tun. In Indien arbeiten ja auch Elefanten. Sie reißen Bäume aus, transportieren Baumstämme. Genauso wie die ›Schildkröten‹ hier. Außerdem wissen wir gar nicht, ob sie selber es tun.
Wer aber sind dann die wahren Herren der Venus. Wo sind sie? Wie sehen sie aus? Werden wir sie zu Gesicht bekommen?
Nein, bei dieser Expedition sicher nicht mehr. Ich habe selber icden Versuch, sie aufzuspüren, untersagt. Und ich werde meinen Entschluß nicht ändern. Später! Bei der nächsten Venusfahrt!