Wie schwer, wie schwierig ist es, ruhig aufzutreten und durch nichts den Schmerz zu verraten, der mich keinen Augenblick verläßt! Wie oft muß ich mit Gewalt die Tränen zurückhalten.
Manchmal möchte ich wie ein Tier brüllen, um meiner Verzweiflung Luft zu machen. Aber es darf nicht sein! Jeder andere Genosse, ja, aber ich nicht. Sogar wenn ich allein bin, muß ich mich zusammennehmen. Ich bin nicht nur für mich da. Später!
Wenn unsere unglückselige Fahrt beendet ist…“ In der Nacht zum 25. hatte Knjasew Wache.
Um drei Uhr morgens setzte er unerwartet die Alarmglocke in Betrieb. Keine fünf Minuten später hatten sich alle acht Besatzungsmitglieder in der Steuerzentrale versammelt.
„Was ist geschehen?“ fragte Melnikow, der als erster eintrat.
Wortlos wies Knjasew auf den Bildschirm.
Der Himmel der Venus war von flammendem Rot überzogen.
Der unheilschwangere Widerschein war so stark, daß man deutlich die ganze Umgebung des Schiffes erkennen konnte. Die für gewöhnlich dunklen Gewitterwolken schillerten in allen Schattierungen des Rubinrots. Jenseits des Horizonts schien eine fürchterliche Feuersbrunst zu wüten.
Verständnislos starrten die Sternfahrer mit klopfendem Herzen das unerklärliche Bild an.
Was war das? Ein Brand? Ein Vulkanausbruch? Die Männer meinten, das blutrote Lodern würde stärker, und eine unerklärliche Gefahr nähere sich dem Schiff.
Melnikow wechselte einen Blick mit Saizew. Beiden kam der gleiche Gedanke. War es nicht Zeit zu starten und, solange das — noch möglich war, der unbekannten Gefahr zu entfliehen?
Plötzlich stieg hinter dem Wald ein grün und violett funkelnder Vorhang empor, der sich alsbald wieder auflöste. Wie ein flimmerndes Netz überspannten Leuchtfäden den ganzen Horizont, verflochten sich miteinander und funkelten in allen Schattierungen von Smaragd und kirschrotem Granat.
„Das wird ein Polarlicht sein!“ Paitschadse war es, der als erster die Vermutung äußerte.
„Es ist ganz plötzlich aufgeflammt“,’ sagte Knjasew.
Nachdem alle sich beruhigt hatten, gingen sie ins Observatorium hinüber und betrachteten, dicht an die Fenster gedrängt, schweigend das bezaubernde Schauspiel. Wtorow filmte.
Das Rubinrot des Himmels wurde abgelöst von Orange, dann durchlief das Licht die ganze Farbskala und glitzerte schließlich wie reinster Aquamarin. Die smaragdgrünen und granatfarbenen Linien wichen einem fluoreszierenden Strom von Kristallfäden.
Das phantastische Farbenkaleidoskop veränderte sich anderthalb Stunden lang unaufhörlich und entzückte das Auge durch die Vielfalt der Farbverschmelzungen und Schattierungen. In allem Reichtum erstand vor den Menschen die Palette des größten Künstlers — der erhabenen Natur.
Die hinter dem Horizont versinkende Sonne gab zum Abschied ein einzigartiges Schauspiel.
Gegen fünf Uhr morgens erlosch das Polarlicht allmählich.
Immer zarter wurden die Farben des Himmels, immer deutlicher traten die bleigrauen Wolken hervor.
„Erstaunlich!“ sagte Korzewski.
„Fragt sich nur — was!“ erwiderte Paitschadse. „Erstaunlich ist nicht so sehr das Schauspiel selber. Es muß hier farbenprächtig sein. Die Venus ist der Sonne nah. Erstaunlich ist etwas anderes. Das Polarlicht entsteht in den oberen Schichten der Atmosphäre, auf der Venus also über einer zehn Kilometer dicken Wolkendecke. Wieso haben wir es da so deutlich sehen können? Das bleibt vorläufig ungeklärt.“
„Was könnten wir sehen, wenn wir über den Wolken wären?“ fragte Wtorow.
„Höchstwahrscheinlich würden wir geblendet werden“, antwortete Paitschadse.
Bewegt von allem Erlebten, gingen die Astronauten halb widerstrebend in ihre Kajüten.
Aber keiner konnte sofort wieder einschlafen. Als Knjasew zum zweiten Male Alarm gab — es war noch keine Stunde vergangen —, stürmten daher alle sogleich zur Steuerzentrale, weil sie wieder etwas so Wunderschönes zu sehen hofften wie das Nordlicht. Doch diesmal erwartete sie etwas anderes. Diese Nacht sollten sie nie wieder vergessen, sie bereitete ihnen noch eine Überraschung.
Aschfahl im Gesicht, empfing Knjasew die Genossen mit dem unverständlichen Satz: „Sie haben etwas gebracht!“
„Wer — ›sie‹?“ fragte Melnikow.
„Die Reptile.“ Alle hasteten zum Bildschirm. Aber im trüben Halbdunkel der Nacht sahen sie nichts.
„Licht!“ befahl Melnikow.
Grelles Scheinwerferlicht breitete sich über den Boden. Da entdeckten sie ganz nah beim Schiff einen kleinen dunklen Gegenstand im Gras.
„Ich bemerkte, wie sich von den Stromschnellen her eine schlecht erkennbare Masse näherte“, berichtete der junge Mechaniker, „ein dunkler Körper. Zuerst dachte ich, es sei ein riesiges Tier. Es kam langsam immer näher. Ich schaltete den Scheinwerfer nicht ein, weil ich es mir ansehen wollte und das Licht es hätte verscheuchen können. Dem Schiff kann es keinen Schaden zufügen, auch wenn es noch so groß ist. Als es näher kam, erkannte ich — es waren ›Schildkröten‹, ebensolche, wie wir am See gesehen haben. Sie trugen etwas. In ihrer Begleitung befand sich ein anderes Tier, das viel kleiner war, aber ich konnte es nicht richtig erkennen. Weil ich nicht wußte, was ich machen sollte, habe ich Alarm gegeben. Aber während Sie hierher eilten, haben die Reptilien diesen Gegenstand dort abgelegt.
Dann sind sie sehr schnell in Richtung Fluß verschwunden.“
„Da hätten Sie doch den Scheinwerfer anstellen sollen“, sagte Korzewski unwirsch.
„Ich konnte mich nicht dazu entschließen. Erschrecken wollte ich sie doch nicht.“
„Es war richtig!“ Melnikow billigte die Handlungsweise.
Also hatten die Seebewohner sich nicht gescheut, dem Raumschiff nahe zu kommen. Sie hatten den Menschen etwas gebracht. Was und warum?
„Genosse Wtorow“, befahl Melnikow, „steigen Sie aus und holen Sie das Ding an Bord. Andrejew geht mit Ihnen.“ Eine halbe Stunde später trugen die beiden Männer die geheimnisvolle Gabe ins Observatorium.
Neugierig umringten alle das Geschenk.
Es sah aus wie eine rhombenförmige Holzschüssel mit halbrunden, nach innen gebogenen Rändern. Sie war kunstvoll gefertigt, so glatt, daß sie beinahe glänzte, und besaß drei dünne, ebenfalls hölzerne Spitzen, die am Boden befestigt waren. Das Gefäß war sorgsam mit Büscheln orangefarbener Wasserpflanzen und roten Laubes bedeckt. Darauf lagen acht flache rote Fladen und — eine goldene Uhr.
Melnikow traute seinen Augen nicht, er ergriff sie.
„Das ist doch Konstantin Jewgenjewitschs Uhr“, sagte er.
Die Herren des Planeten
Zum Wesentlichsten im Leben eines jeden Geschöpfes gehört die Nahrungsaufnahme. Die ersten Vorstellungen des noch kaum entwickelten Hirns sind unlöslich mit ihr verbunden. Und von den unteren bis zu den oberen Stufen der Evolution ordnet sich alles, was da kreucht und fleucht, diesem unerschütterlichen Gesetz der Natur unter.
Alle vernunftbegabten Wesen sorgen unabhängig von ihrem Entwicklungsgrad für Nahrung, und zwar nicht nur für sich, sondern auch für andere Geschöpfe, mit denen sie verbunden sind. Vögel und wilde Tiere beschaffen Futter für die ganze Familie. Das gleiche tun die Menschen. Ein Raubtier überläßt seine Beute einem anderen, wenn es nicht kämpfen will. Das gilt als Zeichen von Friedfertigkeit. Wilde Völkerschaften bieten dem Feind zum Zeichen des Friedens Lebensmittel an, die sie erarbeitet haben.
Bei orientalischen Völkern hat sich die Sitte bewahrt, im Hause eines Feindes nichts zu essen. Die Nahrung mit einem Feind zu teilen, heißt sich mit ihm versöhnen. Einem Menschen etwas zu essen anbieten, heißt ihm Sympathie beweisen.
Das Gesetz der Nahrungsaufnahme diktiert Sitten und Gebräuche. So war es, so ist es und wird es bleiben, weil die Nahrung eine Lebensgrundlage und oberstes Gesetz der Natur für die Lebewesen ist. Und man darf annehmen, daß dieses Gesetz nicht nur auf der Erde gilt. Es herrscht gebieterisch überall, wo es Lebewesen gibt, die zumindest primitiver Überlegung fähig sind, die heranwachsen und sich vermehren.