Knjasew warf einen Blick nach hinten und sah, daß sich die gelb funkelnden Augen immer weiter entfernten. Die Reptile waren stehengeblieben und versuchten nicht, den Wagen zu verfolgen.
Er dachte angestrengt über alles nach und gelangte zu einer Deutung des Vorgefallenen, die danach von allen Genossen im Raumschiff als wahrscheinlich anerkannt wurde. DieVenusianer hatten gar nicht die Absicht gehabt, über sie herzufallen. Die ersten Reptile, die sich, wie es schien, auf Wtorow stürzten, konnten das Scheinwerferlicht, das ihren empfindlichen Augen arg zu schaffen machte, nur nicht mehr ertragen. Sie waren vielleicht sogar völlig erblindet. Da sie nicht wußten, wozu die Menschen die Lichtquellen brauchten, rächten sie sich an den Scheinwerfern wie an feindlichen Lebewesen. Vermutlich wollten sie damit weder dem Wagen noch seinen Insassen schaden.
Was konnten sie von den Menschen wissen, wenn selbst die Existenz anderer Lebensbedingungen als derjenigen ihres Planeten ihnen völlig unbekannt war. Die Venusianer brauchten kein Licht, es war ihnen fremd. Noch nie hatten sie einen Sonnenstrahl gesehen.
„Die ganzen Vorfälle sind nichts weiter als ein Mißverständnis!“ sagte Knjasew laut. „Aber wie sollen wir die Sache wieder geradebiegen?“
„Kehren Sie an Bord zurück“, befahl Melnikow über den Sprechfunk. „Dann werden wir überlegen, was zu tun ist. Kommen Sie schnell!“
„Wir können nicht schnell fahren, weil wir den Weg nicht erkennen.“
„Der Weg ist zu erkennen“, sagte Wtorow auf einmal.
Alle im Wagen und an Bord staunten, als sie das hörten.
„Wo kannst du ihn erkennen?“ fragte Knjasew.
„Schau nur selber hin“, erwiderte der Ingenieur.
Die Kabinenbeleuchtung war natürlich nicht eingeschaltet.
Korzewski und Knjasew spähten durchs vordere Fenster und erkannten wenige Schritte vor dem Wagen einen matt leuchtenden Streifen. Dann erblickten sie etwa hundert Meter voraus einen zweiten.
„Was ist das?“ Korzewski staunte.
„Baumstämme“, erklärte Wtorow, „eben die, die längs der Schneise liegen.“
„Ja, stimmt“, bestätigte Knjasew, „dafür sind sie also hierhergebracht worden.“
„Wir dürfen also annehmen, daß die Venusianer im Dunkeln gar nicht besonders gut sehen“, stellte der Biologe fest.
„Die Stämme sind wahrscheinlich eigens deswegen geschält worden, weil die Rinde das Leuchten verhindert“, mutmaßte Knjasew.
Bald darauf wurde auch klar, wozu jene Stämme bestimmt waren, die nicht einzeln, sondern in Haufen lagerten. Sie zeigten die Wegbiegungen an.
„Das ist ja kaum zu fassen!“ Der Biologe staunte. „In der Botanik werden diese Bäume eine Sensation auslösen.“
„Sonderbar, daß wir das Leuchten der Stapel am Ufer nicht bemerkt haben. Sie bestehen doch auch aus geschälten Stämmen.“
„Wir haben diese Stapel bloß bei Tage oder im Scheinwerferhcht gesehen.“ Die rätselhaften Baumstämme lagen gleich weit voneinander entfernt. Wenn sie an dem einen vorübergefahren waren, tauchte schon in der Ferne als heller Streifen der nächste auf. Mit Hilfe dieser eigenartigen Wegweiser fuhr Knjasew, der Wtorow am Steuerpult abgelöst hatte, den Wagen sicher aus dem Wald heraus.
Am Flußufer überzeugten sie sich davon, daß auch die Stapel leuchteten. Jeder Stamm sandte mattes, leicht rosiges Licht aus.
„Wir müssen auf jeden Fall ein paar solcher Stämme auf die Crde mitnehmen“, sagte Korzewski.
„Nichts leichter als das.“ Über dem Raumschiff zog eine Leuchtkugel ihre feurige Bahn.
I n hundert Meter Höhe flammte sie strahlend hell auf und entfaltete einen Fallschirm über sich. Auf dem hellerleuchteten IJf erstreifen raste der Geländewagen in voller Geschwindigkeit nach Hause“. Einige Minuten später hielt er vor einer der Luftschleusen.
„Schade!“ sagte Knjasew. „Unsere Fahrt war vergeblich.“
„Wieso? Jetzt habe ich die Reptile und die Venusianer hier hei mir!“ Wtorow klopfte mit der Hand auf seine brünierte Filmkamera.
Einige Stunden nach der Ruckkehr des Geländewagens berief Melnikow in der Steuerzentrale eine Beratung ein.
Das Hauptziel der Erkundungsfahrt war nicht erreicht, das Schicksal der verschollenen Kameraden immer noch ungewiß.
„Ich bitte alle, ihre Meinung zu sagen“, bat Melnikow.
Als erster sprach Paitschadse.
„Was geschehen ist, läßt sich nicht wiedergutmachen“, sagte er. „Ich halte weitere Versuche für vernunftwidrig.“ Nacheinander sagten die sechs Männer das gleiche.
„Ich schließe mich dieser Meinung an…“, begann Melnikow.
Plötzlich verstummte er und drehte sich ruckartig um.
Alle vernahmen ein leises, aber wohlvertrautes Geräusch.
Einer der Automaten am Steuerpult begann zu arbeiten. Sie sahen das rote Lämpchen aufflammen, das mit der Außentür der unteren Luftschleuse verbunden war. Die Zeiger der Geräte erbebten und setzten sich in Bewegung. In der Luftschleuse begann die Desinfektionsprozedur.
Keiner rührte sich. Erbleichend sahen die Männer ihren Kommandanten an.
Was bedeutete das? Wer konnte in der Schleuse sein? Alle acht Besatzungsmitglieder waren doch in der Steuerzentrale.
Sollten etwa…
„Das ist einer von ihnen“, stieß Melnikow mit erstickter Stimme hervor. „Ein anderer kann es nicht sein.“ Plötzlich stürzte Toporkow ans Pult und knipste einen der Bildschirme an. Vor Aufregung irrte er sich in den Hebeln und schaltete die Backbordseite ein.
Alle sahen ganz dicht neben dem Schiff einen dunklen Gegenstand, den sie sogleich erkannten. — Es war der vermißte Geländewagen Belopolskis.
Die Venusianer
„Ich schaffte es nicht mehr bis zu unserem Wagen“, schloß Romanow seinen Bericht. „Stanislaw Kasimirowitsch hat es anscheinend geschafft. Der Regen peitschte und prasselte. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr. Im Wasser kam ich wieder zu mir. Weit und breit war es dunkel. Zuerst glaubte ich zu schwimmen, aber dann fühlte ich, daß mich jemand festhielt.
Dicht neben mir funkelten in der Finsternis drei riesige gelbe Augen. Ich begriff, daß es eine der ›Schildkröten‹ war, die mich trug. Ich wußte, daß mein Funkgerät eingeschaltet war, und rief sofort um Hilfe. Das Reptil zuckte zusammen, als es meine Stimme hörte. Ich spürte es. Aber das Ungeheuer ließ mich nicht los, sondern umklammerte mich so, daß mir die Knochen krachten. Da hielt ich den Mund und horchte. Aber es kam keine Antwort. Entweder hatte mich niemand gehört, oder ich verpaßte die Antwort. Den Versuch zu wiederholen wagte ich nicht.
Das Reptil konnte mich zermalmen, ich bekam schon so kaum noch Luft. Ich wunderte mich, daß kein Wasser durch meinen Gasschutzanzug drang. Wie sich herausstellt, sind diese Anzüge also wasserundurchlässig. Auch die Sauerstoffzufuhr funktionierte normal. Aber das Atmen fiel mir immer schwerer, mir wurde schwindlig. Ich wußte, daß das vom Einatmen reinen Sauerstoffs kam. Dann erblickte ich einen sonderbaren Tunnel, dessen Wände mit rosig leuchtenden Baumstämmen verschalt waren. Ich stellte fest, daß ich wirklich von einer ›Schildkröte‹ getragen wurde. Sie sah aus wie diejenigen, die wir Ihnen beschrieben haben, Sinowi Serapionowitsch. Ein widerwärtiges Geschöpf! Sind das etwa die Venusianer? Aus dem Tunnel wurde ich in eine riesige Höhle geschleppt und dann schließlich hierher. Keineswegs erwartete ich euch hier zu sehen.“
„Ebensowenig haben wir Sie hier erwartet“, antwortete Belopolski finster. „Schlecht, sehr schlecht! Drei Besatzungsmitglieder in Gefangenschaft und nur noch acht Mann an Bord. Ich hoffe, daß Boris Nikolajewitsch niemanden mehr weit vom Schiff fortlassen wird.“
„Bestimmt werden sie versuchen, uns oder wenigstens unsere Leichen zu finden“, sagte Balandin. „Sie werden den ganzen See absuchen und schließlich den Tunnel finden.“