Da erblickten sie im Dunkel wankende gelbe Lichter. Es waren die leuchtenden Augen der Reptile. Sie kamen näher. Bedächtig und mißtrauisch gingen die riesigen Tiere auf den Wagen zu.
Den drei Männern fiel auf, daß in ein Meter Höhe keine Augen zu sehen waren. Also wollten die Venusianer entweder nicht an den Wagen herantreten, oder ihre Augen leuchteten nicht.
Am Armaturenbrett flammte das rote Anrufsignal auf. Korzewski beugte sich vor.
„Abwarten!“ flüsterte er. „Sie kommen auf uns zu.“ Die verschwommenen Schatten schienen ganz nahe zu sein, aber die Menschen konnten es nicht genau feststellen. Die Finsternis selber wankte und schwankte. Die gelb funkelnde Lichterkette der ungeheuren Augen schlängelte sich, wie durch die Luft schwebend, heran und bildete einen Halbkreis um den Wagen. Wie wenn eine schwarze Wand den finsteren Wald verdrängte.
Bis auf einen Meter etwa mochten die „Schildkröten“ herangekommen sein. Jeden Augenblick konnten sie angreifen. Knjasew umklammerte die Bedienungshebel.
Waren die Venusmenschen bei den „Schildkröten“?
Blaue Dämmerung erfüllte die Kabine. Die Sternfahrer sahen einander kaum. Das gespenstische Licht des Armaturenbretts drang nicht nach außen, aber dann und wann beobachteten die Männer dicht vor den Fenstern verschwommene helle Flecken — einen matten Widerschein der glänzenden rosafarbenen Leiber.
Angestrengt lauschend, vernahmen sie ein kaum hörbares Kratzen — die „Schildkröten“ befühlten den Geländewagen.
Auf einmal mußte Korzewski laut husten. Sofort hörte das Geraschel auf. Die gelben Augen traten zurück, die dunkle Wand rückte ab.
Der Biologe lächelte zufrieden. Die Venusianer besaßen also ein feines Gehör. Und sie hatten Angst vor dem Raupenfahrzeug.
Eine ganze Weile blieben die gelben Augen in achtungsvoller Entfernung. Jedoch die Stille im Wageninnern beruhigte sie offenbar. Die Wand rückte wieder näher. Aber es kratzte von außen nicht mehr am Wagen. Die Venusianer wagten wohl nicht, das rätselhafte Ding noch einmal zu berühren, oder sie wollten es nicht.
Knjasew, Korzewski und Wtorow wußten, daß die Reptile sie forschend beobachteten. Ihre ans Dunkel gewöhnten Augen mußten alle Einzelheiten im Wageninnern gut erkennen. Die Armaturenbeleuchtung konnte sie nicht stören, sie war nicht hell.
Ein Gegenstand wurde dicht an das vordere Fenster gehalten.
Knjasew glaubte, es sei das berühmte Lineal. Behutsam klopfte jemand an die Scheibe. Nach einer Weile klopfte es abermals.
Die gelbe Lichterkette zog sich einige Schritte zurück.
„Sie bitten uns, auszusteigen“, sagte Knjasew.
Korzewski und Wtorow sahen sich schweigend an.
Den Geländewagen verlassen … Sich diesen rätselhaften Geschöpfen ausliefern … Diese äußerten zwar keine feindseligen Absichten, aber trotzdem … Wer weiß, wes Geistes Kind sie bind? Vielleicht haben sie schon versucht, den Geländewagen wegzutragen, und locken nun, weil es ihnen nicht gelungen ist, die Menschen heraus?
„Wir müssen Boris Nikolajewitsch fragen“, sagte Korzewski.
„Wozu?“ Man sah, wie Knjasew verständnislos die Schulten!
hob. „Wenn wir die Venusianer kennenlernen wollen, müssen wir aussteigen. Ich steige aus!“
„Dann lieber ich“, erwiderte Wtorow, „du wirst an Bord nötiger gebraucht.“
„Wer von uns wichtiger ist, bleibt fraglich. Aber wozu streiten? Es besteht keinerlei Gefahr.“
„Also dann laß mich aussteigen…“
„Lassen Sie mich lieber gehen“, bat Korzewski.
Knjasew sah den Biologen gar nicht an. Er schien seine Worte nicht gehört zu haben.
„Gut“, sagte er. „Wenn dir soviel daran liegt, Gennadi, dann geh. Aber ich glaube, wir müssen den Scheinwerfer anstellen.“
„Das blendet sie.“
„Wir werden den Strahl nach oben richten, sonst siehst du die Hand nicht vor den Augen. Zweige und Blätter werden das Licht ausreichend widerspiegeln, daß du dich orientieren kannst und sie nicht geblendet werden.“
„Immerhin sollten wir Melnikow fragen“, schlug Korzewski abermals vor.
Es hatte ihn nicht beleidigt, daß Knjasew ihn nicht beachtet hatte. Der junge Mechaniker, dem die Leitung dieser Unternehmung übertragen worden war, hatte sich gescheut, den einzigen Biologen der Expedition einer Gefahr auszusetzen. Der Umfang der Arbeit, die es noch zu leisten galt, war beträchtlich.
Stanislaw Kasimirowitsch hatte sich fast gewohnheitsmäßig freiwillig gemeldet.
„Ich habe nichts dagegen“, antwortete Knjasew. „Aber Boris Nikolajewitsch kann gar nicht anders als zustimmen.“ Melnikow widersprach tatsächlich mit keinem Wort. Nachdem er Korzewskis informativen, aber knappen Bericht angehört hatte, fragte er nur, wer aussteigen werde.
„Gennadi Andrejewitsch“, antwortete Korzewski.
Melnikow schwieg einige Augenblicke.
„Machen Sie sich auf alles gefaßt“, sagte er. „Ein Mann muß an den Scheinwerfern, der andere am MG stehen.“ Während diese Worte gewechselt wurden, zogen sich die Venusbewohner noch weiter vom Geländewagen zurück. Sie warteten offenbar.
Wtorow setzte den Gasschutzhelm auf. Knjasew drehte einen Scheinwerfer senkrecht nach oben und schaltete den Strom ein.
Eine weiße Lichtsäule stieg empor. In großer Höhe trat das Laubdach des Waldes aus dem Dunkel.
Die Finsternis verflüchtigte sich, sichtiges Halbdunkel löste sie ab.
In zwanzig Schritt Entfernung erblickten die Männer die dicht bei dicht stehenden Reptile sowie die drei phantastischen Gestalten der Venusianer. Alle hielten den Kopf gesenkt, als begrüßten sie die Fremden. Aber es war klar, daß sie sich nicht vor ihnen verneigten, sondern die Augen vor dem Scheinwerferlicht schützen wollten. Zwei hielten sich die Hand vor die Augen.
Kein einziges dieser merkwürdigen Geschöpfe rührte sich von der Stelle.
„Gehen Sie ans MG“, befahl Knjasew dem Biologen.
Er hielt diese Vorsichtsmaßnahme für überflüssig, aber der Kommandant hatte sie angeordnet.
Der Biologe stieg in den Turm. Wie alle anderen Besatzungsmitglieder der „SSSR-KS 3“ konnte er sämtliche Waffen an Bord bedienen.
Ohne im geringsten zu zögern, öffnete Wtorow die Innentür des Wagens und trat in die Luftschleuse. Dann stieg er aus und ging gelassen auf die Venusianer zu.
Einer kam ihm entgegen.
Die Reptile liefen ähnlich den Menschen auf zwei Beinen.
Der Venusianer aber bewegte sich anders fort. Er ging nicht, sondern hüpfte. Unter Zuhilfenahme des Schwanzes näherte er sich in kurzen Sätzen dem Kosmonauten. In den Händen trug er eine steinerne Schale.
Korzewski und Knjasew verfolgten gespannt jede Bewegung des artverwandten Geschöpfes. Zugleich ließen sie die beiden anderen Venusianer, die auf ihrem Platz geblieben waren, und auch ihr furchteinflößendes Gefolge nicht aus den Augen.
Wtorow ging nur fünf Schritte, dann blieb er stehen. Der Venusianer mußte mehr als zwanzigmal springen, um zu ihm zu gelangen.
Ein Mensch der Erde und ein „Mensch“ der Venus standen bich gegenüber.
Wtorow streckte die Hand aus.
Der Venusianer ergriff sie nicht. Er sprang sogar einen Schritt’ zurück. Dann hielt er Wtorow die Schale entgegen und ließ sie, los, kaum daß Wtorows Hände sie sacht berührten.
Die Schale fiel zu Boden und zersprang.
Was folgte, geschah binnen Sekunden.
Der Venusianer sprang zurück und hob die Hände. Das war offenbar ein Signal.
Fünf Reptile stampften auf Wtorow zu.
Blitzschnell riß Knjasew den Scheinwerfer herum. Der Lichtstrahl schoß den Angreifern in jähem Bogen direkt in die Augen.
Wie vom Schlag gerührt, blieben die Tiere stehen.
Der junge Mechaniker spürte, daß Korzewski sogleich auf den Abzug drücken würde… Auf die Masse der rosigen Leiber würde ein Geschoßhagel prasseln und Tod und Verderben säen.